In meinem Kopf erklingt dieser lebhafte Ausspruch, und ich kann ein unwillkürliches Lächeln nicht unterdrücken. Ich höre die mitreißenden
Stadiongesänge: „Schwules Bakum!“ Wie habe ich diese Erinnerungen vermisst! Es sind nicht Bakum und nicht das Schwulsein an sich, sondern die turbulenten Revierkämpfe in der Schule, geprägt von
absurden Aussprüchen und kindlicher Animosität.
Mein zweites, bereicherndes Noviziatspraktikum ist nun beendet. Ich verbrachte vier spannende Wochen in Vechta. Die interessierten Blogleser:innen kennen bereits Schwester M. Claritas Bericht und
wissen, wie sich der Alltag vor Ort gestaltet. Deshalb werde ich hier persönlich und weniger systemisch berichten.
Oft hatte ich den eindringlichen Eindruck, dass sich in meinem Praktikum zwei kontrastierende Wirklichkeiten diametral gegenüberstehen: die vertraute Welt, aus der ich komme, und die neue Welt,
in die ich eintauche.
Von einem großen, lebendigen Konvent mit über 40 Schwestern zu einem kleinen, intimen Dreierkonvent, und von einem äußerlich strukturierten Alltag zu einem flexibleren Alltag, der sich den
dynamischen Gegebenheiten der Schule anpassen muss.
Ähnlich erlebte ich die unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort:
zwischen städtischen Formaten und ländlichen, begrenzten Ressourcen, der primären Unterstützung am Kolleg Sankt Thomas und den wöchentlichen Besuchen in den Seniorenheimen Sankt Hedwig und Haus
Theresa, und nicht zuletzt dem Wetter. Zu Beginn genoss ich einen herrlichen Spätsommer, während gegen Ende Handschuhe, Schal und Mütze beim Radfahren getragen werden mussten.
Im Kolleg Sankt Thomas hatte ich die Möglichkeit, lebendigen Unterricht in vielen Fächern
(Religion, Musik, Erdkunde, Spanisch, Mathematik, Schwimmen, Deutsch) zu besuchen und bei zahlreichen engagierten Kolleginnen und Kollegen zu hospitieren. Darüber hinaus durfte ich eigene
Unterrichtsstunden gestalten, was mir als gelernte Grund-, Haupt- und Realschullehrerin nicht schwer viel. Regelunterricht, spannende Ausflüge, kreative Projekte – alles war in den vier Wochen
dabei.
Und ich habe für mich festgestellt: Ich habe früher nicht nur „als Lehrerin gearbeitet“, sondern: ich bin Lehrerin! Nicht nur auf dem Papier. Es gehört zu mir und meiner Identität. Ungeachtet
dessen, ob ich (künftig) in diesem Beruf arbeite oder nicht, erfüllt mich diese Erkenntnis mit großer Freude!
Ich habe meine Gemeinschaft auf eine neue und tiefgehende Weise erlebt und gelebt. Durch das Teilen von Gebet, Mahlzeiten und Freizeit sowie Arbeitszeit in unserer kleinen Gruppe entstand –
meines Erachtens – eine bemerkenswerte Intensität. In einem größeren Konvent mit unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten und variierenden Prägungen in Bezug auf Alter, Herkunft und Interessen
sind die äußeren Rahmenbedingungen ganz anders und vieles schlicht weg unmöglich.
Zu guter Letzt möchte ich auf die Kontrastivität der Mentalitäten eingehen. Ich bin gebürtige Kölnerin, aufgewachsen im idyllischen Bergischen Land, und ich bin stolz darauf, Rheinländerin zu
sein (mit allem Zipp und Zapp). Dennoch fühle ich mich, vielleicht auch wegen meiner Bremer Wurzeln väterlicherseits, im Norden wohl. Wenn es ein Problem gab, wurde ich oft gefragt: „Wie kann ich
helfen?“ Nicht: „Brauchst du Hilfe?“ Und im Dialog mit den Menschen hieß es nicht: „Noch was?“ Sondern: „Was noch?“ Zugewandt, hilfsbereit und offen – so habe ich sie erlebt und so erinnere ich
die Menschen in Vechta, denen ich begegnet bin.
Viel Schönes gäbe es noch zu berichten: von der einfachen Profess drei junger Dominikaner Brüder, von einem Doppelkopf Turnier, einem Messdiener Wochenende, einem Ausflug nach Bremen… und vielem
mehr.
Ich schätze es, Menschen zu begegnen. Ich genieße es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Besonders erfreue ich mich daran, junge Menschen auf ihrem persönlichen Weg zu begleiten.
Ich danke Schwester Kerstin-Marie und Schwester Christina für die bereichernde Möglichkeit, an ihrem Leben teilhaben zu dürfen. Ebenso danke ich unseren Brüdern, den Dominikanern, für die
herzliche Aufnahme und das liebevolle Miteinander. Zu jedem Zeitpunkt habe ich mich sehr wohl bei euch gefühlt. Ich danke den Menschen in Vechta und allen, denen ich begegnen durfte, für ihre
Zeit, ihre Gabe und ihr Engagement.
Ich danke meiner Gemeinschaft für die Chance, mein „altes Ich“ (die Lehrerin vor dem Eintritt) mit meinem „neuen Ich“ (der Novizin bei den Arenberger Dominikanerinnen) zu verbinden. Es ist ein
wunderbares Gefühl zu erleben, wie verschiedene Lebensphasen zusammenkommen und am Ende alles stimmig wird.
Nun bin ich mit Freude auf den Arenberg zurückgekehrt und blicke erwartungsvoll auf die kommenden Monate im Noviziat.
Schwester M. Gloria
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* Ich
möchte an dieser Stelle den Ausruf „schwules Bakum!“ in den zugehörigen Kontext einordnen und mich gleichzeitig bei allen Personen entschuldigen, die in Bakum leben und oder sich aufgrund dieser
Äußerungen angegriffen, verletzt oder beleidigt fühlen. Diese Verwendung ist nicht als solche gemeint; „Schwules Bakum!“ ist ein feststehender und wertneutraler Terminus.
Wie wurde dieser Begriff geprägt? An einem Freitag in der zweiten großen Pause wurde ich gebeten, mit einer fünften Klasse über die Beleidigung „schwules Bakum“ zu sprechen. Da ich dies schon
lange nicht mehr gemacht hatte, fand ich die Aufgabe reizvoll und übernahm sie gerne.
Einige Kinder hatten versucht, andere Kinder aus Bakum zu beleidigen, und waren auf den Begriff „schwules Bakum“ gestoßen. Ich lud die Kinder ein, über den Begriff zu diskutieren. Es gab viele
unterschiedliche Äußerungen. Am Ende begann ein Mädchen fast zu weinen und sagte: „Zu mir haben sie das auch gesagt.“ Daraufhin erklärte ich ihr, dass ich kürzlich wegen meiner blauen Haare
beleidigt worden war. Die gesamte Klasse war verwundert und fragte: „Hä? Sie haben doch gar keine blauen Haare, Schwester Gloria.“ Ich antwortete: „Eben. Kann mich so eine versuchte Beleidigung
treffen? Ich entscheide, ob ich eine Beleidigung annehme oder nicht.“
Wir sprachen weiter darüber, dass es positiv ist, schwul zu sein. Man findet heraus, wer man ist, was man mag und was man braucht, und lebt es. Wie viele Menschen leben im Dunkel und wissen
nicht, wer sie sind und was sie brauchen. Masel tov, schwules Bakum!
Fleißige Blogleser werden sich erinnern, dass wir im zweiten Noviziatsjahr zwei Praktika machen. Begonnen habe ich Vechta (siehe Bericht), nun ist auch mein zweites Praktikum abgeschlossen. Dieses durfte ich in unserem Konvent in Oberhausen machen, genauer gesagt im Vincenzhaus, einem Alten- und Pflegeheim in der Trägerschaft unserer Kongregation.
Die Praktika, die wir im Noviziat absolvieren sind „Konventspraktika“, d.h. wir leben in einem unserer Konvente und sollen dort das Leben mit den Schwestern teilen. Der Konvent in Oberhausen liegt mitten in der Stadt, gegenüber des Hallenbads und neben gut befahrenen Straßen. Damit stehen wir ziemlich in der Tradition des Ordens, denn Dominikus ist mit seiner Gründung des Predigerordens bewusst in die Städte gegangen, um dort zu predigen, dort zu studieren, dort den Menschen zu begegnen. Die ersten Klöster des Ordens wurden z.B. in Bologna, Paris oder Toulouse gegründet. Von daher gehört es zu unserer Spiritualität als Dominikanerinnen in Städten zu sein und dennoch will auch das geübt sein. Für mich war der Lärm der Stadt gewöhnungsbedürftig, weil ich unseren Park und die viele Natur in Arenberg so liebe. In Oberhausen gibt es auch Natur, aber da muss man erstmal hinkommen. Für mich war es jedenfalls eine interessante Erfahrung als Kloster mitten in der Stadt zu sein und genau dort Gott zu suchen und ich glaube das hat sehr viel mit der Botschaft Jesu zu tun, der vor allem an Orten aufgetaucht ist, an denen man ihn am wenigsten erwartet hat.
Neben dem eigentlichen Konvent, leben in Oberhausen weitere Schwestern, die auf Pflege angewiesen sind, im Vincenzhaus. Bei meinem Praktikum war ich allerdings nicht in dem Wohnbereich eingesetzt, wo unsere Schwestern leben, sondern dort, wo Menschen wohnen, die an Demenz erkrankt sind. Die beiden Wohngruppen "Maria" und "Barbara" sind durch einen bepflanzten Innenhof miteinander verbunden. Meine Aufgabe war es als Alltagsbetreuung Zeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu verbringen, zu spielen, zu malen, zu singen etc., aber auch Essen anzureichen. Anfänglich war ich verunsichert, wie ein guter und professioneller Umgang aussieht, weil ich vorher noch nicht in dieser Intensität Erfahrungen mit Demenzerkrankten hatte. Und es ist so unterschiedlich, was die Demenz im Menschen auslöst: Manche haben zum Beispiel ein extrem hohes Redebedürfnis, andere reden immer weniger oder fast nichts. Mit Zeit habe ich meine Berührungsängste verloren und wurde auch sicherer im Umgang.
Sehr beliebt war das gemeinsame Bingo-Spielen, aber auch Ballspiele und Singen. Manchmal gab es Gruppenaktivitäten wie eine gemeinsame Gymnastikrunde und manchmal habe ich mich mit einer einzelnen Person beschäftigt, z.B. beim Mensch-ärgere-Dich-nicht Spiel. Während meiner Praktikumszeit haben wir gemeinsam Herbstfest gefeiert, wobei wir die Wohnküche herbstlich dekoriert haben. Dazu gab es Kuchen und es wurden Geschichten vorgelesen und ein Quiz gemacht. Zum Schluss wurde noch Abendessen mit herbstlichem Gemüse gekocht. Was für ein toller Tag!
Eines meiner Highlights war auch, dass ich am letzten Tag ein kleines Orgelkonzert in der Kirche gegeben habe. Dazu wurden alle Bewohner, die konnten, in die Kirche mitgenommen, was an sich schon für die meisten ein richtiger Ausflug war.😊 An der Orgel habe ich dann eine Mischung aus Volkslieder, Kirchenliedern und instrumentellen Stücken vorgespielt und ich hoffe es hat den Zuhörenden gefallen.
Das Vincenzhaus habe ich als ein wirklich großartiges Pflegeheim wahrgenommen. Die Wohnbereiche sind wohnlich gestaltet und den Bewohnern wird versucht ein abwechslungsreiches Beschäftigungsprogramm zu ermöglichen. Neben der Alltagsbetreuung sind das auch Dinge, wie der Therapiehund, der regelmäßig zu Besuch kommt.
Beeindruckt hat mich auch das Team auf dem Wohnbereich, die allesamt sehr engagiert bei der Sache sind und trotz den Herausforderungen des Alltags immer alles für das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner geben. Es ist für mich schon ein Stück Evangelium, was hier tagtäglich passiert und neben all den Grausamkeiten die Menschen anderen Menschen zufügen, zeigt sich für mich in der Altenpflege bzw. in sozialen Berufen die wahre Größe des Menschen.
Wichtig war für mich aber auch immer wieder einen Ausgleich zur Arbeit im Altenheim zu haben und mir tut dabei Sport ziemlich gut. Deshalb hab ich am Wochenende die Zeit genutzt, um diverse Radwege auszuprobieren und habe auf einer erprobten Route von Schwester Kerstin-Marie eine sehr schöne Radtour nach Kevelaer gemacht. Außerdem habe ich auch in Oberhausen eine Boulderhalle gefunden, wo ich mich gerne mal ausgetobt hab.
Ich glaube es nicht verkehrt einen Einblick in das Altwerden zu bekommen, denn früher oder später betrifft das Thema ja uns alle, ob es Angehörige sind oder wir selbst. Deshalb bin ich dankbar für die Erfahrungen, die ich in Oberhausen sammeln durfte.
Nun bin ich gerne wieder auf den Arenberg zurückgekehrt und freue mich auf die kommenden Monate im Noviziat.
Sr. M. Clarita
Zwei aktuelle Beiträge vom letzten medialen Besuch in Kloster Arenberg
Schwester Clarita: Mit 25 ins Kloster - Landesschau Rheinland-Pfalz - TV (swrfernsehen.de)
Warum die 26-jährige Clara Nonne werden möchte - SWR Aktuell
Sind wir uns im Vincenzhaus begegnet?
Vielleicht auf einem der Flure, beim Sommerfest oder im Aufzug? Ich weiß es nicht. Zur Sicherheit stelle ich mich lieber nochmal kurz vor. Ich bin Schwester M. Gloria OP und ich bin Novizin bei
den Arenberger Dominikanerinnen und derzeit im zweiten Noviziatsjahr. Warum ich das so hervorhebe? Im ersten Noviziatsjahr konzentrieren wir uns auf das Einleben in die Gemeinschaft auf dem
Arenberg in Koblenz. Im zweiten Noviziatsjahr lernen wir andere Konvente unserer Gemeinschaft kennen. Für mich ging es daher Ende Mai 2024 für vier Wochen nach Oberhausen. Hier wohnen über
zwanzig Mitschwestern im Konvent bzw. im Vincenzhaus, einem Alten- und Pflegeheim, und die meisten davon im Wohnbereich Katharina. Dabei prägt das Vincenzhaus ganz selbstverständlich das Leben
unserer Schwestern in Oberhausen. Und das nicht nur auf der Station Katharina, sondern auch im gesamten Konvent. Durch die unmittelbare räumliche Nähe besuchen viele Schwestern regelmäßig
Bewohnerinnen und Bewohner. Man begegnet sich im gemeinsamen Gottesdienst oder beim Spaziergang im Park. Dann gibt es ein gutes Wort und ein offenes Ohr hatten. Interessiert und zugewandt. Ebenso
durfte ich in dieser Zeit meine für mich neuen Mitschwestern erleben. Im Gebet, bei Tisch und auch bei der Erholung, sowie bei allem, was dazwischen geschieht. Mir ist nochmal neu bewusst
geworden, wie schön es ist, in der Fremde ganz selbstverständlich beheimatet zu sein.
Jetzt aber zum spannenderen Teil: Während meines Praktikums war ich in den Wohnbereichen Maria und Barbara eingesetzt. Sowohl vormittags als auch nachmittags durfte ich bei alltäglichen Dingen wie beispielsweise den Mahlzeiten unterstützen und Essen anreichen. Darüber hinaus konnte ich den Tag der Bewohnerinnen und Bewohner mit unterschiedlichen Angeboten verschönern. Dazu gehörte der Klassiker des Volklieder singen bei dem man auch immer wieder etwas dazu lernen kann. Ich habe so z.B. das Steigerlied neu gelernt. Ein Lied, das ich mir gerne mitnehme. Geschichten vorlesen und die eine oder andere Unterhaltung bereicherten meinen neuen Alltag zusätzlich. Ich fand schön, dass es hier auch für solche Dinge ganz selbstverständlich Zeit gab. Aber auch Malen, Basteln, Bingo, Brettspiele, Schönheitspflege, Waffeln backen, Memory, Ballspiele, Zuckerwatte machen und vieles mehr waren füllten meine Tage und die Zeit der Bewohner in diesen vier Wochen. Jede Woche gab es ein Programm mit unterschiedlichen Aktivitäten und es war schön, dass ich bei allem ganz selbstverständlich mit eingebunden wurde.
Jeder Tag war dabei anders und barg natürlich auch seine Überraschungen. Und nicht zuletzt, jeder Tag war für mich eine Einladung sich auf den Menschen einzulassen, der mir gerade gegenübersteht, sitzt oder liegt. Jeder Tag war für mich ein Anruf Gottes im Jetzt und Hier gegenwärtig zu sein. Weniger theoretisch zu planen und mehr praktisch zu machen. Und dann kam eines der Highlights. Am 5. Juni 2024 fand das jährliche Sommerfest statt. Während die meisten Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren Angehörigen, Freunden und Mitarbeitenden im Innenhof zu Bratwurst und Pommes zusammenkamen, feierten die Wohnbereiche Maria und Barbara kuschelig und ganz privat im kleinen Innenhof. Bei Sonnenschein und guter Laune kamen auch die bettlägerigen Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Zimmern und feierten mit. Viele, die dort arbeiten und eigentlich frei hatten, kamen, um dabei zu sein. Niemand wollte dieses Fest verpassen und auch ein Stück vom Kuchen abbekommen. Kuchen ist das richtige Stichwort. Bei uns gab es Kuchen, viel Kuchen und sehr leckeren Kuchen.
Am Ende bleibt mir ‚Danke‘ zu sagen. Ich habe den Eindruck, dass ich mit Oberhausen ein gutes und großes Stück vom Kuchen bekommen zu haben. Ich kehre begeistert und bereichert wieder nach Hause auf den Arenberg zurück.
Mein Dank gilt meiner Gemeinschaft für die Möglichkeit des Noviziatspraktikums und dem Konvent in Oberhausen für die herzliche Aufnahme. Schwester Maria, Herrn Reichert und Herrn Dupke für Gelegenheit, dass Praktikum im Vincenzhaus absolvieren zu dürfen. Frau Hoff und ihrem ganzen Team für die großartige Zusammenarbeit und Ihnen alle, die Sie im Vincenzhaus leben und arbeiten oder mit dem Vincenzhaus verbunden sind, für die Gastfreundschaft und das wohlwollende Miteinander. Das Steigerlied nehme ich im Herzen mit und wünsche Ihnen allen: Glück auf, Glück auf!
Sr. M. Gloria
Vom 24.-30. Juni waren wir in Taizé, wir, das sind Sr. M. Scholastika, Sr. M. Ursula, Sr. Kerstin-Marie und die beiden Novizinnen Sr. M. Gloria und Sr. M. Clarita.
Während drei von uns fünf entweder jede freie Minute ihrer Jugend in Taizé verbracht haben oder zumindest schon mehrfach dort waren, sind Sr. Scholastika und ich das erste mal auf diesem Fleckchen Erde gewesen. Ich wundere mich selbst darüber, da ich die typisch kirchliche Sozialisation erfahren haben. Eigentlich ein Unding erst mit 26 Taizé kennen zu lernen... :D
Jedenfalls bin ich sehr begeistert von diesem Ort und er lässt mich einen Hauch von dem spüren, wie Kirche sein könnte und wie Jesus sich die Kirche gewünscht hat: "Alle sollen eins sein". Diese Einheit wird mich dadurch so spürbar, dass nicht nur Menschen verschiedener Konfessionen und Religionen gemeinsam beten, sondern auch verschiedener Nation und sexueller Orientierung. Das wichtigste in Taizé ist, dass all diese Menschen gemeinsam beten und gemeinsam Gott suchen, gemeinsam singen, gemeinsam schweigen, gemeinsam das Wort Gottes betrachten.
Ein zweites fällt mir auf, was ich in unserer Kirche so oft vermisse: Das Wort Gottes steht für sich! Natürlich ist es total schön, sich mit den biblischen Texten auf unterschiedliche Weise zu befassen: wissenschaftlich oder durch die Predigt von jemandem. Diese kann ja mitunter durchaus inspirierend sein und ich hab auch in meinem Leben erlebt, dass manche Predigten wirklich mein Leben verändert haben, aber das schöne in Taizé ist, das jeder und jede dazu befähigt wird, das Wort in sich aufzunehmen, das Wort zu betrachten, das Wort sprechen zu lassen. Hier wird man nicht "berieselt" mit reißerischen Worten oder gar irgendwelchen Theologien und Theorien, sondern jede*r kann das Wort Gottes in sein und ihr Leben sprechen lassen. Es geht nicht darum großen Predigern zu folgen, sondern Jesus Christus.
Und ich freue mich darüber, dass immer noch so viele junge Menschen nach Taizé kommen; sicherlich nicht mehr so viele wie in den 90ern, aber sie kommen immer noch. Sie lassen sich ein auf Einfachheit, auf eine gewisse Strenge, auf Routine und all das hat bis heute seine Wirkkraft.
Ich träume von einer Kirche, die Vielfalt in Einheit lebt, von einer Kirche die gemeinsam betet anstatt zu streiten, von einer Kirche, die zurückkehrt zu Jesus Christus, zu seinem Wort und die es versteht schlicht und dennoch aufrecht, würdevoll zu sein.
Sr. M. Clarita
Im zweiten Noviziatsjahr stehen für die Novizinnen zwei Konventspraktika an, die dazu dienen, einen anderen Konvent außerhalb von Arenberg kennen zu lernen und zu erleben wie andere Arenberger Dominikanerinnen leben. Für mich ging es in unseren schnuckeligen Zweierkonvent nach Vechta :)
Sr. Kerstin-Marie und Sr. Christina leben hier seit 2020 bzw. 2023 und sind als Lehrerinnen am Kolleg St. Thomas, einem Gymnasium der Dominikaner, tätig. Sr. Kerstin-Marie arbeitet zudem als Berufungscoach (www.suchen-finden-gehen.com) während Sr. Christina Japanisches Heilströmen (www.stroemenundleben.de) anbietet.
Die Brüder und Schwestern leben getrennt, haben aber mit der Schule ein gemeinsames Arbeitsfeld und auch das Chorgebet findet gemeinsam statt. Außerdem befindet sich seit kurzer Zeit das Noviziat der Dominikaner in Vechta. Man merkt vielleicht beim Lesen schon: In Vechta ist immer was los ;-)
Während des Praktikums durfte ich vor allem die Schule, das Kolleg St. Thomas, kennenlernen, d.h. ich bin sowohl bei meinen Mitschwestern als auch bei anderen Lehrkräften mit in den Unterricht gekommen. Da in Niedersachsen bereits das Ende des Schuljahres in Sicht war, wurde inhaltlich nicht mehr so viel gearbeitet, dafür standen aber andere schöne Sachen auf dem Plan, wie z.B. der Wandertag oder das Klassenkonzert, bei dem alle Musikklassen der Schule eine musikalische Darbietung aufführen. Bei der siebten Klasse von Sr. Christina durfte ich kurzerhand beim Auftritt des Stücks "Feuerwerk" von Wincent Weiss am E-Piano sitzen und auch bei den Bläserklassen war es gar kein Problem, dass ich so spontan mit meiner Querflöte mitgespielt habe. Da Sr. Christina und P. Phillipp im schuleigenen Blasorchester aktiv sind, nutzte ich die Zeit des Praktikums, um auch hier mit der Querflöte mitzuspielen. Das hat echt Spaß gemacht. Die Schule prägt also das Konventsleben in Vechta sehr, nicht nur weil die Schwestern und Brüder dort arbeiten, sondern auch wortwörtlich auf dem Schulhof wohnen. Mich persönlich hat die Schule sehr beeindruckt, das nette Kollegium, die lieben Schülerinnen und Schüler, aber auch das Miteinander von Ordensleuten und "normalen" Lehrkräften fand ich sehr schön. Und dann ist es auch schön zu sehen, wie die jungen Menschen dort auch eine gewisse und hoffentlich positive Prägung von "Kirche" "Glauben" "Ordensleben" erleben.
Zweimal in der Woche am Nachmittag durfte ich P. Karl zur Nachmittagsmesse ins Altenheim begleiten - das Gegenteil von Schule sozusagen ;-) Da fr. Xaver Maria, der normalerweise die Orgel in den Gottesdiensten spielt, mit dem Noviziat unterwegs war, durfte ich an seine Stelle treten. Nach dem Gottesdienst war ich auch dabei, wenn P. Karl einigen Bewohnern die Krankenkommunion brachte.
Ansonsten durfte ich ganz darin eintauchen, was es heißt in einem kleineren Konvent zu leben und weil dies als junge Ordensleute auf uns zukommen wird, fand ich es super schonmal ein bisschen Zukunftsmusik zu schnuppern. Dabei lernte ich alle möglichen Tipps & Tricks, man könnte auch sagen lifehacks, von meinen erfahrenen Mitschwestern, z.B. wie man ein Kleid faltenfrei bügelt, wieso Wintergas besser als Sommergas ist und wie man den DB Navigator austrickst, um die effektivste Zugverbindung zu finden. Auch wenn ich wirklich gerne im Mutterhaus bzw. Noviziat bin, hat mir die Dynamik eines "jungen" Konvents sehr gut getan. Praktisch war dabei aber auch, dass wir alle drei gerne Fahrrad fahren und das macht im Norden noch mehr Spaß, weil es keine Berge gibt :-) So wurde mir die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die Route für unser Camping-Wochenende zu planen und ich bekam nebenbei professionellen Nachhilfeunterricht in "Wie packe ich meine Fahrradtasche effektiv?" und "Wie reinige ich mein Fahrrad?" Nicht nur das Fahrradfahren, sondern auch die ein oder andere Nordreportage half dabei sich mit dem Umland vertraut zu machen :-)
Ich bedanke mich bei meiner Gemeinschaft für die, meiner Meinung nach, sehr wertvolle Möglichkeit des Noviziatspraktikums und auch sehr herzlich bei den Mitbrüdern für die Gastfreundschaft. Die gemeinsame Liturgie hat mich ein bisschen an meine erste Liebe erinnert, da ich das dominikanische Ordensleben vor allem durch das gemeinsame Stundengebet bei den Brüdern lieben gelernt habe.
Am Ende des Praktikums komme ich bereichert wieder nach Hause und auch mein Fahrrad freut sich, dass es um ein paar Reflektoren reicher geworden ist.
Sr. M. Clarita
Als wir uns vom 22.-25. April in Münsterschwarzach zum Würzburger Kreis trafen, um über das Gelübde des Gehorsams zu sprechen, wurde diese Frage gestellt: "Ist der Gehorsam eigentlich noch zu retten angesichts von Machtmissbrauch und spirituellem Missbrauch?" Können wir ein Gelübde des Gehorsam ernsthaft ablegen, wo sich doch nicht selten seine Kehrseite gezeigt hat und Menschen im Namen des Gehorsams gedemütigt und unterdrückt wurden?
Berechtigte Fragen und dennoch kehre ich nach dieser Woche als bekennender "Fan" des (richtig verstandenen) Gehorsams zurück. Eine Definition, die wir in diesen Tagen gehört haben lautete: "Gehorsam ist die Anerkennung, dass ich mir nicht selbst alles sagen kann." Was für eine weise Einsicht. Beim Wort Gehorsam ploppt wahrscheinlich automatisch der Einwand "Selbstbestimmung!" auf. Und es ist wichtig selbstbestimmt, autonom und frei sein, auch im Gehorsam. Und dennoch ist es auch wahr, dass es größenwahnsinnig wäre zu sagen, ich könnte mein Leben komplett selbst bestimmen und es überblicken. Wie gut ist es, dass ich mein Leben gar nicht selbst durchblicken kann und wie hilfreich, wenn es jemanden oder eine Gemeinschaft gibt, die Dinge sieht, die ich nicht sehe und die mich auch mal herausfordern kann meine Fokussierung zu lösen und den Blick zu weiten.
Das alles funktioniert natürlich nur, wenn es keine geheimen Machtspielchen gibt, sondern beide - die Gemeinschaft und das Ordensmitglied - die ernsthafte Absicht und Sehnsucht haben den Ruf Gottes erkennen zu wollen.
Ein so verstandener Gehorsam, der das gemeinsame Hinhören auf den Weg Gottes versucht, der im Geist Jesu Christi steht, der selbst den Gehorsam gelernt hat (Hebr 5,8), der in die Freiheit und ins Leben führen soll, ist auch heute lebenswert.
Sr. M. Clarita
TRUDoku war zu Gast in Kloster Arenberg und gibt einen Einblick in den Berufungsweg von Sr. M. Clarita
Die Redensart „den Finger in die Wunde legen“ ist zumeist damit konnotiert, dass ein unangenehmer Sachverhalt aufgedeckt wird, dass jemand den Mut hat Missstände kritisch und ohne Beschönigung aufzuzeigen. Damit sind wir vom biblischen Ursprung weit entfernt. Thomas soll und möchte den Finger in die Wunde legen, um zu erkennen, um zu glauben und er tut es: „Mein Herr und mein Gott.“ (Joh 20,28)
Wenn wir es einmal umdrehen, sehen wir, dass auch Jesus sprichwörtlich den Finger in die Wunde des Thomas legt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben (Joh 20,29)“ und kritisiert das mangelnde Vertrauen seines Jüngers.
Gleichzeitig bin ich beeindruckt von dem starken und außergewöhnlichen Glauben des Thomas. Er stellt eine klare Forderung an Gott: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe [...] glaube ich nicht“ (Joh 20,25). Auch ich kenne solche Verhandlungen mit Gott und merke, wie ich versuche mich selbst nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Man muss ja irgendwie realistisch bleiben. "Die Simpsons" greifen diesen Gott, der scheinbar überhaupt nicht in diese Welt eingreift, satirisch auf. Homer Simpson betet: "Ich mach dir ein Angebot: Du lässt einfach alles so wie es ist und ich stelle keine Forderungen mehr. Wenn du damit einverstanden bist, gib mir bitte überhaupt kein Zeichen. [Stille] Gut, abgemacht. Um mich erkenntlich zu zeigen möchte ich dir Plätzchen und Milch anbieten. Wenn du möchtest, dass ich sie für dich esse gib mir kein Zeichen. [Stille] Dein Wille geschehe." (Staffel 6, Folge 13: Und Maggie macht drei)
Und so legt Thomas wirklich den Finger in die Wunde, ob wir denn glauben, dass Gott so antwortet, wie wir es brauchen.
Und wenn er nicht antwortet?
Wie viele Menschen beten in der Not: „Wenn xy geheilt wird, glaube ich“ und Person xy wird nicht geheilt? Was tun wir mit unbeantworteten Gebeten, wenn Gott sich eben nicht zeigt? Vielleicht können wir Trost schöpfen aus dem Wort: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Im Johannesevangelium gibt es im Gegensatz zu den Synoptikern keine Seligpreisung. Hier, ganz zum Schluss der frohen Botschaft finden wir eine. Es gleicht einer Überforderung zu glauben, ohne Gott zu sehen, zu spüren und zu erfahren und dennoch ist dieser Glaube ein wirklich freier Glaube. Wunder erscheinen attraktiv, aber Wunder können uns auch überfahren, können uns die Freiheit nehmen.
So stehen sich in diesem Abschnitt des Evangeliums nicht nur Zweifel und Glaube gegenüber, sondern auch der Mut Gott konkret um etwas zu bitten und gleichzeitig seine Unverfügbarkeit.
Ich bin froh, dass Johannes diese Szene in sein Evangelium aufgenommen hat. So ist es doch wahr, was Gregor der Große darüber sagte: "Der Unglaube des Thomas nütze uns mehr zum Glauben als der Glaube der übrigen Jünger."
Von Maria Magdalenas „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18) hat sich die Botschaft zunächst an die zehn Jünger „Wir haben den Herrn gesehen“ (Joh 20,25) bis zu den 500 Zeugen verbreitet, die Paulus in seinen Briefen vermerkt (1Kor 15,6). Danach verläuft sich die Spur der Botschaft und dennoch ist sie bis heute ungehalten, wie der Psalm 19 sagt: „Ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus“ (Ps 19,5). Wir Christinnen und Christen glauben seither jenem zarten „Ich habe den Herrn gesehen“ ohne ihn selbst leibhaftig gesehen zu haben. Maria Magdalena hat ihn gesehen, Thomas hat ihn gesehen, stellvertretend für uns alle und ihre Botschaft war glaubwürdig.
Sr. M. Clarita
Noviziat
es ist der kleine Alltag
der dich einführt
in dein Leben
wie ein Novizenmeister
Tag für Tag
weiht er dich tiefer ein
in das Mysterium
von Schmerz und Glück
nicht alles geht
nach deinem Kopf
und vieles läuft dir
wider Willen
und grausam eingerissen wird
der Tempel deiner Selbstbildnisse
unbelügbare Entziehungskur
all deiner Süchte
du kannst nicht alles meistern
entthront wird deine Souveränität
und du begreifst dass du
nicht deines Lebens Herr bist
wenn du aber alles Kleine liebst
und deine Armut noch umarmst
so wird das Leben dir
zum stillen Freunde werden
(Andreas Knapp)
Heute, vor einem Jahr war ich sehr sehr aufgeregt, denn heute vor einem Jahr war meine Einkleidung und damit der Noviziatsbeginn in der Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen. Ein Jahr später überwiegt die Freude darüber, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Und für Sr. Gloria und mich endet heute das sogenannte "kanonische Jahr" - (kanonisch von Kanon = Kirchenrecht), welches klare Regeln für ein gültiges Noviziat bestimmt. Dieses erste Jahr feiern wir heute auch ein bisschen - praktisch, dass unsere Noviziatsleitung ein Händchen für selbstgebackene Kuchen aller Art hat. :-)
Neben dem Feiern stellt sich für mich aber natürlich auch die Frage: Wie war's denn jetzt, das erste Jahr?
Besser als Andreas Knapp kann ich nicht ausdrücken, was es bedeutet ein Noviziat zu machen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, was das Noviziat alles zu Tage bringt, in welche Tiefen man hinabsteigt, welche puren Glücksmomente man erleben wird und wie anstrengend es auch ist. Man kann ein Noviziat nicht angemessen beschreiben, sondern man muss es erleben.
Da aber nicht so viele Menschen diese Erfahrung machen, versuche ich hier ein wenig meine Erfahrungen des letzten Jahres zu teilen.
Man kann sich den Noviziatsprozess etwa wie Exerzitien vorstellen - nicht, dass wir dauerhaft schweigen und nur beten würden, aber in Exerzitien kommen oft Themen hoch, die im Alltag übersprungen oder nicht angeschaut werden und genau so ist es im Noviziat.
Jemand hat mal das Bild von den verschiedenen Schichten der Zwiebel für das Noviziat verwendet: Schicht für Schicht kommt das eigene Selbstbild zum Vorschein. Kontakt zu Familie und Freunden wird deutlich reduziert (die erste Schicht fällt weg), die alte Arbeitsstelle oder Beschäftigung wird nicht weiter ausgeführt (die zweite Schicht), Freizeitgestaltung und Hobbys müssen den Gegebenheiten des Klosteralltags angepasst werden (die dritte Schicht usw.) Die Frage stellt sich wohl jedem Novizen/Novizin: Wer bin ich, wenn all das wegfällt? Wer bin ich außerhalb meiner Arbeitsstelle? Wer bin ich, wenn ich nicht in der Rolle Tochter/Schwester/Freundin/Tante bin, sondern "nur" eine Ordenssschwester unter vielen? Wer bin ich, wenn ich mich nicht über das definiere, was ich tue?
Das ist es, was Andreas Knapp so treffend beschreibt: der Tempel deines Selbstbildes wankt und kommt zu Fall.
Das hört sich jetzt alles so grausam an, aber so habe ich es nicht erlebt, eher als befreiend, wenn auch anstrengend. Für mich ist das Noviziat ein Geschenk, denn hier habe ich Zeit und Raum, um mich genau diesen Fragen zu widmen. Hier gibt es keine Flucht in Arbeit, Sport, Beziehungen etc. Wenn es all das nicht mehr in dem Maße wie früher gibt, passiert es, dass man sich über Kleinigkeiten aufregt/wundert/freut oder traurig ist, über die man sonst im Alltag einfach hinweggelebt hätte. Es ist einerseits eine Gefahr sich in solche Kleinigkeiten des Zusammenlebens zu verkrampfen, andererseits offenbart es viel von meiner Persönlichkeit/meinen Wunden/meinen Themen. Früher oder später werden wir alle an den Punkt kommen, an dem wir nicht mehr wie gewohnt unsere Arbeit nachgehen können, an dem unsere körperliche Kraft nachlässt. Wir werden um diese Frage nicht herum kommen: Wer bin ich, wenn ich nicht im vollen Leben stehe; wenn ich einfach nur bin ohne Tun/ohne Leistung?
"Du begreifst dass du nicht der Herr deines Lebens bist", wie Andreas Knapp es beschreibt. Das gilt ja nicht nur für die großen Dinge wie Sterben oder Krankheiten, sondern auch für die kleinen. Als Novizin gehört es auch dazu zu lernen, dass unsere Lebensform ein stückweit Unverfügbarkeit beinhaltet. Wir können nicht auf jeder Hochzeit tanzen, nicht jeden Geburtstag mitfeiern oder jede Einladung annehmen, wenn es zum Beispiel gemeinschaftsinterne Verpflichtungen gibt.
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild ist das eine; bei mir kam noch ein zweiter Aspekt dazu: Die Auseinandersetzung mit dem Gottesbild. Es ist ja so, dass wir in unserer Lebensform diesem Gott sehr existenziell ausgesetzt sind - die Suche nach Gott ist unser täglich Brot. So stellt sich natürlicherweise die Frage: Welchem Gott folge ich da eigentlich? Wer ist dieser Gott, der mich wohl so sehr fasziniert, dass ich freiwillig um 5:30 Uhr aufstehe, um die Begegnung mit ihm zu suchen? Und für mich hat sich noch einmal intensiver die Frage gestellt, was mir die Mysterien des Glaubens bedeuten: Was bedeutet mir Christi Himmelfahrt, Was bedeutet mir Pfingsten, Was bedeutet mir der Karfreitag? usw.
Vieles ist auch eine Umstellung, so z.B. sich nicht mehr so spontan wie früher mit Freunden zu verabreden, um vieles bitten zu müssen, über das man vorher wie selbstverständlich verfügt hat und doch ist auch dies ein Punkt, den ich gerade genieße. Einfach mal zwei Jahre keine große Verantwortung zu haben, keine Abgaben oder äußeren Druck zu haben, den Luxus haben ganz mit mir beschäftigt zu sein. Der Alltag ist sehr klar strukturiert: Die Arbeit am Morgen besteht meist aus Handarbeit in den Bereichen des Hauses - ehrlicherweise feier ich es mal wieder körperlich zu arbeiten statt nur geistig. Am Nachmittag steht neben dem gemeinsamen Unterricht eine weitere Stunde Selbststudium an.
Dauerhaft im Status Noviziat zu sein, wäre mir zu eng, aber ich freu mich, dass noch ein weiteres Jahr vor mir liegt. Denn bei aller "Enge" ist das Noviziat für mich auch ein safe space. Hier darf ich schwach sein, die Armut spüren und umarmen, mich ihr stellen, Masken tragen funktioniert nicht. Es ist ein Raum, um sich den Wunden zu nähern und sie heilen lassen zu dürfen unter dem Blick Gottes.
Ich bin gespannt was ich im zweiten Jahr noch alles entdecken und was sich offenbaren wird. Ich freu mich drauf!
Sr. M. Clarita
# 12 Hello again
Mein dreimonatiges freiwilliges Ordensjahr (FOJ) auf dem Arenberg liegt jetzt schon mehr als drei Monate zurück und ich habe dies zum Anlass genommen, meinen „alten“ Bericht noch einmal zu lesen. Und egal ob Einkaufszettel, Urlaubsgepäck oder eben FOJ-Bericht, die Erkenntnis ist immer die Gleiche – ich habe etwas Wichtiges vergessen. Da der erste Bericht aber ohnehin schon sehr lang geraten ist, wäre ein Teil 2 vielleicht von Anfang an eine gute Idee gewesen. Aber auch das ist immer das Gleiche, solche Ideen hat man eben immer erst hinterher.
Erstmal in aller Kürze: Ich bin am ersten Dezember letzten Jahres wieder in mein „normales Leben“ gestartet und nach ein paar „Ankommensschwierigkeiten“ auch wieder gut dabei. Meine Erlebnisse in meinen drei Monaten freiwilligem Ordensjahren im Kloster Arenberg habe ich ja bereits beschrieben. Wer an dieser Stelle Lust hat, diesen Bericht (noch) einmal zu lesen, der möge einfach im Blog auf den 15. Dezember 2023 zurück scrollen.
# 13 Reformationstag
Und jetzt zu dem vergessenen Wichtigen. Bis heute fällt mir zu der Frage, was eigentlich die schönsten Momente im Kloster waren, neben vielen anderen sehr schönen Dingen immer wieder der gemeinsam gefeierte Reformationstag ein. Ja, Sie haben richtig gelesen, wir haben gemeinsam im letzten Jahr auf dem Arenberg den Reformationstag auf eine Art und Weise gefeiert, die ich nie im Leben erwartet hätte. Kurz zum Hintergrund sei gesagt, dass am Reformationstag (31. Oktober) daran erinnert wird, dass Martin Luther seine 95 Thesen zur kritischen Auseinandersetzung mit dem im 16. Jahrhundert gängigen Ablasshandel – der Geschichte nach durch das Annageln an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg – veröffentlich hat. Damit war im Jahr 1517 die Reformation eingeleitet.
Ich hatte mich vorher schon innerlich darauf eingestellt, dass ich in diesem Jahr umgeben von katholischen Ordensschwestern eben Allerheiligen mitfeiere und der Reformationstag für mich ausfällt. Und ich wäre sicher auch nicht daran gestorben. Aber diese Rechnung hatte ich ohne die Arenberger Dominikanerinnen gemacht. Die Schwestern vermerkten, jetzt mit einer evangelischen Mitbewohnerin in ihren Reihen, den Reformationstag in ihrem Wochenplan (ich vermute zum ersten Mal in der Ordensgeschichte) und setzten „im Sinne der Ökumene und für Kristina“ für alle Mahlzeiten Erholung (d.h. Gespräch bei Tisch) an. Dann wurde vor und nach den Mahlzeiten je ein Zitat von Martin Luther wie z.B.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
vorgelesen und es gab eine Abendmesse mit katholischer Liturgie aber evangelischen Liedern. Vor allem das gemeinsame Singen des Liedes „Von guten Mächten wundervoll geborgen“ hat mich sehr berührt. Sogar die Gäste im Gästehaus bekamen an diesem Abend einen Impuls „an der ökumenischen Schwelle zwischen Reformationstag und Allerheiligen“ zu einem Ausspruch von Martin Luther. Und nach dem Abendessen haben wir dann gemeinsam die erste Vesper von Allerheiligen gebetet.
Ich habe in meinem Leben schon ganz unterschiedliche Reformationstage gefeiert. Mal in einer alten Holzkirche im Harz, mal in modernen 70iger Jahre Kirchen in verschiedenen Städten, mal in der Studentengemeinde. Und auch inhaltlich war in den Predigten von einer halben Geschichtsvorlesung über die Anfänge der Reformation im 16. Jahrhundert bis zur Auseinandersetzung über die Probleme der heutigen evangelischen Kirche alles schon dabei gewesen. Aber das letzte Jahr übertrifft alle diese Reformationstage. Und das nicht, weil es irgendwie theologisch besonders gelehrt war. Sondern weil es einfach so unglaublich herzlich und berührend war. Dafür noch einmal ein ganz großes Dankeschön an alle Schwestern!
# 14 Rückkehr ins „normale Leben“
Wie bereits gesagt ging es für mich nach all dem Mitleben, Mitbeten und Mitfeiern schließlich am 01.12.2023 zurück nach Hause. Und mit dieser Rückkehr habe ich - nach einer organisatorisch zwar zum Teil etwas zähen (Stichwort Nebentätigkeitsgenehmigung) aber inhaltlichen doch sehr erkenntnisreichen Vorbereitungsphase und einer sehr schönen Klosterzeit - einen Abschnitt gefunden, der nicht ganz so gut lief. Ich war nicht mehr im Kloster, aber auch noch nicht wieder richtig in meiner Welt. Zum einen war der Übergang vom Klosteralltag mit seinen Gebeten und seinen Zeiten des Schweigens in einen ganz normalen Vollzeitarbeitsalltag mit all seinem Input und seiner Schnelllebigkeit zu bewältigen. Zum anderen begann damals gerade die Adventszeit mit ihren Weihnachtsfeiern, ihren bunten Lichtern, lauter Weihnachtsmusik und vielen verschiedenen Menschen. Es war sehr lieb von meinen Arbeitskollegen und meinen Freunden, die ich ja seit drei Monaten nicht gesehen hatte, die Feiern so zu legen, dass ich an allen teilnehmen konnte. Und ich habe mich sehr gefreut, alle wiederzusehen. Aber im Rückblick waren es viel zu viele Eindrücke in zu kurzer Zeit. Und auch mein Ehrenamt, die Übungsleitung in drei Kinderschwimmkursen, startet für mich direkt wieder am 4. Dezember mit kranken Übungsleiterkollegen und der Abnahme der Seepferdchenabzeichen. Um mal einen Ausdruck aus der Elektrotechnik zu bemühen, ich hatte einen „Kurzschluss“ und konnte nicht mehr alle auf mich einströmende Eindrücke verarbeiten. Meine Mutter, die sich zu Weihnachten etwas darüber wunderte, dass ich ja nach drei Monaten im Kloster gar nicht so richtig erholt sei, fasste es in die folgenden Worte. „Wenn man drei Monate lang krank ist, dann steigt man ja auch erstmal mit dem Hamburger Modell schrittweise wieder in die Arbeit ein und NICHT SO WIE DU!“. Danke Mama, drastischer hätte ich es jetzt auch nicht sagen können.
Mit dem heutigen Abstand zu meinem freiwilligen Ordensjahr kann ich ganz klar sagen, dass die Rückkehr genau wie die Vorbereitung und die Klosterzeit als Bestandteil des Sabbaticals dazu und auch in der Planung berücksichtigt gehört. Im Nachhinein habe ich über Sabbaticals gelesen, dass dieser Fehler wohl gar nicht so selten ist und auch nach längeren Reisen vorkommen kann. Man bereitet sich mit Vorfreude auf seine Auszeit vor und genießt dann die neuen Eindrücke und Erlebnisse. Und dann ist zwar geplant und doch irgendwie plötzlich alles vorbei und es geht zurück ins normale Leben, von dem man sicher ist, dass man es ja seit Jahren kennt. Doch auch in der Normalität muss man erstmal wieder ankommen. Auch wenn die Erkenntnis total banal klingt, so hat sie meines Erachtens durchaus ihre Berechtigung. Und sobald ich nach dem Weihnachtsurlaub im Januar wieder in meinen ganz normalen Alltag eingestiegen bin, war es auch wieder gut.
# 15 Gab es denn jetzt gar keine Probleme im Kloster?
Mir ist nach meiner Rückkehr mehrfach die Frage gestellt worden, ob es denn im Kloster gar keine Probleme gab, denn ich würde so viel Positives erzählen. Und auch in einem Kommentar zu meinem ersten Bericht klingt diese Frage an. Und – was soll ich sagen – natürlich gab es auch mal Probleme. Es gab Momente, in denen ich mich mal geärgert habe, in denen ich Dinge nicht nachvollziehen konnte und in denen diese für mich gerade am Anfang so ungewohnte katholische Klosterwelt mir auch mal zu viel war. Ich habe schließlich auch in diesen drei Monaten als Mensch unter anderen Menschen gelebt und nicht als Einsiedler in einer Höhle. Wobei … wahrscheinlich hätte es selbst in der Höhle auch mal Probleme gegeben. Aber nichts davon hat überstrahlt, dass es eine sehr schöne Zeit mit tollen Menschen war. Wollte ich mal alles steht und liegen lassen und einfach nur noch nach Hause? Ja, es gab tatsächlich genau einen solchen Moment. Aber daran waren weder die Schwestern noch ich Schuld. Mich hat Anfang November im Kloster zum ersten Mal überhaupt eine Corona-Infektion erwischt und ich lag krank im Bett. Es war kein schlimmer Verlauf, aber ich fühlte ich total erschlagen, mein Kreislauf war im Keller und meine Stimmung hat ihn noch unterboten. An diesem Abend habe ich mich tatsächlich einfach nur noch nach Hause gewünscht. Aber schon kurz darauf war dieser Impuls auch wieder verschwunden.
Aber es gab aber tatsächlich eine Herausforderung – der Begriff „Problem“ passt hier einfach nicht –, die in den drei Monaten immer wieder und in variierender Form auftauchte und die ich so richtig erst rückwirkend verstanden habe. Und das war die Frage, wer ich eigentlich ohne meinen jetzt für drei Monate auf Pause gestellten Kontext aus Familie, Beruf und Freizeit eigentlich bin.
# 16 GNOTHI SEAUTON oder Erkenne dich selbst!
Diese Inschrift prangte schon im antiken Griechenland am Apollotempel in Delphi. Dabei wurde dieser Ausspruch im Laufe der Jahrhunderte recht unterschiedlich gedeutet. So sollte dem Menschen ursprünglich seine Begrenztheit im Gegensatz zu der Macht der Götter aufgezeigt werden. Später erweiterte sich das Verständnis des Ausspruches und mahnte auch die menschliche Selbsterkenntnis im Zusammenhang mit der Natur an. Platon dachte diesen Ausspruch noch einmal weiter und stellte jetzt die Selbsterkenntnis des Menschen um das eigene Nichtwissen und daraus folgend die Aufforderung die Einsicht in die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten und die Kultivierung der Tugend in den Vordergrund. Vom römischen Dichter Juvenal (und damit zeitlich noch etwas später) wurde der Ausspruch auch auf die Maxime bezogen kluge Entscheidung in Lebens- und Alltagsfragen zu treffen.
Bevor jetzt bei dem ein oder anderen Leser die Angst aufkommt, ich hätte in meinen drei Klostermonaten auf dem Arenberg eine Vorliebe für die griechische Philosophie entdeckt, den kann ich beruhigen. Dem ist nicht so.
Ich stand allerdings in meinem FOJ vor der Herausforderung, die nicht nur griechische Philosophen und römische Dichter, sondern auch mich in den drei Klostermonaten immer wieder meist unterschwellig beschäftigt hat und das war die Frage nach der eigenen Rolle. Wer bin ich? Eine Frage, die so einfach klingt und es trotzdem in sich hat. Viele kennen das, wenn man sich in einem neuen Kontext vorstellt. Uns Deutschen wird ja gerne nachgesagt, dass wir uns dabei oft mit unserem Beruf vorstellen und uns auch darüber definieren würden. Und ich bin dabei keine Ausnahme. Ich bin im beruflichen Kontext Beamtin in einer klar strukturierten Behördenhierarchie oder im Ehrenamt eben Übungsleiterin mit klar definierten Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Im familiären Kontext bin ich Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte und Cousine. Das alles sind über viele Jahre gewachsene Rollen, die natürlich alle immer noch da und wichtig waren. Aber sie standen jetzt alle gleichzeitig für drei Monate auf Pause. Also … Wer bin ich, wenn das in einem neuen Umfeld eigentlich keine Rolle spielt?
Natürlich bin ich von den Schwestern nach meiner Familie gefragt worden und ich habe auch in meiner Klosterzeit mit ihnen telefoniert. Selbstverständlich habe ich auch von meiner Arbeit und meinem Ehrenamt erzählt, aber all das war hier eigentlich nebensächlich. Und hier, das war jetzt eine ebenfalls sehr strukturierte Klosterwelt, die beginnend bei einer Kandidatin über eine Postulantin, Novizin und Juniorin hin zur Schwester mit ewiger Profess und dann den verschiedenen Ämtern bis hin zur Generalpriorin viele Stufen mit den dazugehörigen Rechten und Pflichten kennt. Ich war in dieser Welt offensichtlich Anfängerin, dass war wirklich unübersehbar, und eben FOJlerin. Aber war hieß das im täglichen Leben, in meinem neuen Alltag? Ich lebte mit den Schwestern zusammen, war aber keine Schwester. Ich arbeitete immer wieder mit den Mitarbeitern im Kloster zusammen, war aber keine Mitarbeiterin. Und ich nutzte mit Park, Schwimmbad und hin und wieder den Nachtimpulsen und Vorträgen die Angebote der Gäste im Gästehaus, war aber kein Gast. Als ich einer Mitarbeiterin das „Du“ anbot, sagte sie freundlich aber bestimmt zu mir, sie würde keine Schwestern duzen. Mein Einwand, dass ich keine Schwestern sei, führte nur zu einem ungläubigen Blick. Auch einige Gäste, die mich bei den Schwestern im Chorgebet sahen, fragten mich, ob ich jetzt eintreten würde. An manchen Abenden musste ich neben den Eindrücken des Tages auch erstmal die verschiedenen Rollen für mich sortieren.
Und ich hatte den Eindruck, dass mein Ankommen auf dem Arenberg auch für die Schwestern ein Prozess war. Schließlich kannten sie mich zu Beginn ebenfalls nicht. Und auch wenn Besuch im Mutterhaus keine Seltenheit ist, so bleibt dieser meist nur wenige Tage und nimmt in der Regel deutlich weniger am Konventsalltag teil. Da es das Projekt des freiwilligen Ordensjahres erst seit 2019 gibt und ich im Kloster Arenberg genau eine FOJ-Vorgängerin hatte, deren freiwilliges Ordensjahr aber auch schon wieder lange zurück lag, mussten wir jetzt also gemeinsam rausfinden, wie wir die drei Monate gestalten wollten. An welchen Veranstaltungen sollte/ konnte/ durfte ich teilnehmen? Das ich beim Essen im Refektorium und den Gebetszeiten dabei war, war von Beginn an gesetzt, aber was war mit der Noviziatsexkursion, der Rekreation im Noviziat, in dem ich jetzt mitwohnte, oder der morgendlichen Meditation im kleinen Kreis? Wie war es mit Ausflügen oder Veranstaltungen? Ab wann wurde es zu intern für mich. Und auch die Anrede spielte in diesen Bereich mit hinein, auch wenn mir das erst später klar geworden ist. Ich wurde mit Vornamen und je nach Schwester mit Du oder Sie angesprochen – soweit war alles gut. Es kam aber immer mal wieder vor, dass mir ein „Schwester Kristina“ entgegenkam. Und während andere darüber lachen konnten, hat es mich gestört. Ich habe natürlich verstanden, dass eine Schwester, die 35 Mitschwestern im Refektorium gegenübersitzt, ganz automatisch auch die 36. Person als Schwester anredet. Aber rückblickend stand ich in dieser Zeit gerade bei der Frage, wer ich in diesem für mich komplett neuen Kontext jetzt eigentlich bin und „Schwester Kristina“ war einfach kein Teil der Antwort. Insgesamt haben wir aber meines Erachtens all diese Herausforderungen gemeinsam gut gemeistert und mit einer Mischung aus Einladungen, Rückfragen und viel gegenseitigem Vertrauen mehr erreicht, als es ein von Beginn an feststehender Masterplan (den ich mir zwischendurch tatsächlich manchmal gewünscht hätte) hätte schaffen können. Und das wird aus meiner Sicht z.B. durch die folgende Begebenheit perfekt veranschaulicht. Es ging um die Teilnahme an irgendeiner Veranstaltung, ich weiß schon gar nicht mehr um welche, bei der ich gefragt habe, ob auch FOJler mitkommen dürften. Die mir gegenüberstehende Schwester sah mich daraufhin an und sagte „aber du bist doch nicht eingeladen, weil du hier ein freiwilliges Ordensjahr machst. Du ist eingeladen, weil wir DICH mögen.“ Vielleicht ist das der schönste Teil der Antwort, die ich auf die Frage „Wer bin ich eigentlich jenseits von Familie, Beruf und Freizeit?“ in meiner Zeit auf dem Arenberg gefunden habe: „ein willkommener, mögenswerter Mensch“.
# 17 Wer bin ich? - Schwester M. Scholastikas Impuls zu „Kloster auf Zeit“
Was macht man in der heutigen Zeit, wenn man über jemanden Informationen haben möchte. Richtig – Man googelt ihn. Genau das habe ich vor meiner Ankunft im Kloster Arenberg am 1. September natürlich auch getan und ich habe neben der Gästehaushomepage, dem Blog „op-schreibt“ und verschiedenen social media Kanälen auch die Seite der Arenberger Dominikanerinnen gefunden und mich dort einmal umgeschaut. Dabei ist mir im Rahmen der Vorbereitung auf mein freiwilliges Ordensjahr ein sehr schöner Impuls von Sr. M. Scholastika zum Thema „Kloster auf Zeit“ begegnet, den ich mit großem Interesse vor meiner Klosterzeit gelesen habe, der es vor lauter neuen Eindrücken und Erlebnissen im Kloster aber genau wie der Reformationstag einfach nicht in den ersten Bericht geschafft hat. – Und nein, das ist jetzt kein Werbeblock! – Dieser Impuls beginnt nach einem Zitat von Thomas Merton auch mit der Frage „Wer bin ich?“. Ich empfinde es als sehr tröstlich, dass sich diese Frage im Kloster scheinbar öfter stellt.
„Wer bin ich? Wofür lebe ich? Was hält mich, wenn alles wegbricht? Was ist das Bleibende, das wirklich Bleibende in Erfahrungen von Verlust und fragmentarischem Leben, in der Konfrontation mit dem Tod. Fragen, die jede und jeden bedrängen - in sensiblen Augenblicken mitten im Gewöhnlichen, im Dunkel des Unbegreiflichen... im Schmerz ... gerade auch in der Absurdität des Erfolgswahns unserer Zeit.“
Ich kann nur erahnen, wie es sich wohl anfühlen muss, wenn sich im Kloster oder auch an einem anderen Ort die Frage „Wer bin ich?“ mit all diesen Facetten in einem Menschen auftut. Daran gemessen habe ich gerade einmal an der Oberfläche gekratzt. Und ich muss zugeben, ich dafür dankbar bin, dass mein Klosteraufenthalt für mich eine innerlich wie äußerlich ruhige Zeit war. Aber auch ich kenne diese Momente in denen Abschied von einem geliebten Menschen genommen werden muss, oder noch schlimmer, kein Abschiednehmen mehr möglich ist. Den Moment, in dem aus heiterem Himmel der Anruf mit der Nachricht über den Tod eines nahen Angehörigen kommt. Was bleibt in diesem Moment? Und was ist das Bleibende in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren, wenn aus der Ohnmacht langsam Begreifen und dann Trauer und Vermissen und schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit liebevolle Erinnerung wird? Ich habe keine allgemeingültige Antwort dafür und ich vermute, dass es sie auch nicht gibt. Aber glücklicher Weise muss eine Klosterauszeit nicht unbedingt in diese Abgründe hineinführen. Es geht auch deutlich sanfter.
„Solche Tage der Stille laden ein, die Schwingungen der inneren Sehnsucht in einem geschützten Raum wahrzunehmen und das sonst im Alltagsgewühle Unerhörte und Überhörte neu zu erlauschen. Sie sind Lernort, das Vernommene im Herzen zu bewegen, es umzusetzen und zu leben. Es ist die einzigartige Möglichkeit, sich selbst neu zu begegnen. Und Gott.“
Eine schönere Zusammenfassung, was eine Zeit im Kloster sein kann, kann ich nicht geben. Und dieses Zitat aus dem Impuls wäre fast das Schlusswort dieses Textes geworden, wenn … ja wenn … nicht noch Folgendes passiert wäre.
# 18 eine kleine Anekdote zum Schluss – der Hl. Dominikus im Alten Testament
Jetzt werden sich gut informierte Leser fragen: „Der heilige Dominikus im Alten Testament? Aber das geht doch gar nicht.“ Doch es geht, wenn auch ein bisschen anders als die Überschrift zunächst vermuten lässt. Aber ich fange mit dem Erzählen mal vorne an.
Mitte November 2023 waren Noviziat und Juniorat in Rom bei einer Veranstaltung des historischen Instituts des Predigerordens und der Dominican sisters Europe zur Geschichte und Spiritualität des Dominikanerordens. Und da Rom neben den vielen kirchlichen Highlights auch für sein leckeres Essen bekannt ist, brachten Schwester Ursula, Schwester Clarita und Schwester Gloria, neben Lesezeichen mit dem Bild des heiligen Dominikus drauf, für jeden auch eine leckere italienische Schokoladenpraline („Baci“) mit. Mein Interesse galt eindeutig mehr der Schokolade. Und da in jede Praline zusätzlich auch noch eine kleine Botschaft auf Italienisch und Englisch eingewickelt war, waren wir an diesem Abend im Refektorium neben dem Hören des Reiseberichts auch mit dem Übersetzen der verschiedenen Sprüche beschäftigt. Ein lustiger Abend, an dessen Ende ich mein Lesezeichen etwas ratlos mit in mein Zimmer nahm. Was mache ich als Protestantin mit einem Lesezeichen auf dem ein katholischer Heiliger abgebildet ist? Aber naja dachte ich, als liebe Erinnerung an die Schwestern wird es schon in irgendeinem Buch seinen Platz finden. Das Lesezeichen blieb dann erstmal auf dem Tisch in meinem Zimmer liegen und als es schließlich ans Packen für die Heimfahrt ging, habe ich es einfach mitten in das nächste, ebenfalls auf dem Tisch liegende Buch gesteckt und es genau in diesem Moment auch vergessen.
Zurück zu Hause und mit etwas Abstand zum freiwilligen Ordensjahr bin ich jetzt dabei verschiedene Angebote in der Gemeinde hier vor Ort auszuprobieren und zu schauen, was für mich Passendes dabei ist. In der letzten Woche war ich dann zum ersten Mal beim „Treffpunkt Bibel“. Ich hatte mich vorher nicht erkundigt, welches Thema dort besprochen werden sollte, aber das war rückblickend auch ganz gut so. Hätte ich gewusst, dass dies die Abschlussrunde zu den Propheten des Alten Testamentes war, hätte ich einfach den nächsten Termin als Einstieg gewählt, bei dem dann mit den Paulusbriefen begonnen werden soll. Aber jetzt war ich schon mal da und als ich meine Bibel dann mitten im Buch Jeremia aufschlug, wer guckte mich da an – der heilige Dominikus auf dem Lesezeichen aus Rom. Ich hätte fast laut losgelacht, denn ein passenderes Bild für das letzte Jahr hätte ich mir gar nicht ausdenken können. Zum einen meine Lutherbibel, die ich zur Taufe vom Pfarrer mit Taufspruch, Widmung und schwarzer Lederhülle mit Lutherrose drauf geschenkt bekam und die seit dem, mal mehr mal weniger, in Benutzung ist. Zum anderen mitten darin als Geschenk der Arenberger Dominikanerinnen ein Lesezeichen mit dem heilige Dominikus drauf. Fazit: es hat sich scheinbar nicht nur der Reformationstag in den Wochenplan der Schwestern eingeschlichen, es gibt jetzt wohl auch das Äquivalent dazu auf meiner Seite. Ich, die ich eigentlich überhaupt kein Fan davon bin, die Bibel mit Karten, Lesezeichen oder Andenken vollzustopfen, habe jetzt darüber nachgedacht, wo der heilige Dominikus denn nun seinen Platz finden soll. Und was soll ich sagen … er darf in meiner Bibel bleiben.
Kristina
P.S. Im Nachgang zu meinem letzten, zugegebenermaßen komplett Hasen-losen Bericht bin ich liebevoll daran erinnert worden, dass ich Felix den Klosterhasen vergessen habe. Dies soll natürlich kein zweites Mal passieren. Viele liebe Grüße an Schwester M. Hildegunde und Hase Felix.
Junge Frauen, die sich die Frage nach ihrer Berufung stellen und darüber nachdenken, ob das Ordensleben eine geeignete Lebensform für sie sein könnte, laden wir ein, vom 15-17. März ein Wochenende in Kloster Arenberg zu verbringen.
Dort wird es die Möglichkeit geben mit uns Schwestern mitzuleben, mitzubeten, Fragen zu klären und unsere Gemeinschaft kennen zu lernen.
Beginn: Freitag, 16 Uhr
Bei Interesse schreibe bitte eine E-Mail an sr-ursula@kloster-arenberg.de
In jener Zeit fuhren Jesus und seine Jünger auf das Ufer zu, kamen nach Genesaret und legten dort an. Als sie aus dem Boot stiegen, erkannte man ihn sofort. Die Menschen eilten durch die ganze Gegend und brachten die Kranken auf Tragbahren zu ihm, sobald sie hörten, wo er war. Und immer, wenn er in ein Dorf oder eine Stadt oder zu einem Gehöft kam, trug man die Kranken auf die Straße hinaus und bat ihn, er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt. (Mk 6, 53-56)
Alle, die ihn berührten, wurden geheilt.
Für mich ist dieser Satz der Schlüsselsatz in diesem Evangelium.
Was ist das für eine Situation, die in diesem Evangelium beschrieben wird? Jesus reist mit seinen Jüngern durch das Land. Sie sind keine Unbekannten. Die Menschen, die ihnen begegnen, wissen, mit wem sie es zu tun haben. Und nicht nur das. Sie wissen scheinbar auch ganz genau, was sie zu tun haben. Sie wissen, dass die Begegnung mit ihm eine Chance ist. Eine Chance auf Heilung. Eine Chance für ein besseres Leben. Jesu Wirken zieht Kreise. Solch große Kreise, dass, wo immer er hinkommt, Menschen die Kranken zu ihm tragen. Um was bitten sie ihn? Nicht etwa darum, dass er ihnen irgendetwas gibt, dass er irgendetwas mit ihnen macht. Dass er irgendwelche Rituale an ihnen anwendet. Alles, worum sie ihn bitten, ist, dass sie ihn berühren dürfen.
Wer mit ihm in Berührung kommt, kommt mit dem in Berührung, was ganz, was heil ist. Man könnte auch sagen, mit dem, was gesund ist. Nicht nur äußerlich. Denn Jesus ist der Heil-and. Er ist der Sohn Gottes.
Was passiert da? Wie kann durch die bloße Berührung etwas heilen, gesund werden?
Möglicherweise kennen Sie das: Ganz oft, wenn wir in die Begegnung mit anderen Menschen gehen, hilft uns das, mit etwas in Berührung zu kommen, was in uns ist schlummert. Wir lernen beispielsweise jemand Neuen kennen, eine neue Freundin, einen neuen Freund, einen neuen Partner oder eine Partnerin, und wir stellen fest: Diese Person weckt eine ganz neue Seite in mir. Diese Person stößt etwas in mir an, was in mir bereits angelegt war. Aber eben noch nicht zum Leben erweckt. Etwas, das da war, aber eben erst einmal wachgeküsst werden musste. Bei Jesus hat das Ganze eine besondere Note: Er ist der Gottes Sohn. Damit kann er uns in Berührung bringen mit Gott, mit dem Göttlichen in uns. Und damit auch mit dem, was in uns selbst heil, ganz, gesund ist. Trotz aller Verletzung, die das Leben so mit sich bringt. Sozusagen mit dem Heiligen in uns. Und dieses Heilige ist … heil-sam.
Der Soziologe Hartmut Rosa würde vermutlich sagen: Etwas in uns geht mit Jesus, geht mit dem Heiligen in Resonanz. So können wir heilen. Damit ist er wie Balsam für unsere Seele. Oder für unseren Körper. Und auch andere Menschen im Hier und im Heute können das für uns sein.
Die Menschen, die zu Jesus kommen, sind krank. Etwas in ihrem Körper ist krank. Hindert sie daran zu leben. Doch in dem Moment, in dem sie äußerlich an Jesus „andocken“, in dem sie ihn berühren, werden sie gesund.
Woran erkenne ich, dass ein Mensch mir bei meinen Problemen helfen kann? Dass ich nicht irgendwem auf den Leim gehe, der mir das Blaue vom Himmel verspricht? Jesus verlangt nichts von uns. Nicht irgendein Fünfpunkteprogramm, das uns hilft, wir selbst zu werden. Es gibt keinen „Zehnschritteweg“ als Anleitung zum Glück. Er veranstaltet keine Workshops, für die er horrende Summen an Eintritt verlangt. Alles, was die Menschen tun müssen, um unter seiner Obhut zu heilen, ist: Da sein. Sich in seine Nähe begeben. Ihn berühren und sich berühren lassen. Und die Bereitschaft, sich ihm anzuvertrauen. Ihn wirken zu lassen. Mehr wird nicht von uns verlangt.
Sr. M. Kathrin
Das Fest der Bekehrung des hl. Paulus ist an mir bisher still vorbeigezogen - bis gestern.
Die Geschichte des hl. Paulus ist eigentlich schnell zusammengefasst: Pharisäer - Bekehrung - Völkerapostel - Märtyrer.
So in etwa habe ich auch Paulus bisher gesehen, doch dieses Jahr bleibe ich an seiner Bekehrung hängen. Ich bleibe daran hängen, was es eigentlich bedeutet, dass Saulus Christ wurde. Erstens, was es für ihn und seine Biografie bedeutet, zweitens, was es für sein Gottesbild bedeutet, drittens was es für seine Mitmenschen bedeutet.
Schauen wir uns die Bekehrung einmal genauer an.
Saulus ist ein gescheiter Pharisäer, Kenner des jüdischen Glaubens, ein Eiferer für die Sache des Herrn und fühlt sich vom "neuen Weg" ernsthaft bedroht. Der Glaube an einen Messias, der jämmerlich am Kreuz starb und auferstand, ist für ihn lächerlich, häretisch und gefährlich. Er tut alles, damit sich diese Lehre nicht weiter ausbreitet. Deshalb ist er auch auf dem Weg nach Damaskus, um die Jünger Jesu zu fesseln (vgl. Apg 9,2).
Und dann passiert das Unglaubliche: Jesus offenbart sich Saulus als der Christus. Mit allen Sinnen: Er sieht ein Licht, er hört eine Stimme, er fällt zu Boden, er ist blind, er isst und trinkt nicht für drei Tage. Die Begegnung mit Christus verändert alles. Wir können nur ahnen, was er in den drei Tagen der Blindheit und des "Fastens" durchgemacht haben muss: Scham, Trauer, Irritation, Zweifel, Orientierungslosigkeit, Sinnsuche, Beten, vielleicht aber auch Freude, Verbundenheit, Glück, Stille, Geborgenheit, Staunen.
Immer wieder dringt in seinen Briefen eine gewisse Scham über seine Vergangenheit durch: "Ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe." (1Kor 15,9) Und doch scheint mir Paulus versöhnt zu sein mit seiner Geschichte, auch wenn sie nicht vergessen und Teil von ihm ist. Neben Versöhnung muss er aber auch den Mut gehabt haben sich auf diesen neuen Weg einzulassen. Letztlich seinen Irrweg zugeben, seine Nacktheit zeigen und zu seiner Schwäche stehen. Wir wissen ja selbst wie schwer es ist, seine Meinung zu ändern bzw. zuzugeben, dass man sich geirrt hat, aber für jemanden, der nach eigenen Angaben als ein "jüdischer Spitzentheologe" galt, weil er größere Fortschritte als seine Altersgenossen machte (Gal 1,14), muss dies eine unendlich große Demutsstufe bedeuten.
Und so reagieren auch seine Mitmenschen: Sie hatten entweder Angst vor ihm oder glaubten nicht, dass er jetzt Christ war. So auch die Jünger in Jerusalem: "Aber alle fürchteten sich vor ihm, weil sie nicht glaubten, dass er ein Jünger war." (Apg 9,26) Und die Pharisäer wollten ihn nach seiner Wende prompt töten (Apg 9,23). Von seiner alten Bubble abgelehnt und verstoßen, von seinen neuen Brüdern und Schwestern nur zaghaft begrüßt - Paulus hatte es auch gesellschaftlich nicht leicht. Ich stell mir das in etwa so vor, als wenn Christian Lindner plötzlich "Klimakleber" würde...
Was bedeutet seine Bekehrung für sein Gottesbild? Im Galaterbrief schreibt er von seinem überragenden Einsatz für Gott. ("Mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein" Gal 1,14). Hier ist jemand, der weiß wovon er spricht. Der Gott aber, von dem er glaubte ihn zu kennen, offenbarte sich als ein ganz anderer. Wir wissen nicht wie viel Kraft es ihn gekostet haben muss, das bisher Geglaubte loszulassen, aber dass jemand seine eigene Schwachheit noch zum Ruhm Gottes verwenden kann, zeugt von einem Gottesbild der Freiheit, der Gnade und des Erbarmens. Paulus nutzt seine ganze Scham und seine ganze (peinliche?) Vergangenheit, um Gottes Handeln an ihm zu bezeugen: "Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin." (1Kor 15,10). Nicht durch schlaue Theologien, durch den Kampf gegen andere, durch die Abschottung und die Flucht auf eine "Insel der Wahrheit", steht man im Dienste Gottes, sondern das gnädige Handeln Gottes an den Menschen ist das eigentliche Zeugnis, auch im Leben des Paulus. So wichtig seine Briefe, seine Theologie und sein Wirken sind, das größtes Zeugnis ist, dass aus Saulus Paulus wurde und das ohne sein aktives Zutun: Er nennt es Gnade.
So schwierig ich manchmal seine Briefe finde, geht mir die Lebensgeschichte des Paulus sehr nach.
Die Frage gilt auch uns: Sind wir bereit und haben wir den Mut neue Wege einzuschlagen? Können wir bekennen uns geirrt zu haben, ohne an unserer Würde zu zweifeln?
Und wie gehen wir mit Menschen um, die ihre Meinung ändern? Dürfen wir eigentlich noch Fehler machen?
Oder nageln wir uns und unsere Mitmenschen auf die Vergangenheit fest? ("Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem alle vernichten wollte, die diesen Namen anrufen?" Apg 9,21). Politiker/innen erleben dieses Phänomen wohl sehr oft, sodass Konrad Adenauer einmal erwiderte: "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern jeden Tag klüger zu werden."
Paulus blieb ein Eiferer, auch nach seiner Bekehrung, aber die Begegnung mit Christus hat etwas Grundlegendes in ihm verändert, sodass er sagen kann: "Ich vergesse was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus." (Phil 3,13)
Sr. M. Clarita
Der Weihnachtsfestkreis ist eigenartig: Kaum hat man die stille, heilige Nacht, die Geburt des Gottessohnes in der Krippe zu Bethlehem gefeiert, kommen eine Reihe "störender" Feste:
Zuerst am zweiten Weihnachtstag das Fest des Märtyrers und Diakons Stephanus. In der Lesung hören wir von seinem Tod durch Steinigung - unschön.
Am 27.12. folgt das Fest Johannes des Evangelisten, zur Abwechslung mal kein Märtyrer, dafür hören wir das Evangelium vom leeren Grab. Ostern mitten im Weihnachtsfest - unpassend.
Und dann das für mich schwierigste Fest: Das Fest der unschuldigen Kinder. König Herodes ermordet vor Zorn und Eifersucht alle Knaben in Bethlehem im Alter bis zu zwei Jahren (Vgl. Mt 2,16-18) - grausam.
Und doch bin ich dankbar für diese "Störungen" in der Weihnachtsoktav, denn ich weiß von mir selber, dass ich Weihnachten allzu oft in die romantisch-gemütliche-Kuschelecke schiebe. Aber nein, Weihnachten war nicht romantisch. Kein Kaminfeuer. Kein heißer Kakao. Keine Schneeflocken.
Jesus wird zunächst in die Obdachlosigkeit geboren, kein Platz in der Herberge, kein Bett, nur eine Krippe. Leihgabe der Tiere. Von einem Esel wird er auch in seinen letzten Lebenstagen begleitet werden... Kaum geboren, schon will man ihn loswerden. Die junge Familie muss fliehen. Es war weder gemütlich noch unbeschwert...
Und deshalb ist es gut, dass wir in diesen Weihnachtstagen gestört werden.
An Unschuldig Kinder kommt ja noch hinzu, dass dieses Fest in der Klostertradition einen besonderen Stellenwert erhält, denn traditionell übernehmen die Jüngsten, d.h. die Novizinnen an diesem Tag den Job der Oberen und dürfen allerlei Streiche spielen. Ziemlich makaber angesichts des Kindermordes und gleichzeitig erlebt man den Zauber der Kindlichkeit, wenn alte Filme geschaut werden, es allerlei Süßigkeiten gibt und der ganze Konvent jeglichen Schabernack mitmacht ;-)
Weihnachten - so ambivalent wie die Liturgie dieser Tage. Es geht um Macht und Ohnmacht, Große und Kleine, Realität und Wunder, Reichtum und Armut, Nacht und Licht, Mensch und Gott, Tod und Leben, Krippe und Kreuz.
"Es gibt für einen Starken, für einen Großen dieser Welt nur zwei Orte, an denen ihn sein Mut verläßt, vor denen er sich in tiefster Seele fürchtet, denen er scheu ausweicht. Das ist die Krippe und das Kreuz Jesu Christi. In die Nähe der Krippe wagt sich kein Gewaltiger, hat sich der König Herodes auch nicht gewagt. Denn eben hier wanken die Throne, fallen die Gewaltigen, stürzen die Hohen, weil Gott mit den Niedrigen ist, hier werden die Reichen zunichte, weil Gott mit den Armen und Hungernden ist, weil er die Hungernden satt macht, aber die Satten und Reichen gehen leer aus. Vor der Maria, der Magd, vor der Krippe Christi, vor Gott in der Niedrigkeit, kommt der Starke zu Fall, hat er kein Recht, keine Hoffnung, ist er gerichtet."
(Dietrich Bonhoeffer)
Sr. M. Clarita
#1 Nimm dir Zeit für dich
Als ich im Oktober 2020 in einem Interview im Deutschlandfunk das erste Mal etwas vom damals noch recht neuen Projekt des freiwilligen Ordensjahres der Deutschen Ordensobernkonferenz (kurz DOK) hörte, hätte ich nie gedacht, dass das einmal irgendwas mit mir zu tun haben könnte. Ich hörte mir den durchaus interessanten Beitrag an, vergaß ihn dann aber auch schnell wieder. Vielleicht lag es daran, dass der Herbst 2020 als tiefste Corona-Zeit nicht gerade zur Planung neuer Projekte einlud. Vielleicht hatte ich bisher, abgesehen von einer Studienfahrt in ein österreichisches Benediktinerkloster zu Schulzeiten, auch einfach zu wenig mit Klöstern zu tun. Irgendwie sind in den 37 Jahren meines Lebens bisher Klosterurlaube, Exerzitien oder Kurse im Kloster komplett an mir vorbeigegangen.
Als sich im Herbst 2022 jedoch mein Überstundenkonto der Dreistelligkeit näherte und auch noch jede Menge alte Urlaubstage auf eine schöne Verwendung wartete, dachte ich zum ersten Mal über ein Sabbatical nach. Die Arbeit war in der letzten Zeit viel und auch sehr intensiv gewesen, so dass ich im ersten Schritt an zwei freie Monate dachte. Und auch wenn meine Kolleginnen und Kollegen ihre Überstunden und Urlaubstage in längere Reisen nach Australien, Nepal oder Namibia investierten, war mir so gar nicht nach einer großen Reise zumute. Blieb die Frage, was ich dann mit meiner freien Zeit anfangen wollte. Und es dauerte nicht lange bis mir das freiwillige Ordensjahr wieder einfiel.
Dieses Ordensjahr, das unter dem Motto „Nimm Dir Zeit für dich“ steht, ermöglicht es Menschen zwischen 18 und 75 Jahren für drei bis zwölf Monate in einem Kloster mit zu leben. Dabei muss man nicht katholisch sein oder eine Berufung zum Ordensleben verspüren. Man kann auch wie ich evangelisch sein oder keiner Religion angehören. Es braucht allerdings die Bereitschaft, sich auf das Mitleben, Mitlernen, Mitarbeiten und vor allem auf das Mitbeten in der jeweiligen Ordensgemeinschaft einzulassen. Wer „nur mal Klosterurlaub“ machen will, ist meines Erachtens in diesem Konzept falsch. Und nicht zuletzt braucht es auch die Entscheidung, die ganze Sache anzugehen. Denn was damit an organisatorischen Dingen auf mich zu kommen sollte, habe ich dann in den folgenden Monaten gemerkt.
Wer mehr zum freiwilligen Ordensjahr wissen möchte, der findet weitere Infos und Ansprechpartner unter: https://www.ordensjahr.de/
#2 Vorbereitungen … und der nötige Papierkram
Wie heißt es schon im Projektmanagement so schön: Ein Projekt beginnt mit der Entscheidung dafür und nicht erst mit dem offiziellen Start. Nachdem also mein Interesse für eine dreimonatige Auszeit in einem Kloster geweckt worden war und eine Rücksprache mit meiner Chefin ergeben hatte, dass auch drei Monate Abwesenheit mit ausreichend zeitlichem Vorlauf möglich sind, telefonierte ich im Januar 2023 mit der Ansprechpartnerin für das freiwillige Ordensjahr. Das war zu diesem Zeitpunkt noch Schwester Maria Stadler, die ihre Rolle auch schon als „eine Art Partnervermittlung“ zwischen den Interessenten und den Ordensgemeinschaften beschrieben hatte. An Hand eines ganzen Fragenkatalogs wie „Soll es eine große oder eine kleine Gemeinschaft sein?“, „Apostolisch oder kontemplativ?“, „Evangelisch oder darf es auch eine katholische Gemeinschaft sein?“, „Welcher Ort oder welche Entfernung vom Heimatort soll es sein oder darf es auf gar keinen Fall sein?“ und vieles mehr. Am Ende der vielen Fragen meinte sie schließlich zu mir „Fangen Sie doch mal in Koblenz bei den Arenberger Dominikanerinnen an. Ich glaube, dort könnte es passen.“ Da ich bisher zwar von Benediktinerinnen, Zisterzienserinnen und Franziskanerinnen gehört hatte, mir diese Gemeinschaft aber gar nichts sagte und mein Wissen über den Dominikanerorden allgemein bis auf wenig schmeichelhafte Beiträge zur Inquisition auch nicht viel hergab, googelte ich mich erstmal etwas schlauer und stimmte dann zu.
Es folgte eine etwas zähe Kommunikation per Mail (sorry Ursula, aber wer dir Mails schreibt, der sollte vorsichtshalber etwas mehr Zeit mitbringen 😉) und eine durch viele volle Kalender ebenfalls nicht ganz einfache Terminfindung für ein Kennenlernwochenende auf dem Arenberg Ende April. An diesem Wochenende lernte ich dann das Kloster und die Schwestern zum ersten Mal kennen. Ich war bei den Gebetszeiten und dem gemeinsamen Essen dabei, half ein bisschen im Refektorium mit und tauchte so etwas überfordert und gleichzeitig fasziniert schon mal ein bisschen in die Klosterwelt ein. Ich war dabei sehr überrascht, mit wieviel Vertrauen ich gleich bei der Ankunft neben dem Zimmerschlüssel auch einen Klausurschlüssel (und einen Schlüssel für das Schwimmbad – mega schön, denn ich liebe es schwimmen zu gehen) bekam und dass mir selbst bei der Aussage, dass ich in den drei Monaten auch mal gern am Sonntag einen evangelischen Gottesdienst besuchen würde, lächelnd versichert wurde „auch die evangelische Grundversorgung sei hier sichergestellt“ (zur nächsten evangelische Kirche läuft man 15 bis 20 Minuten zu Fuß). Da ich bisher kaum mit Klöstern und Ordensgemeinschaften zu tun hatte, hatte ich zwar auch viele Vorurteile gespart, aber so viel Vertrauen und Offenheit überraschte mich dann doch. Und natürlich habe ich mich riesig darüber gefreut.
Danach wurde es dann allerdings deutlich bürokratischer, denn die zwischen Ordensgemeinschaft und Teilnehmer getroffenen Vereinbarungen werden in einem Vertrag, den beide Seite jederzeit beenden können, festgehalten. Bis die Vertragsentwürfe für die verschiedenen Konstellationen da waren, wir eine halbwegs passende Variante ausgesucht hatten, diese Vorlage dann durch die Gemeinschaft befüllt war und ich schließlich noch die letzten offenen Punkte auf mich als Beamtin angepasst hatte, war es Ende Juni 2023 geworden. Und dann kam das große Finale – der Antrag auf eine Nebentätigkeitsgenehmigung in der Behörde. Denn auch, wenn wie in meinem Fall, eine Mitarbeit ohne Vergütung, sondern lediglich für Kost und Logie, erfolgt, stellt dies eine durch den Dienstherrn zu genehmigende Nebentätigkeit dar. Nicht nur für Ausstehende klingt das schon etwas skurril 😉. Aber auch wenn die Mitarbeit in einem Kloster für den zuständigen Kollegen sicher zu den ungewöhnlicheren Vorgängen gehörte, so war nach ein paar Rückfragen Ende Juli die Genehmigung da und der Papierkram endlich geschafft. Fazit: Sieben Monate Vorlaufzeit für drei Monate Klosteraufenthalt. Hier sollte man wirklich eher früher als später mit den Vorbereitungen starten. Aber alles war rechtzeitig fertig und so konnte ich am ersten September mit meinem freiwilligen Ordensjahr starten.
#3 Aaaaaaahhh … Katholiken
Ich weiß nicht, wer sich außer mir noch an die Folge aus der Serie „Die Simpsons“ erinnert, in der Homer seine Tochter Maggie vor der Tür eines Nonnenklosters absetzt. Als sich die Klostertür öffnet und eine der Nonnen heraustritt, ruft Homer nur noch „Aaaaaaahhh … Katholiken“ und rennt schreiend davon. Witziger Weise haben wir uns u.a. diese Folge gemeinsam im Kloster bei einem Simpson-Abend angesehen (ja, auch manche Ordensschwestern gucken gerne die Simpsons), doch das ist eine andere Geschichte. Aber es gab schon ein paar wenige Momente, in denen ich Homers Reaktion ein gaaaanz kleines bisschen verstehen konnte.
Da ich als evangelische Christin durch das Kennenlernwochenende ja schon ein bisschen wusste, was da im Kloster auf mich zu kommt, habe ich im Sommer schon mal die Gelegenheit genutzt, mich über „das Katholische“ schlau zu machen. Und während ich etwas über die stille Anbetung, den Rosenkranz und den Ablauf einer Messe las, stellte ich mir wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben die Frage, was mich eigentlich evangelisch macht. Der Stempel der evangelischen Kirche auf meiner Taufkunde? Oder dass ich mich in einem Gottesdienst nicht bekreuzige? Das wären ziemliche traurig Antworten auf diese Frage. Aber je mehr ich über die katholische Konfession las und auch je mehr ich praktisch in den kommenden Monaten im Kloster erlebten sollte, desto mehr wurde mir klar, was mir an meinem Glauben und auch an meiner Kirche wichtig ist. Denn auch, wenn ich keine Pfarrerin werden möchte, so ist es mir doch sehr wichtig, dass Frauen diesen Beruf gleichberechtigt ausüben können. Mir ist im Gottesdienst eine gute Predigt wichtig. Und nicht zuletzt ist es mir wichtig, mir an Stelle von Dogmen selbst die Frage zu stellen, was ich glaube und glauben kann, so anstrengend das manchmal auch sein mag. Es ist schon interessant, dass es erst eine Zeit in einem katholischen Kloster braucht, damit ich mir Fragen zu meiner evangelischen Identität stelle, aber manchmal führen eben auch verschlungene Wege ans Ziel.
Die Schwestern auf dem Arenberg gingen übrigens sehr entspannt mit der ganzen Sache um. Ich bekam immer wieder den Satz zu hören, „Mach einfach mit, was für dich okay ist“. Das setzt allerdings voraus, dass man selber weiß, was für einen selbst in Ordnung ist. Kurzum: je besser man sich selber kennt, desto einfacher kommt man meines Erachtens auch in einem neuen und fremden Umfeld klar. Sehr dankbar um meine Recherche im Voraus, stellte ich dann schnell für mich fest, dass das Bekreuzigen für mich komplett klar geht oder dass eine Verneigung vor dem Altar für mich in kurzer Zeit selbstverständlich wurde. Innerhalb der ersten Woche, in der ich mir erstmal vorgenommen hatte, alles einmal auszuprobieren, fand ich aber auch schnell meine eigenen Grenzen. Der Rosenkranz ist einfach nicht mein Format und das Ausmaß an Marien- und Heiligenverehrung in einem katholischen Kloster übersteigt das für mich praktizierbare Level bei weitem. Auch den Einsatz von Weihrauch würde ich nicht ernsthaft vermissen. Aber trotzdem bin ich sehr froh darum, nicht wie Homer Simpson schreiend davongelaufen zu sein. Ich habe mich noch nie so evangelisch gefühlt wie in der Zeit im Kloster und diese Erkenntnis, in der eigenen Konfession zu Hause zu sein, ist doch ein wunderbares Fazit.
#4 Mitleben
Die Homepage des freiwilligen Ordensjahres beschreibt diese Zeit als ein mitleben, mitbeten, mitarbeiten und mitlernen in einer Ordensgemeinschaft. Was dieses Mitleben in einer Gemeinschaft allerdings in der Praxis bedeutet, konnte ich mir vor meiner Ankunft nicht so richtig vorstellen. Als ich am ersten September im Kloster ankam, wurde ich direkt im Noviziat, dem Wohnbereich der Ordensschwestern in Ausbildung, einquartiert. Was sich im Laufe der Zeit als gute Unterkunft mit WLAN, eigener Dusche und sehr netten Nachbarn (Danke, Gloria und Waltrudis!) erweisen sollte, war in den ersten Tagen durchaus auch ein Problem. Denn neben zwei großen Fenstern in Richtung Süden in einem echt warmen September, hatte ein Schwarm Wespen den Dachvorsprung unter meinen Fenstern als Bauplatz für ihr Nest auserkoren. Kaum war eines der Fenster auf, hatte ich gleich mehrere Wespen im Zimmer. Zu Hause wäre ich einfach in die nächste Drogerie gegangen und hätte in maximal einer halben Stunde ein Fliegengitter gekauft und vor den Fenstern installiert. Hier zog sich der Prozess „zuständige Schwester informieren – Fliegengitter online bestellen – Lieferung – leider falsche Größe bestellt, die kleiner als das Fenster war – Retour – neues Fliegengitter bestellen – Lieferung – bis zur Ankunft bei mir“ über fast zwei Wochen, in denen ich die Wahl zwischen wespenfreier Hitze oder dem Lüften mit Wespenbesuch hatte. Mitleben in einer Gemeinschaft ist manchmal auch herausfordernd 😉.
Allerdings überwogen die guten Seiten des Gemeinschaftslebens doch sehr schnell. Ich fand es super nachmittags gemeinsam schwimmen zu gehen, im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt zu diskutieren und gemeinsam zu lachen. Das gemeinsame Essen im Schweigen, bei dem es entweder Musik oder eine Tischlesung gab, war zu Beginn zwar etwas ungewohnt, es wurde aber schnell zur willkommenen Normalität. Und das das Leben in Gemeinschaft auch bedeutet, dass man seine Bierflaschen im Gemüsefach des Kühlschrankes mit seinem Namen beschriften muss und es selbst dann noch unklar ist, ob man sie jemals wiedersieht, kannte ich noch aus meinen Zeiten im Studentenwohnheim. Ich erinnere mich gern an einen Theaterbesuch in Koblenz, das gemeinsame Pommes-Essen, einen Bowlingabend und einen Konventsausflug mit dem Schiff auf dem Rhein.
Eines Abends unterhielten wir uns beim Abendessen am Noviziatstisch darüber, wann man in der Gemeinschaft angekommen ist und die Aussage einer Schwester dazu fand ich sehr treffend. Sie sagte „Du bist hier angekommen, wenn sich die Schwestern mit dir streiten. Nur zu Gästen ist man immer lieb!“. Nach diesem Maßstab haben die drei Monate auf jeden Fall gereicht um in der Gemeinschaft anzukommen und wirklich mitzuleben, denn auch wenn es wenig Streitereien und Konflikte gab, so lief es auch nicht immer mit allen Schwestern komplett harmonisch ab.
#5 Mitarbeiten
Wie bereits gesagt, das freiwillige Ordensjahr ist kein Klosterurlaub mit Rund-um-Versorgung. Es war von Beginn an klar, dass ich im Kloster mithelfe. Im Kennenlerngespräch ging es dann u.a. auch darum, welche Arbeit ich mir vorstellen könnte. Da ich Gartenarbeit hasse – ja hasse – ich habe als Jugendliche für meinen Geschmack einfach zu viel Zeit im elterlichen Garten mit Unkraut zupfen, Rasenmähen und anderen, nach 14 Tagen komplett verpufften Aktivitäten zugebracht. So entschied ich mich für die Mitarbeit in Refektorium (dem Speisesaal der Schwestern) und falls benötigt in Küche und Gästebereich. Ich hatte als Schülerin in den Ferien immer mal wieder im Hotel gejobbt und hätte nie gedacht, dass mich diese Arbeit aus Putzen, das Frühstücksbuffet mitvorbereiten, Putzen, Meldezettel abheften und ja … Putzen mal auf einen Aufenthalt im Kloster vorbereitet.
So ergab sich in den 3 Monaten ein bunter Mix an Aufgaben, der vom Fegen und Wischen von Refektorium und Fluren (und so ein Kloster hat einiges an Fluren zu bieten), über das Putzen von Gästezimmern im Mutterhaus bis zum Kekse backen für das Klostercafe reichte. Ein paar Tage half ich in der Küche beim Salat waschen und Gemüse schneiden mit, ein paar Tage stapelte ich dreckiges Geschirr in die Spülstraße ein und phasenweise kümmerte ich mich darum, dass Mittagessen aus der Küche abzuholen, den Müll raus zu bringen und Kaffee zu kochen. Mit dem Frühdienst am Freitag und dem Kaffeekochen am Nachmittag habe ich in meiner Klosterzeit locker 100 Kannen Kaffee gekocht. Falls das mal reicht …
Vertraglich hatten wir 30 Stunden Mitarbeit pro Woche vereinbart und hin und wieder kam ich auch in die Nähe dieser Zahl. In den meisten Wochen habe ich jedoch weniger gearbeitet. Es war arbeitstechnisch daher, verglichen mit meinem „normalen Leben“ eine sehr entspannte Zeit.
Und falls sich beim Lesen dieser Beiträge jemand fragt, warum sie alle im Rückblick auf mein freiwilliges Ordensjahr geschrieben sind, so hat die Antwort auch mit dem Thema Arbeit zu tun. In meiner beruflichen Tätigkeit sitze ich quasi Vollzeit am Rechner. Daher habe ich meine Klosterzeit auch als Zeit ohne Laptop und mit weniger Smartphone angelegt. Zumindest etwas digital detox sollte es schon sein. Und daher mussten diese Beiträge eben bis nach den drei Monaten Ordensjahr warten.
#6 Mitbeten
Mein Bruder fragte mich zu Beginn meiner Klosterzeit einmal, wie denn so ein typischer Klostertag mit den ganzen Gebeten aussehen würde. Und ich antwortete ihm „das ist fast jeden Tag verschieden“. Das führte bei ihm zu einigem erstaunen, denn wie vermutlich viele andere Menschen auch, dachte er, der Tagesrhythmus in einem Kloster sei jeden Tag gleich. Aber während es am Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag eine Frühmesse um 7 Uhr gibt, ist die Messe am Dienstag und Donnerstag abends. Die Laudes, das gemeinsame Morgengebet, beginnt daher an Tagen mit einer Frühmesse um 6:30 Uhr und sonst um 7 Uhr. Außer dienstags, da ist ausschlafen angesagt. An Tagen mit einer Abendmesse, an die sich dann direkt das Abendessen anschließt, gibt es danach die Vesper als letztes gemeinsames Gebet am Abend. An den anderen Tagen findet erst die Vesper, dann das Abendessen und abschließend die Komplet statt. Vier Mal in der Woche gibt es ein gemeinsames Rosenkranzgebet, drei Mal pro Woche eine Stunde stille Anbetung. Und um die Verwirrung komplett zu machen, gibt es im Noviziat eine gemeinsame Meditation am Morgen vor der Laudes, an der ich gerne teilgenommen habe, aber nur von Montag bis Freitag. Und an Feiertagen gilt im Kloster in der Regel die Sonntagsordnung. Alles klar soweit?
Aber alles halb so schlimm, denn zum Glück hängt im Flur neben dem Refektorium eine große Tafel, an der jeden Tag das Tagesprogramm und hilfreicher Weise auch der Wochenplan aushängt. Die anfängliche Verwirrung wurde so Woche für Woche weniger und irgendwann wusste ich auch ohne Tafel, wo wann welches Gebet stattfindet.
Bevor ich am ersten September mit meinem freiwilligen Ordensjahr begonnen habe, hatte ich schon leise Zweifel, wie ich auf diesen Umfang von mindestens zwei Stunden, an manchen Tagen sind es auch drei und mehr Stunden gemeinsame Gebetszeit reagiere. Überforderung? Aggression? Langeweile? … Dem evangelischen Gemeindeleben sind schon tägliche Gottesdienste, wie es sie oft in katholischen Gemeinden gibt, komplett fremd. Erstaunlicher Weise hat der Wechsel von gemeinsamer Meditation, Chorgebet und stiller Anbetung über den Tag für mich aber sehr gut funktioniert. Lediglich mit den katholischen Messen hat ich zwischenzeitlich zu kämpfen, aber nach einigen Wochen hatte sich das glücklicher Weise auch wieder gelegt. Der Rosenkranz, der mit seinen permanenten Wiederholungen auf die meisten Menschen beruhigend wirkt, ist allerdings nicht mein Format. Mich machen schon weniger als 50 Ave Marias unruhig und innerlich aggressiv. Da aber selbst die Schwestern frei entscheiden können, ob sie an den gemeinsamen Rosenkranzgebeten teilnehmen möchten oder nicht, war ich nicht die Einzige, die erst zur Vesper im Schwesterchor erschien.
Nach den drei Monaten mit soviel gemeinsamen Gebeten stellt sich jetzt für mich die Frage, was ich aus dieser Zeit gebetstechnisch mitnehme. Zum einen hat das Chorgebet, wie es auf dem Arenberg praktiziert wird, jetzt einen weiteren Fan. Wenn ich in Zukunft dort bin, werde ich dort auf jeden Fall dabei sein. Zum anderen hat die Meditation einen festen Platz in meinem Alltag gefunden. Ich genieße es, den Tag mit mindestens einer halben Stunde Gebet und Meditation ausklingen zu lassen. Und ich finde es sehr schön am Sonntag wieder den evangelischen Gottesdienst mit den für mich liebgewonnenen Liedern, dem gewohnten Ablauf und auch den bekannten Gesichtern zu besuchen. Vielleicht kriegt, mit etwas mehr Abstand zu meiner Klosterzeit, sogar der Rosenkranz noch einmal eine zweite Chance, dann allerdings in anderer Form. Ich habe gelesen, dass es auch einen Christusrosenkranz gibt, der in den 1960iger Jahren von der protestantischen Michaelsbruderschaft entwickelt wurde. Der kommt ganz ohne Ave Maria aus 😉. Mal sehen …
#7 Mitlernen
Das Eintauchen in eine fremde Welt ist immer eine gute Gelegenheit um etwas Neues zu lernen. Und das hat auch auf dem Arenberg wunderbar funktioniert. Mal haben wir, wie bei der Noviziatsexkursion nach Schönstatt, gemeinsam Neues erfahren, mal von einander gelernt und so gegenseitig unser Wissen z.B. zum Reformationstag und zu Allerheiligen erweitert. Und auch, wenn das Lernen oft gar nicht im Vordergrund stand, so geschah es fast automatisch nebenbei. Wir haben am Freitagabend gemeinsam das Evangelium des kommenden Sonntags gelesen und diskutiert und so viel über die Sichtweise des Gegenübers gelernt. Am Samstagabend wurde bei Tee oder Wein in der Rekreation ein bisschen über Gott und viel über die Welt gesprochen. Bei den Mahlzeiten sorgte die Tischlesung morgens und mittags für einen Wissenszuwachs und hin und wieder sahen wir uns am Sonntagnachmittag gemeinsam einen Film an. Außerdem ließen mir die meist freien Nachmittag genug Zeit um zu lesen und so z.B. etwas über die Ordensgeschichte oder die Texte von Meister Eckhardt zu erfahren.
Zudem ist es bei den Schwestern üblich, dass am Sonntagabend über Veranstaltungen oder Reisen berichtet wird, an denen einzelne Schwestern teilgenommen haben. So erfuhr ich einiges über die Missionsarbeit in Bolivien, spazierte in Gedanken mit zwei Schwestern über den Jakobsweg und lernte etwas über den dominikanischen Noviziatsaustausch in Rom. Diese sonntäglichen Erfahrungsberichte sind meines Erachtens ein schönes Format, da so das Wissen und die Erfahrungen einer Einzelnen den Weg in die Gemeinschaft finden.
Und auch das gemeinsame FOJ-Wochenende in Trier, bei dem ich zum ersten Mal die anderen Teilnehmer des freiwilligen Ordensjahres kennenlernen durfte, war eine Zeit des Lernens. Zum einen über das Benediktinerkloster St. Matthias und die Regel des heiligen Benedikts, zum anderen aber auch über die Erfahrungen der anderen Teilnehmer und die Gemeinschaften, in denen diese mitlebten. Und natürlich habe ich auch den Schwestern auf dem Arenberg am Sonntagabend davon berichtet.
#8 Mitfeiern
Die Homepage des freiwilligen Ordensjahres beschreibt diese Zeit als ein mitleben, mitbeten, mitarbeiten und mitlernen in einer Ordensgemeinschaft. Aus irgendeinem Grund wurde dabei allerdings das „Mitfeiern“ vergessen. Vielleicht wird in anderen Klöstern weniger gefeiert als auf dem Arenberg, vielleicht ist das aber auch der Insider-Tipp am freiwilligen Ordensjahr. Aber auf jeden Fall verdient auch das Feiern hier seinen Platz. Schließlich wusste schon Demokrit im antiken Griechenland „Ein Leben ohne Feste ist wie eine lange Wanderung ohne Einkehr.“.
In mein Vierteljahr auf dem Arenberg fielen ganz unterschiedliche Feste, die alle auf ihre Weise sehr schön waren. Los ging es für mich am Ende meiner ersten Klosterwoche mit dem Fest „Maria Geburt“, an dem die Professerneuerung von Sr. M. Kathrin gefeiert wurde. Eine der Schwestern erklärte mir lachend, dass feiern im Kloster vor allem viel schlafen, viel beten, viel essen und ganz viel erzählen bedeutet. Ich muss rückblickend sagen, dass sie die Sache sehr treffend zusammengefasst hat. Da das erste gemeinsame Gebet erst um 7 Uhr stattfand, konnten alle länger schlafen. Dann folgte ein Wechsel aus Beten (Laudes, Hochamt mit Professerneuerung, Sext, Vesper und Komplet) und Essen (Frühstück, Umtrunk nach der Professerneuerung, Mittagessen mit weißen Tischdecken, Wein und mehreren Gängen, Festkaffee mit Waffeln und Abendessen). Und während an normalen Tagen an zwei der drei Mahlzeiten geschwiegen wird, wurde an diesem Tag fast durchgängig erzählt.
Auf diesen vielversprechenden Start folgten verschiedene Namenstage und Geburtstage, das „Oktoberfest“ mit Schwestern und Mitarbeitern in Lahnstein und verschiedene katholische Feste wie St. Martin oder Allerheiligen. Mal war es „nur“ ein Festfrühstück, mal ein ganzer Festtag, immer war es ein schönes Erlebnis. Und egal, ob eine der Schwestern Schokolade spendierte oder im Refektorium eine Runde Schnaps ausgab, auch ich war immer willkommen. Und so habe ich zum Dank auch eine Runde anlässlich meines Abschieds ausgegeben. Da meine letzte Mahlzeit vor der Abreise allerdings das Frühstück war, habe ich mich gegen den Schnaps und für die Schokolade entschieden.
#9 neugierige Freunde und Kollegen
Nachdem der Urlaub und der Zeitausgleich für die Überstunden bei meiner Chefin eingereicht und von ihr genehmigt worden war – es ist schon ein tolles Gefühl, wenn das Zeiterfassungssystem 63 freie Werktage anzeigt 😉 – musste ich mich um die sukzessive Übergabe meiner Aufgaben an die lieben Kollegen kümmern. Und natürlich fielen jetzt auch zunehmend Planungen im Freundeskreis in „meine Klosterzeit“. Ich stand damit vor der Frage, was ich von meinen Plänen erzählen wollte. Die Tatsache, dass ich mir nicht sicher war, wie es im Kloster läuft und ob ich dort wirklich drei Monate durchhalte, und auch der Ruf der katholischen Kirche machten die Sache nicht gerade besser. Aber natürlich kam aus meinem Umfeld sehr schnell die Frage „Was machst du denn in deinem Sabbatical?“.
Ich entschied mich, von meinen Plänen zu erzählen und war von dem Interesse, den positiven Rückmeldungen und den vielen Fragen wirklich überrascht. Am aller meisten verblüffte mich allerdings, dass die Kollegin, die am aller wenigsten mit Religion und Kirche zu tun hat, die Klosterzeit am besten zusammenfasste. Während viele andere über „drei Monate im Schweigen“ (Nein!), ein buddhistisches Kloster (freiwilliges in ein katholisches Kloster zu gehen kam gleich mehreren Freunden überhaupt nicht in den Sinn) oder eine „Klosterauszeit ohne Handy und Internet“ (auch Nein!) nachdachten, sagte sie ganz lakonisch „Naja, 3 Monate nur beten und arbeiten – für mich wäre das nix“. Es kamen aber auch ganz andere Fragen wie „Ist so eine Klosterauszeit nicht sehr teuer?“ (Nein, ist sie nicht. Ich habe für Kost und Logie im Kloster mitgearbeitet, bezahlt habe ich nichts) oder „Bei wie vielen Gebeten am Tag musst du denn dabei sein?“ (Diese Frage kann ich bis heute nicht richtig beantworten. Ich habe in der ersten Woche alles mitgemacht und danach das gemeinsame Rosenkranzgebet für mich für beendet erklärt. Beim Chorgebet und der Messe war ich fast immer mit dabei. Ich weiß nicht, was ich an Gebeten hätte schwänzen müssen, damit die Gemeinschaft sich irgendwann fragt, was ich da eigentlich will).
Der schönste Nebeneffekt der Ankündigung meiner Klosterauszeit war allerdings, dass wir uns in ganz verschiedenen Konstellationen meist zum ersten Mal über Glaube, Religion und Kirche, aber auch über Belastungen bei der Arbeit unterhalten haben. Ich wünsche mir, dass das in Zukunft auch ohne eine Klosterauszeit weiter funktioniert.
#10 Abschied
Schließlich war es soweit - es kam der erste Dezember und mein freiwilliges Ordensjahr war zu Ende. Der Koffer war gepackt und ein Zug für die Rückfahrt ausgesucht. Und obwohl ich „nur“ drei Monate im Kloster mitgelebt hatte, fiel mir der Abschied schwer. Nicht, weil ich unbedingt länger bleiben wollte. Ich freute mich auf die Rückkehr in „meine Welt“, darauf, wieder mehr eigene Entscheidungen zu treffen, Freunde und Kollegen wieder zu sehen, meine richtige Arbeit zu machen und endlich wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen. Aber ich hatte drei Monate lang tolle Menschen kennengelernt und mit ihnen ihren durchaus intensiven Alltag geteilt.
Ich wollte nach dem Frühstück aufbrechen und war ganz überrascht, als mein Abschied wie der Namenstag einer Ordensschwester mit Kerze und weißer Tischdecke als Ehrenplatz neben der Generalpriorin „gefeiert“ wurde. Auch die vielen kleinen Abschiedsgeschenke von Süßigkeiten über einen „Wackeljesus“, Origamipapier und tolle Briefe und Karten bis zu einem kleinen Nagelkreuz fand ich sehr, sehr lieb. Na gut, die „Wackeljesus“-Figur ist total kitschig und ein realistischer Kandidat für das nächste Schrottwichteln, aber alles andere war wirklich toll. Und als ich mich dann nacheinander von den Schwestern verabschiedet habe, kamen schließlich auch mir die Tränen.
Aber das Schöne an einem solchen Abschied ist ja, dass man einmal wiederkommen kann. Und so steht schon jetzt im Klosterkalender und in meinem eigenen, dass ich zu Karneval im Kloster zu Besuch komme. Und auf die Frage, ob ich mich auch auf einer Karnevalsparty im Kloster als Hexe (mein Lieblingskostüm!) verkleiden dürfe, bekam ich lächelnd als Antwort „Du bist uns sogar in einem Martin Luther Kostüm willkommen“. Ob diese Entspannung auch dann anhält, wenn ich 95 Thesen an der Klostertür befestige, weiß ich allerdings nicht. Vielleicht wäre es einen Versuch wert 😉.
#11 Fazit
Ich weiß nicht, ob einen halben Monat nach dem freiwilligen Ordensjahr schon der richtige Zeitpunkt für ein Fazit ist, denn was ich wirklich für meinen Alltag mitnehmen kann, werde ich wahrscheinlich erst in den nächsten Wochen und Monaten so richtig sehen. Aber rückblickend auf meine Klosterzeit kann ich auf jeden Fall sagen, dass sie gut war. Und das gleich in vielerlei Hinsicht. Sie war zum einen ein Eintauchen in eine andere Welt, die mir ganz neue Einblicke in das Klosterleben mit seinem Alltag, seinen Prioritäten und seinem Blick auf Gott und die Welt bot. Sie war aber auch Abstand zu meiner Arbeit und meinem Alltag mit seinen Verpflichtungen und ja, auch seinen Annehmlichkeiten. Und sie war zwangsweise auch eine Zeit mit viel weniger Kontakt zu Familie und Freunden. Diese Zeit hat mir gezeigt, was mir wichtig und wie schön Vieles mein Leben gerade alles so beinhaltet. Auch wenn die große Erleuchtung leider ausgeblieben ist, so war in dieser Zeit glücklicher Weise auch nichts von inneren Dämonen, Zweifeln an der eigenen Zukunft oder dem Wunsch nach fundamentalen Veränderungen im Leben zu sehen. Für mich war es eine ruhige Zeit um neue Kraft zu tanken und viele neue Impulse zu sammeln.
Ich bin in den letzten Wochen ein paar Mal gefragt worden, ob ich ein freiwilliges Ordensjahr oder eine mehrmonatige Auszeit in einem Kloster empfehlen könne. Ja, ich kann sie empfehlen, aber nicht ohne Einschränkungen. Wer sich Ruhe und Entspannung von dieser Zeit erhofft, der wird sich mit diesem stark strukturierten Tagesablauf, der das erste gemeinsame Gebet spätestens um 7 Uhr morgens vorsieht, wahrscheinlich schwertun. Wer Einsamkeit sucht oder endlich mal Zeit haben möchte um sich ganz seinen eigenen Bedürfnissen zu widmen, der ist in einer so stark von Gemeinschaft mit all ihren Unternehmungen, Konflikten und Routinen dominierten Umgebung wahrscheinlich auch nicht glücklich. Und nicht zuletzt wer mit Glauben und Gebet nichts anfangen kann, für den ist ein Kloster sicher auch keine einfache Welt. Aber wer bereit ist, sich auf diese Welt einzulassen, der kann meiner Meinung nach in einem freiwilligen Ordensjahr viele gute Erfahrungen machen und tolle Menschen kennenlernen. Vielen Dank an die Schwestern auf dem Arenberg und AUF WIEDERSEHEN.
Kristina
Maria, die Muttergottes, ist für mein Glaubensleben existentiell wichtig. Ich verehre sie, nicht nur, weil sie ein vorbildhaftes Glaubensleben und ein tiefes Vertrauen auf Gott gelebt hat, sondern in erster Linie, weil sie meinem und unserem Herrn, Jesus Christus, das Leben geschenkt hat.
Und weil sie das Urbild der Kirche, das Idealbild des erlösten Menschen ist, vertraue ich ihr gerne meine Anliegen an.
Und da Jesus sie uns durch die Gestalt des Lieblingsjüngers Johannes anvertraut hat, sehe ich in ihr tatsächlich auch meine Mutter.
Ja, eigentlich scheint alles so logisch, so einfach, so schön.
Doch dann stolpere ich im Advent immer über dieses sperrige "Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria".
Wenn ich das hier so schreibe, plagt mich schon ein schlechtes Gewissen, weil die Unbefleckte Empfängnis zu den unwiderruflichen Dogmen gehört, zu denen jeder Katholik verpflichtet ist, sie zu glauben. Wobei das eigentlich nicht mein Problem ist. Ich glaube, dass Maria ohne Erbsünde empfangen wurde und Gott sie von Anfang an geheiligt und auserwählt hat. Es ist etwas anderes, das ich nicht verstehe, und ich tröste mich damit, dass es wohl dominikanische Tradition sein muss, seine Schwierigkeiten mit der Unbefleckten Empfängnis zu haben ;-)
[Thomas von Aquin etwa sah in der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis, die vor allem durch den Franziskaner Johannes Duns Scotus gefördert wurde, eine Herabstufung der Göttlichkeit Christi. Thomas glaubte zwar an eine Heiligung Mariens, nicht aber an ihre Sündenfreiheit, denn sonst wäre sie nicht erlösungsbedürftig gewesen. Die Befreiung von der Erbsünde aber konnte erst nach dem Erlösertod Christi geschehen. Er schreibt: "So hätte sich die allerseligste Jungfrau niemals die Makel der Erbsünde zugezogen, wenn sie auf irgendeine Weise vor ihrer Beseelung geheiligt worden wäre. Dann aber hätte sie auch nicht der Erlösung und des Heils durch Christus bedurft." (STh III, Q.27, Art.2)]
Was ich nicht verstehe ist, dass dieses Fest nicht der göttlichen Logik entspricht, dass Gott gerade das sündhafte erwählt (z.B. Berufung des Zöllner Matthäus), mit den Schwachen und Unfähigen arbeitet (z.B. Mose, der Stotterer) und sich ihnen offenbart (Mt 11,25), sich nicht zu schade ist in einem Stall/einer Krippe zur Welt zu kommen und sich in Jesus ständig von Sündern umgeben lässt, sogar "Freund der Zöllner und Sünder" (Lk, 7,34) genannt wird.
Scholastisch gesprochen wäre die Lösung dieses Problems wohl so: Es war nicht notwendig Maria von der Erbsünde zu befreien, aber angemessen. So ist auch die Begründung in der Bulle Ineffabilis Deus, die das Dogma 1854 verkündete: "Und es war auch ganz entsprechend, dass sie stets im Glanze vollkommenster Heiligkeit strahlte, dass sie sogar frei blieb von der Makel der Erbsünde" (3).
Für meine Begriffe eine etwas "platte" Begrünung - "es war angemessen" - , aber da kann ich schon mitgehen. Es widerspricht zwar immer noch ein wenig dem, was sich in der Heilsgeschichte offenbart hat, nämlich, dass Gott es nicht nötig hat, auf sündenfreie Menschen zu setzen, aber ich gebe zu, wenn der Sohn Gottes schon in die Welt kommt, ist er es wert einem Menschen anvertraut zu werden, der ihn ohne jegliche Bosheit im Herzen liebt und umsorgt.
Das zweite Problem, vor dem ich an diesem Fest stehe, ist die Frage nach der Freiheit.
Wenn Maria nicht von der Erbsünde betroffen war, d.h. nicht ins Böse verstrickt war, dann ist es ja vollkommen klar, dass sie den Willen Gottes erfüllen konnte. Eigentlich hat sie dann - salopp gesagt - nichts Großes vollbracht; sie konnte ja nicht anders als immer nur der Gegenwart Gottes Raum zu geben, mit ihm in Beziehung zu sein.
Ich frage mich, ob es nicht ein viel stärkeres Zeichen gewesen wäre, wenn eine ganz "normale" Frau es geschafft hätte, Gott so viel Raum zu geben, dass der Erlöser durch sie zur Welt kommen konnte?!
Aber vielleicht ist es auch so, dass die Befreiung von der Erbsünde erst wahre Freiheit ermöglicht, weil wir eben nicht von niederen Gedanken, vom Bösen getrieben sind, sondern, wie in Genesis steht Gut und Böse zu unterscheiden wissen. Erst, wenn Gut und Böse klar erkannt werden können, ist eine wirklich freie Entscheidung möglich.
Also ein bisschen unklar ist mir der Sinngehalt dieses Festes noch immer, wobei ich es aufs erste dabei belassen kann, dass die Heilsgeschichte, ja Gott selber, immer ein Stück unbegreiflich bleiben wird. Was mich an diesem Fest wiederum freut, ist die Zusage, dass wir alle einmal wie Maria von aller Verstrickung in das Böse befreit sein werden. Das heiligmäßige Leben der Gottesmutter ist nicht deswegen heilig, weil sie so toll und fromm war, sondern weil Gott an ihr Großes getan hat.
Vielleicht geht es bei dem Fest auch gar so sehr um Spekulationen und "Was wäre wenn"-Fragen, sondern um das Ausstrecken nach dem wahren, heilen Menschsein.
Gott wirkte es an Maria. Gott wird es an uns wirken.
Und ich hoffe für mich persönlich, dass ich eines Tages dieses Hochfest, von dem ich glaube, dass es seine Richtigkeit hat - diesen Vertrauensvorschuss schenke ich der Kirche -, mit ganzem Herzen feiern kann; Ich hoffe, dass Gott es mir schenkt, dass ich den Sinngehalt des Festes irgendwann verstehe - nicht im Kopf, sondern im Herz; Und ich hoffe, dass Gott mir vergibt, falls ich hier allzu häretisch geworden bin.
Sr. M. Clarita
Als wir als Familie am 19. April 2005 gebannt vor dem Fernseher auf den ersten öffentlichen Auftritt des neuen Papstes warteten, sprang ich in der ganzen Aufregung plötzlich auf, um mir diesen Namen zu notieren. Ich wollte ihn nicht vergessen, noch nicht ahnend, was wir mir dieser Mann einmal bedeuten würde.
18 Jahre später knie ich als Novizin ergriffen und den Tränen nahe vor dem Grab jenes großen Mannes, dessen bürgerlichen Namen ich mir als 7-jährige auf einen Zettel geschrieben habe: Joseph Ratzinger.
Leider spalten sich an ihm die Gemüter. Für die einen ist der starke „Verteidiger des Glaubens“, für die anderen Sinnbild einer rückständigen, erzkonservativen und lebensfernen Kirche, oder wie der Spiegel ihn betitelte „der mächtigste Widersacher aller reformfreudigen Katholiken“ [1], am liebsten verdeutlicht am Tragen des Kamauro, der Hermelinmütze.
Ja, ich gebe zu, natürlich stand Benedikt XVI. für einen traditionellen Glauben, aber auch ein Joseph Ratzinger hat eine Geschichte. Zum Beispiel scheint zunehmend in Vergessenheit zu geraten, dass er als junger, hoffnungsvoller 35-jähriger Theologe am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahm und am Abend des Konzils den Auftaktvortrag hielt. Theologe Jan-Heiner Tück beschreibt diesen als „ein Votum für mehr Pluralität innerhalb der einen katholischen Weltkirche, […] um eine verkrustete nachtridentinisch enggeführte Traditionsgestalt aufzubrechen.“[2] Während des Konzils trat Ratzinger zusammen mit Karl Rahner, Hans Küng und Johann Baptist Metz als Reformer auf, etwa indem er für die Abschaffung der lateinischen Messe plädierte.
Oder wie er die Studenten in Tübingen mit seiner Vorlesung „Einführung in das Christentum“ in den Bann zog, weil er sich wirklich den Fragen der Zeit stellte. „Man kann versuchen, mit Problemen fertig zu werden, indem man sie einfach negiert oder indem man sich ihnen stellt. Der eine Weg ist bequemer aber nur der zweite führt weiter.“[3]
Das ist Joseph Ratzinger.
Im Theologiestudium begegnete mir Ratzinger nur mäßig und eher als Beispiel für einen allzu konservativen Glauben. In meinem Auslandssemester in Irland ein ganz anderes Bild. Da sollten wir in Dogmatik seinen ersten Band von „Jesus von Nazareth“ lesen und dazu eine Rezension schreiben. Ich gebe zu, auch das entspricht nicht ganz dem wissenschaftlichen Niveau und der intellektuellen Auseinandersetzung, aber immerhin haben ihn mal in original gelesen statt immer nur über ihn zu Hören, wie rückständig er doch sei.
Letztlich steht Joseph Ratzinger für mich zusammen mit Karl Rahner für einen der bedeutendsten Theologen des 20. Jhds. Ich bewundere, wie er den Fragen auf den Grund ging und bis zum Schluss dem Geheimnis Gottes ganz weiten Raum gab. Er litt nicht an dieser Theologen-Krankheit, die Gott mal eben auf dem Seziertisch auseinander nimmt. Karl Rahner sprach sechs Wochen vor seinem eigenen Tod genau über dieses Problem der Theologie:
„Im praktischen Betrieb der Theologie vergessen wir das immer wieder. Wir reden von Gott, von seiner Existenz, […] von drei Personen in Gott […] und so fort. […] Aber bei diesem Reden vergessen wir dann meistens, dass eine solche Zusage immer nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen. Die unheimliche Schwebe zwischen Ja und Nein als den wahren und einzig festen Punkt unserer Erkenntnis aushalten und so unserer Aussagen immer auch wieder hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber.“[4]
Am meisten berührt, als ich an seinem Grab war, hat mich, dass jener große Christ, Theologe und Papst nun IHN sehen darf, über den er ein ganzes Lebens lang nachgedacht, geschrieben und mit dem er gelebt hat und nach dem er sich gesehnt hat.
Und wenn ich seine Worte über den Tod lese, dann freue ich mich, dass er nun ihn schauen darf, den er ein Leben lang gesucht hat.
„In der Tat - eines ist gewiss: Es gibt eine Nacht, in deren Verlassenheit keine Stimmte hinabreicht; es gibt eine Tür, durch die wir nur einsam schreiten können: das Tor des Todes. Alle Furcht der Welt ist im Letzen die Furcht dieser Einsamkeit. […] Der Tod ist die Einsamkeit schlechthin. Jene Einsamkeit aber, in die die Liebe nicht mehr vordringen kann, ist die Hölle. Damit sind wir wieder beim unserem Ausgangspunkt angekommen, beim Glaubensartikel vom Abstieg in die Hölle. Dieser besagt, dass Christus das Tor unserer letzten Einsamkeit durchschritten hat [...]. Wo uns keine Stimme mehr erreichen kann, da ist Er. Damit ist die Hölle überwunden, oder genauer: Der Tod, der vordem die Hölle war, ist es nicht mehr. Beides ist nicht mehr das Gleiche, weil mitten im Tod Leben ist, weil die Liebe mitten in ihm wohnt. […] Das Sterben aber ist kein Weg in die eisige Einsamkeit, die Pforten der Scheol sind geöffnet.“[5]
Wenn ich solche Zeilen lese, dann freue ich mich, dass Joseph Ratzinger ihn nun ihn sehen darf, jenen Gott, der immer Geheimnis bleibt, jenes Geheimnis, das er verkündigt und bezeugt hat, jenes DU, das auf ihn gewartet hat.
RIP Joseph Ratzinger
+ 31.12.2022
Sr. M. Clarita
[1] 50 Jahre Vatikanisches Konzil: Der Wandel des Joseph Ratzinger - DER SPIEGEL (Abrufdatum: 05.12.2023)
[2] (735) Der Unbequeme - Joseph Ratzinger, der Glaube und die Welt von heute - YouTube, Min 6:11 (Abrufdatum: 05.12.2023)
[3] Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, Augsburg 2007, S. 277.
[4] (735) Karl Rahner "Erfahrungen eines katholischen Theologen" (1984) - YouTube , Min 8:15 (Abrufdatum: 05.12.2023) Später fügt er selbstkritisch hinzu: „Ich möchte nur bekennen, dass ich als einzelner armer Theologe bei aller meiner Theologie zu wenig an diese Analogheit aller meiner Aussagen denke.“
[5] Ratzinger, Einführung in das Christentum, S.283.
Vom 9.-15. November lud das historische Institut des Predigerordens in Kooperation mit DSE (dominican sisters europe) zu einer Studientagung für Novizinnen und Schwestern mit zeitlicher Profess in Rom ein.
Diese Gelegenheit wollten wir uns nicht nehmen lassen und so machte sich das Noviziat (Sr. M. Ursula, Sr. M. Gloria, Sr. M. Clarita) und Sr. M. Filomena aus Datteln auf den Weg nach Rom.
Aus ökologischen Gründen fuhren wir mit dem Zug und waren zu unserem eigenen Erstaunen sehr überrascht, dass es sich im Nachtzug doch einigermaßen komfortabel reisen lässt :-)
Als wir in Rom ankamen, machten wir uns zuerst auf den Weg in die Kirche Santa Maria sopra minerva, wo unsere "große" Schwester, die hl. Katharina von Siena, begraben ist. Und natürlich mussten wir sehr bald einen obligatorischen Cappuccino-Abstecher machen ;-)
Bereits am Nachmittag starteten wir mit dem ersten Vortrag durch fr. Augustin Laffay OP, der über die Anfänge des Predigerordens und die Spiritualität des hl. Dominikus sprach. In den Kaffeepausen nutzen wir die Möglichkeit einander besser kennen zu lernen. Wir waren eine bunte, internationale Gruppe bestehend aus 21 Schwestern aus England, Ungarn, Spanien, Frankreich und Deutschland. Manchmal gab es zwar Sprachbarrieren, aber zur Not kam man mit einem Mix aus englisch-italienisch-französisch gut zurecht. Eines der Highlights der Romreise war der Vortrag von fr. Paul Murray OP, der ganz fantastisch die dominikanische Spiritualität in drei Worten zusammengefasst hat: Gnade, Freiheit, Freude.
In den nächsten Tagen vertieften wir uns in weiteren Aspekten der dominikanischen Spiritualität, so etwa im Bereich "Predigen durch Kunst". Fra Angelico, der übrigens ebenfalls in Rom beerdigt ist, ist ganz klar der bekannteste dominikanische Künstler und doch gibt es viele weitere Brüder und Schwestern, die durch künstlerische Arbeit das Evangelium verkündeten. Bewegt hat uns auch das Thema "Gerechtigkeit und Frieden" im Predigerorden. Wir lernten nicht nur einzelne Individuen des Dominikanerordens kennen, die in außerordentlicher Weise für Gerechtigkeit und Frieden eingetreten sind - fr. Dominique Pire OP (1910-1969) erhielt für seine Arbeit bspw. den Friedensnobelpreis - sondern stellten uns auch die Frage, wie wir zu Gerechtigkeit und Frieden in der Welt beitragen können.
Neben dem gemeinsamen Studium und Austausch, beteten wir auch als Gruppe das Stundengebet und feierten Eucharistie zusammen. Mal in dieser, mal in jener Sprache, aber immer geeint in dem einen Gebet der Kirche.
Ein weiteres Highlight war die Begegnung mit fr. Gerard Timoner OP, dem Ordensmeister der Dominikaner. Zwar sind die apostolischen Schwestern rechtlich nicht dem Ordensmeister unterstellt, da wir eine Generalpriorin haben und als Kongregationen meist bischöflichen oder päpstlichen Rechts sind, und dennoch ist es auch für uns sehr besonders den Ordensmeister, als Leiter des Predigerordens und Nachfolger des hl. Dominikus zu treffen. Fr. Gerard zeigte uns auf eindrückliche Weise, dass das Ordensleben gar nicht so duster in die Zukunft blickt, wie wir manchmal meinen. Vor 100 Jahren etwa, als der Dominikanerorden das 700-jährige Bestehen feierte, gab es unter 5000 Brüder weltweit, während wir heute die 5000 Marke überschritten haben. Durch seine humorvolle, bodenständige, spirituelle und nahbare Weise hat uns fr. Gerard sehr beeindruckt.
Da man nicht alle Tage an einem so schönen Ort wie Rom tagt, nutzen wir auch die Möglichkeit das dominikanische Rom zu erkunden: Neben Santa Maria sopra minerva, besuchten wir Santa Sabina - den Sitz des Dominikanerorden - ,das Angelicum - die ordenseigene Universität des Ordens, - und nahmen am Angelusgebet mit dem Papst teil. Am Sonntag feierten wir Eucharistie im Petersdom mit und hatten dann einen freien Nachmittag vor uns, den wir damit verbrachten, verschiedene Dinge in Rom anzuschauen. So war mir wichtig, das Grab von Papst Benedikt XVI. zu besuchen und die "Verzückung der hl. Teresa" von Bernini anzuschauen.
Unvergessen war auch unser Abend am Trevibrunnen, nicht nur weil wir mit unseren roten Clownsnasen (es war der 11.11) viel Freude verbreiteten, sondern viele Menschen auf uns als Schwestern zukamen, Selfies machen wollten und uns Gebetsanliegen anvertrauten. Und dann spielte auch das Wetter noch so gut mit, dass wir Rom in vollen Zügen genießen konnten.
Großer Dank geht an Sr. Sabine Schratz OP für die großartige Organisation und an alle Referent*innen.
Sr. M. Clarita
Die Heiligenverehrung scheint eines der katholischen "Markenzeichen" schlechthin zu sein und doch muss ich sagen, dass auch ich Probleme mit bestimmten Formen von Heiligenverehrung habe. Manchmal scheint es mir, dass Gläubige manchen Heiligen mehr zutrauen als Gott. Dazu tragen natürlich auch bestimmte Patronate bei: Odilia bei Augenkrankheiten, Florian bei Feuer, Christophorus auf Reisen, Judas Thaddäus bei hoffnungslosen Fällen und natürlich der allseits beliebte Antonius bei Verlust von Gegenständen. Die Absurdität mancher Patronate (z.B. für das Gedeihen von Bohnen – hl. Sixtus II., gegen bösartige Ehefrauen – hl. Guntmar, gegen die Qualen des Fegefeuers – hl. Ursula, gegen Froschplage – hl. Herveus, gegen Mückenstiche – Rosa von Lima, Heilige, die FÜR Regen zuständig sind und welche die GEGEN Regen zuständig sind), trägt dazu bei, dass das Thema Heiligenverehrung einen bisweilen magischen Touch bekommt. Verständlich, dass dies einige Christen recht kritisch beäugeln.
An Allerheiligen bricht für mich am aller deutlichsten hervor, worum es bei der Heiligenverehrung bzw. der Heiligkeit geht. Der Tag richtet den Blick darauf hin, wofür wir berufen sind. So drückt Johannes es aus: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden.“ (1Joh 3)
Schon jetzt sind wir Kinder Gottes, schon jetzt sind wie Heilige (so spricht Paulus seine Gemeindemitglieder an) durch die Taufe und den Glauben an Christus. Und in der ewigen Gemeinschaft mit Gott werden ihm ähnlich sein, d.h. heilig sein, wie er heilig ist.
Ich lese gerne die Briefe des Apostels Paulus, denn Paulus war der erste Jünger des Herrn, der Christus nicht mehr leibhaftig begegnet ist. Er ist für mich sozusagen das Urbild des Jüngers. Ich finde es zwar auch spannend im Evangelium von den Frauen und Männern zu lesen, die unmittelbar mit Jesus unterwegs waren, aber für mein persönliches Christsein, dass ich eben lebe ohne Jesus direkt begegnet zu sein, ist Paulus für mich Gefährte; steht er doch vor derselben Situation wie ich: Christi Botschaft leben wollen ohne historischer Zeuge seines öffentlichen Wirkens, seines Todes und seiner Auferstehung zu sein. Ihm sind viele, viele Menschen gefolgt. Frauen und Männer allen Alters, aller Charaktere, aller Jahrhunderte, in Kriegen und Friedenszeiten, in Wohlstand und Armut, im Kloster und im normalen Arbeitsalltag, sind auf ihre Weise Jesus nachgefolgt. Das ist für mich Heiligkeit: Christus nachfolgen im Hier und Jetzt.
Gerade bei den Heiligen unserer Zeit ist es durch eine bessere Quellenlage einfacher nachzuvollziehen wie sehr diese Menschen genauso Menschen waren wie wir. Der sel. Pier Giorgio Frassati bspw. war ein leidenschaftlicher Bergsteiger und träumte davon – so wie ich – eines Tages das Matterhorn zu besteigen. Der sel. Carlo Acutis spielte gerne Playstation, der sel. Karl Leisner verliebte sich, während seines Freisemesters in Freiburg, worauf er zwei Jahre mit sich rang, wohin sein Weg nun führen würde. Die hl. Mutter Teresa war eine Powerfrau und dennoch hätte ich sie nicht gerne als Oberin gehabt, zeugen ihre Briefe doch von einem strengen und sehr fordernden Charakter.
Dass die Heiligen uns ähnlich sind und auch ihre charakterlich und persönlich schwierigen Seiten hatten, machen sie für mich nahbarer und dann kann ich der Idee der Patronate sehr viel abgewinnen. Denn die Patronate haben ja meistens etwas mit dem Leben des Heiligen zu tun. Es tut gut zu wissen nicht alleine zu sein in manchen Schwierigkeiten des Alltags. Es gibt Mut, dass viele andere Menschen vor ähnlichen Herausforderungen standen und sie im Vertrauen auf Gott gemeistert haben.
Als ich während des Studiums zum dritten mal zur Lateinprüfung antreten musste, hatte ich die Möglichkeit am Grab des hl. Hieronymus in Bethlehem zu sein, der die Bibel vom Griechischen ins Lateinische übersetzt hat. Ich kann nicht sagen, ob es Glück, Fleiß oder die Fürsprache des hl. Hieronymus war, weshalb ich die Prüfung bestanden habe, aber in dem Moment habe ich mich trotzdem dem Heiligen sehr verbunden gefühlt.
Auch die Liturgie erschließt für mich einen wichtigen Aspekt der Heiligenverehrung. Die Oration zu dem jeweiligen Gedenktag ist nie an den/die Heilige/n direkt gerichtet, sondern an Gott. Gott wird in dem Gebet gelobt für das, was er an dieser oder jener Person Großes gewirkt hat. Und dann wird um seine oder ihre Fürsprache bei Gott gebetet. Das heißt nicht, dass man sich nicht direkt an einen Heiligen wenden kann, aber für mich kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck, worum es geht: Dass Gott an uns handelt, dass Gott uns heiligt macht, dass Gott uns denselben Mut etc. schenkt, den er dieser Christin/diesem Christen vor uns geschenkt hat.
Ich mag Allerheiligen: Die Würde der Berufung des Getauften, die Vielfalt an christlichen Lebensweisen, die Wertschätzung des Verborgenen, die Menschlichkeit der Nachfolge, aber immer das brennende Herz für das Evangelium.
Sr. M. Clarita
Für manche Menschen ist der Sinn des Glaubens an Gott, einen Halt in schwierigen Zeiten, eine Stütze für das eigene Leben, eine Art Lebensbewältungsstrategie zu haben.
Ich würde lügen, wenn ich all diese „Effekte“, die der Glaube haben kann, leugnen würde. Aber nur für ein bisschen mehr Halt im Leben würde ich nicht ins Kloster gehen. Oft denke ich mir sogar, dass mein Leben ohne Gott vielleicht nicht so anstrengend wäre. Vielleicht hätte ich dann weniger hohe Ideale, weniger Regeln und mehr Zeit, weil ich nicht so viele Stunden in der Kirche beten, singen und schweigen würde... Diese Überlegungen spiegeln mir wie wenig es im Glauben um Effizienz geht. Es geht um Beziehung.
„Leben mit einem nie gesehenen schweigenden Geliebten“ schreibt Huub Oosterhuis in der Übersetzung von Psalm 42.
Mich berührt diese Formulierung sehr: Ein Gott, der fern und doch so nah ist. Ein Fremder und doch ein Geliebter. Einsamkeit und Intimität. Vielleicht denken einige Menschen, dass wir Ordenschristen gar keine Probleme in unserer Gottesbeziehung haben. Schließlich geben wir diesem Gott ja ganz schön viel Zeit und Raum in unserem Leben.
Seit ich im Kloster bin, ist mein Glaube an Gott viel tiefer in der Krise (im positiven Sinn) als jemals zuvor. Sein Leben auf einen Gott zu setzen, den man weder gesehen noch gehört noch angefasst hat, wirft umso mehr Fragen und Zweifel auf. Was, wenn dieses Leben total sinnlos ist? Wie Freundschaft mit Jesus leben, wenn ich mein Gegenüber nicht fassen kann? Wie eine Beziehung leben, wenn das DU in einem Nebel verschwimmt?
Und dann das Schweigen Gottes. Diese Ur-Erfahrung des gläubigen Menschen. Schwieriger als an Gott zu glauben ist es an einen schweigenden Gott zu glauben. Zumindest einer, den ich zeitweise als schweigend wahrnehme.
Mir fällt dann oft der Songtext von Adel Tawil ein, der diese Ur-existenziellen Fragen nach dem Sein, nach Geborgenheit, nach Sinn stellt:
Ist da jemand, der mein Herz versteht?
Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt?
Ist da jemand?
Ein Text von Papst Franziskus macht mir immer wieder Mut diesen Glauben, dieses Schweigen, diese Krisen und Fragen zuzulassen, ja mich sogar darüber zu freuen, dass mich ein schweigender Gott überhaupt bewegt und nicht einfach kalt lässt:
Ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ist ein Glaube in der Krise.
Ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube der wachsen muss.
Ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen.
Ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss.
Ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“
(Papst Franziskus)
Die Antwort auf diese Hinterfragungen zielt wie immer auf den Kern unseres Glaubens: die Liebe.
Vor Gott verstummen alle Sinne, denn Gottes Sprache ist die Liebe. Ich bin nicht im Kloster, weil ich Wunder gesehen habe, sondern weil die Liebe mich – mit den Worten Jesajas – gepackt und überwältigt hat. Es ist ein Wagnis dieser Liebe zu trauen. Aber das Gute ist, diese Liebe hält auch sehr viel aus.
Und dann kann ich leben mit einem „nie gesehenen schweigenden Geliebten“. Dann ist die Liebe stärker als das Schweigen, stärker als das Nicht-Sehen und Nicht-Hören.
Sr. M. Clarita
Haben Sie schon einmal die Stille gehört?
Merkwürdige, fast paradoxe Frage, mag man sich jetzt vielleicht denken, aber ich glaube wirklich, dass man die Stille hören kann: Innerlich und Äußerlich.
Im vergangenen Jahr hab ich mit einem Freund die Benediktenwand bestiegen. Es war Mitte Februar; nicht die beste Zeit zum Bergsteigen. Immer wieder stürzten wir unterwegs ein – Tiefschnee. Das Gehen war mühsam und wir kamen nur langsam voran. So haben wir es auch nicht mehr rechtzeitig vor Anbruch der Dunkelheit nach unten geschafft und mussten den Abstieg mit Stirnlampen im Mondschein bewältigen. Nach endlosem Gehen blieben wir einmal mitten im Wald stehen und dort hörte ich sie: die Stille. Kein Autobahnrauschen, kein Ticken einer Uhr, kein Vogelgezwitscher – NICHTS. Man hörte die absolute Stille. Momente, die man wohl nur mitten im Nirgendwo erfahren kann.
Ich bin nicht der einzige Mensch, der die Stille hörte. Henri Nouwen hörte sie auch, so heißt zumindest sein gleichnamiges Buch und ich glaube er hörte noch viel tiefer. 7 Monate verbrachte er in einem Trappistenkloster und dokumentierte seine innere Reise in einem Tagebuch, das später als Buch veröffentlicht wurde. Wenn man die Stille hört, dann begegnet man sich selbst. Oft erkenne ich mich selbst in seinen Gedanken wieder. So beschreibt er nach ca. einem Monat im Schweigekloster von seinem Erschöpfungsgefühl, seiner Reizbarkeit, Frustration und Niedergeschlagenheit. Sein Begleiter „antwortete sehr sympathisch. Zunächst einmal erklärte er mir, dass dies vorauszusehen war. Er sagte, dass er selbst ein ganzes Jahr gebraucht habe, um sich an das frühe Aufstehen zu gewöhnen, und dass körperliche Arbeit, der Verzicht auf Fleisch und andere Umstellungen im Lebensstil zu Müdigkeit, Depressionen, psychosomatischen Beschwerden und Zweifeln über die Berufung führen können, wenn die Anfangsbegeisterung verschwunden ist.“[1]
All dies kann ich nach einem Jahr im Kloster gut nachfühlen - nicht in dieser Intensität, aber ja, diese Momente gibt es.
Das Wichtigste folgt aber noch: „Von da an, wo das monastische Leben nichts Neues mehr bringt, wo die Umgebung einem keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenkt und einem nichts Interessantes mehr in Beschlag nimmt, wird dieses monastische Leben schwierig. Dann tut sich der Raum für Gebet und Askese auf.“ [2]
Und dann kommt er am 12. Juli zu der Erkenntnis:
„Wenn du weiterhin begierig zum Postfach gehst, in der Hoffnung, dass irgendeiner da draußen an dich gedacht hat; wenn du dich immer noch fragst, ob deine Freunde an dich denken und was sie von dir denken; wenn du weiterhin den heimlichen Wunsch hast, irgendwie eine außergewöhnliche Person dieser Kommunität zu sein […] wenn du dir immer noch interessantere Arbeit und mehr unterhaltsame Ereignisse erhoffst – dann weißt du, dass du noch nicht einmal angefangen hast, für Gott ein wenig Raum in deinem Herzen zu schaffen.
Wenn dir niemand mehr schreibt; wenn kaum mehr einer auch nur an dich denkt oder sich fragt, wie es dir wohl geht; wenn du nur noch einer der Brüder bist und dieselben Dinge tust wie sie, nicht besser und nicht schlechter […] – vielleicht sind dann dein Herz und dein Geist leer genug geworden, um Gott eine echte Möglichkeit zu bieten, dir seine Gegenwart kundzutun.“ [3]
Zugegebenermaßen klingt das auch für mich ziemlich steil – schließlich ist es ja mit Recht ein Grundbedürfnis des Menschen geliebt und gebraucht zu sein. Die Kernaussage aber, dass wir uns mit allem Möglichen ablenken und mit allem Möglichen um uns kreisen, ist durchaus etwas Abzugewinnen. Ich glaube solche Erkenntnisse kann man nur in der Stille haben, dort wo NICHTS mehr ist, wo ich ansatzweise mich selbst und meine kleine Welt vergessen kann, wo nur noch "Ich und Gott" bleibt. Liest man solche Erfahrungen mit der Stille mag man vielleicht auch denken, dass man sich ihr lieber nicht aussetzen will. Sie scheint ja doch irgendwie gefährlich. Ich denke, in den Erfahrungen Nouwens kommt zum Vorschein, was Jesus einst sagte: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32).
In der Stille begegnen wir der Wahrheit; der Wahrheit über uns, über unsere Grenzen und Bedürftigkeit, aber auch der Wahrheit, die Gott selbst ist, und die sich in all dem Bahn brechen will.
Sr. M. Clarita
"So sehr hat Gott die Welt geliebt, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat." (Joh 3,16)
Am Fest der Kreuzerhöhung (14.10) hören wir dieses Evangelium von Jesus im nächtlichen Gespräch mit Nikodemus. Hängen geblieben bin ich in diesem Jahr am Wort "zugrunde gehen". Ein zweideutiges Wort: Einerseits Sterben, andererseits "zum eigenen Herzensgrund gehen".
Zurzeit befinde ich mich im Noviziat, einer Zeit bei der vieles zu Grunde geht und gehen darf - Freundschaften, mein Gottesbild, mein Selbstbild, meine Identität,...
Aber es ist nicht jenes zugrunde gehen - jene Vernichtung von der Jesus spricht, sondern es ist viel mehr ein zum Grunde gehen: Hin zu den tiefer liegenden Schichten meiner Seele, zu dem, was im Alltag sonst so schnell verdrängt wird, zu dem, was man gerne mit Ablenkungen jeglicher Art weghaben will. Da kommen Themen hoch, Wunden hoch, die als längst verschüttet galten. Was mich vorher ausgemacht hat, ist nicht mehr: Vom Tun zum Sein. Von der Oberfläche zur Tiefe.
"Meister, Meister, wir gehen zugrunde!" (Lk 8,24) Mit diesen Worten wird Jesus geweckt als er sich auf einem zugrundegehenden (= hier im wahrsten Sinne des Wortes: auf den Grund eines Gewässers sinken) Schiff mit seinen Jüngern befindet. Sofort steht er auf, stillt den Sturm und rettet vor dem Zugrundegehen. Gott will nicht die Vernichtung des Menschen!
Bei der Berufung der ersten Jünger hingegen, fordert Jesus Petrus auf, dorthin zu fahren, wo der See tief ist (Lk 5,4). Nur dort werden sie Fische im Überfluss fangen, nur dort im tiefen Gewässer können sie sich selbst auf den Grund gehen: "Geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr" (Lk 5,8), so die plötzliche Erkenntnis des Petrus. Ja, das auf-den-Grund-gehen des eigenen Seins kann schonmal weh tun, allzu schmerzlich sein und dennoch steckt keine Vernichtung dahinter. Es ist wie mit dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, bevor es Frucht bringt. (Joh 12,24)
Es ist nicht besonders angenehm dabei seinem eigenen Ab-Grund, zu begegnen; es ist manchmal extrem schwer sich selbst auszuhalten und dann sich immer und immer wieder Gott hinzuhalten.
Und dennoch, der Gottessohn selbst ist zugrunde gegangen, wurde vernichtet, damit wir nicht zugrunde gehen, sondern in IHM auf unseren tiefsten Grund hinabsteigen dürfen, in der Zuversicht, das er selbst dort auf uns wartet - "Hinabgestiegen in das Reich des Todes".
Petrus ist für mich ein Meister des zu-Grunde-gehens. Immer wieder stößt er an seine eigenen Grenzen, muss ständig auf den Grund seiner Selbst gehen, sehr bildlich greifbar bei seinem Gang auf dem Wasser. Doch gerade dort, wo er wortwörtlich sinkt und zugrunde geht, streckt ER seine Hand aus und wird gerettet - "Auferstanden von den Toten".
Haben wir den Mut zu Grunde gehen, in welcher Form es uns auch immer möglich ist. Ich habe die feste Hoffnung bei all dem Schmerz, der da auch zu Tage kommt, gleichzeitig mit dem Psalmist beten zu können:
"Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern." (Ps 18,17)
"Ich wäre zugrunde gegangen, wäre ich nicht zu Grunde gegangen."
(Sören Kierkegaard)
Sr.M.Clarita
Ansprache von Sr. M. Scholastika zur Professerneuerung von Sr. M. Kathrin
"Von Herzen freue ich mich am HERRN.
Meine Seele jubelt über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils, / er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich festlich schmückt / und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt."
(Jes 61,10)
Liebe Schwester M. Kathrin,
wir hörten die Lesung von den Laudes zum Fest Maria Geburt. Ich wähle sie, weil sie überschwängliche Freude ausdrückt über eine Wirklichkeit, die uns geschenkt ist: wir sind bekleidet, umgegeben und eingehüllt in Heil und in Gerechtigkeit. Darin dürfen wir gehen. Darin darfst Du gehen, da hinein darfst Du neu Dein JA sprechen.
Dein JA ist umhüllt von diesem Gewebe der Liebe GOTTES, DU bist hineingewoben, hineingenommen in diese göttliche Wirklichkeit und Gegenwart. Wir wünschen Dir so sehr tiefstes Glück in diesem Leben.
Als Juniorin webst Du auch die Fäden Deines Alltags zusammen: Gemeinschaft und Alleinsein, Gebet und Stille, Arbeit und Freizeit. Du prüfst mit uns, ob dieses Gewebe Dich tief innen glücklich macht. Bei aller Gebrochenheit der Gemeinschaft, auch in der Erfahrung des eigenen Verwundetseins. Jede von uns kennt diese unsere Konstitution – leiblich und seelisch. Wir sind nie fertig, Gemeinschaft ist nie fertig, sie ist immer im Werden, auch durch Dich. Jede von uns prägt sie mit durch ihre Präsenz.
Mitten im Alltäglichen, Gewöhnlichen, zuweilen auch Banalen wünschen wir Dir dieses tiefe, innere Glück, liebe Schwester M. Kathrin. Das hat nichts zu tun mit „Glück gehabt“. Es ist kein Haben, Glück ist kein Besitz. Glück ist eine innere Wirklichkeit in uns, die ihre Schwestern hat, die Frieden heißen, Liebe und Freude.
Leo Fijen, ein bekannter niederländischer Moderator, hat mit unzähligen Brüder und Schwestern aus vorwiegend kontemplativen Klöstern seines Land Gespräche geführt, und er schreibt als eine Erkenntnis:
"Ein Kloster ist ein Weg, um glücklich zu werden. Versteht man diesen Weg zu nutzen, passt man dorthin. Aber daneben existieren sehr viele andere Wege, und immer muss es der eigene Weg sein, der uns zum Glück führt. Ist er das nicht, dann ist er nicht der richtige. Dann darf man nicht ins Kloster gehen, denn dann kann man dort nicht glücklich werden. Was heißt Leben? Was heißt Liebe? Was ist das Geheimnis des Lebens? Um solche Fragen geht es: Ich lebe und ich entscheide mich für das Kloster, weil es für mich der beste Ort ist, um nach der Antwort auf diese Fragen zu suchen. Wenn man sich bindet, gibt es keine Fluchtwege mehr. Und erst dann merkt man, wer man wirklich ist, erst dann kann man sich weiter entwickeln…"
Du, liebe Schwester M. Kathrin, kennst dieses Suchen, dieses Ringen. Du kennst diese Stunden, die uns an die Bruchstelle führen von Bleiben und Gehen, um des Lebens willen und dabei zu erkennen: Das Glück, das wahre Glück liegt noch tiefer. Und nochmals tiefer. In GOTT. Und hoffentlich immer auch in der Gemeinschaft, denn sie will der Boden sein, der Raum, in der Du Deine innerste Bestimmung finden kannst. Auch hier ein Gewebe, in das Du Deinen Faden hineinwebst. Und dieser Faden ist einmalig. Du bist einmalig in unserer Gemeinschaft und doch eingebunden. Dein erneutes JA morgen bindet Dich, bindet Dich ein – in großer Freiheit. Das Ja der Profess bindet, aber diese Bindung ist keine Fessel, sondern will Glück sein. Wir haben in den letzten Tagen betrachtet: ich mache meine Berufung nicht, ich mache mein Leben nicht, muss es nicht selber machen und selber in die Hand nehmen…
Zu Beginn der Exerzitien haben wir ein Zitat von Martin Schleske gehört:
„Bekehrung ist das Glück einer liebenden Kapitulation vor Gott: Ich muss nichts bringen. Alles, was mich begründet, »ist vollbracht« (Joh 19,30). “ Darin dürfen wir uns loslassen, darin ist uns die Kraft geschenkt, zu bleiben, in seiner Liebe zu bleiben: im Verständlichen und Unverständlichen, im Glück und in der Enttäuschung.
Glück wird dort zutiefst erfahrbar - so zeigen es uns große Menschen - wo wir uns geben können. Im besten Sinne selbstvergessen. Schwester M. Kathrin, es wäre kostbar für uns im Mutterhaus, mit Dir ins Gespräch zu kommen nach diesem Jahr, was für Dich Glück bedeutet, im Konvent in Oberhausen und in Deiner Arbeit. Mit GOTT.
Was macht Dich zutiefst glücklich, wer und was schenkt Dir Erfüllung? Zu-Frieden-heit?
Einige von uns wissen, dass Du auf Der Suche bist nach dem Weniger, Du möchtest mit weniger auskommen. Dazu fand ich einen Beitrag von John Düffel in seinem Buch „Das Wenige und das Wesentliche. Ein Stundenbuch."
„Das größte Missverständnis der Askese," schreibt er, "ist der Verzicht. In der Askese der Zukunft die aus keiner Religion kommt
und keinem System dient geht es nicht ums Verzichten. Es geht darum zu erkennen, wie wenig ich brauche.
Was brauche ich wirklich? Askese, in wenigen Worten, ist die Übung der Konzentration auf das Wesentliche, eine Verständigung mit sich über die Frage worauf es ankommt. Das Wenige ist der Weg, um das Wesentliche zu erkennen. Wenn das Wenige dem Wesentlichen entspricht ist das Glück.
Den modernen Asketen leitet kein Glücksversprechen, sondern der Wille, das Richtige zu erkennen und zu tun.
Glück ist eine Form der Übereinstimmung. Eine Übereinstimmung des Tuns mit dem eigenen Denken und Empfinden. Es geht nicht darum, sich glücklich zu fühlen, sondern in Übereinstimmung mit sich zu handeln."
Liebe Schwester M. Kathrin,
diese Übereinstimmung, habe ich den Eindruck, erfährst Du in Deiner Aufgabe, diesem Werk der Barmherzigkeit, Tote zu begraben. Ich sage es heute in dieser Kürze - wir ahnen nur, was das bedeutet. Du sagst: diese Aufgabe ist mir auf den Leib geschrieben.“ Das ist meines. Und für uns ist sie Heilende Liebe.
In Übereinstimmung mit sich zu leben. Auch im Konvent, in dieser ganz konkreten Lebensform. Du gibst Dein JA auf das Jetzt unserer Gemeinschaft, nicht auf das, was werden könnte, was ich mir, wie ich sie mir wünschte: Kein Konjunktiv, sondern Indikativ: Heute und jetzt sagts Du neu Dein JA.
In Übereinstimmung mit sich auch in der Beziehung zu unserem GOTT, der Dich unruhig bleiben lässt, der der Unverfügbare bleibt, der auch eine Zumutung sein kann und dann zu vertrauen: Seine Verheißung gilt: damit Du das Leben hast und in Fülle hast.
Dein JA gilt zuerst IHM.
War Jesus glücklich? Dorothee Sölle bejaht es.
»Ich halte Jesus von Nazareth für den glücklichsten Menschen, der je gelebt hat. Ich denke, dass die Kraft seiner Fantasie aus dem Glück heraus verstanden werden muss. Jesus erscheint in der Schilderung der Evangelien als ein Mensch, der seine Umgebung mit Glück ansteckte, der seine Kraft weitergab, der verschenkte, was er hatte.«
Seine Speise war es, den Willen des Vaters zu tun. Das war Jesu tiefstes Glück – der Wille seines Vaters.
Dieses Glück GOTTES möge Dich finden, und ich wiederhole die Worte von gestern aus dem Buch der Richter, die Gideon in seinen Ängsten von GOTT her vernehmen durfte:
Geh mit der Kraft, die Dir gegeben ist.
Sei gewiss, ich bin mit Dir, ich bin der Gegenwärtige
Ich bin der, der bleibt. In Allem.
Dieses Glück der Weggfährtenschaft wünschen wir Dir von ganzem Herzen
und die Erfahrung, dass Du umhüllt bist mit Heil, Liebe und Segen.
"Alles hat sich gelohnt!" Hatten Sie schon einmal so einen Moment, der Sie alles vergessen ließ? Einen Tabormoment? Einen Moment, den Sie wie Petrus festhalten wollten? Ein Moment des puren Glücks?
Mein Tabormoment war am 29. August 2022 gegen Mittag. Seit zwei Wochen waren wir mit unseren Fahrrädern unterwegs gewesen, gestartet in Augsburg und immer das Ziel im Auge: Der Petersplatz in Rom.
Wir übernachteten, wo wir gerade eine Unterkunft fanden: Unter freiem Sternenhimmel, im Kloster, im Pfarrsaal, im Garten, immer auf unseren Luftmatratzen. Wir ernährten uns von Feigen und Brombeeren, die am Wegesrand wuchsen, kochten abends mit unseren Gaskochern für sieben Leute leckeres Essen und lasen danach immer ein Stück aus dem Römerbrief. Geduscht wurde im See, in Flüssen oder in ausschließlich kalten Duschen in den Unterkünften. Jeden Tag feierten wir Messe, mal am Straßenrand, mal in einer italienischen Dorfkirche, manchmal zusammen mit einer Pfarrei. Eine Stunde am Tag fuhren wir im Schweigen. Von Regenschauer bis brütende Hitze war auch beim Wetter alles dabei. Schon so viel hatten wir hinter uns gelassen: Den Brennerpass, den Gardasee, die Grabeskirche des hl. Dominikus in Bologna, das touristenüberfüllte Florenz, das urige Siena. Heute am 29. August sollten wir Rom erreichen, kaum zu glauben.
Die Nacht haben wir an einem Seeufer übernachtet und wurden am frühen Morgen von Ameisen überrascht, die sich über die Essensreste hermachten. Gestern kamen wir nicht mehr zum Spülen – es war schon spät und dunkel geworden. Wir starteten mit der Messe am Seeufer und fuhren dann los. Kaffeepause in La Storta, 16km vom Petersplatz entfernt. Dann die ersten Vororte Roms. Meine Spannung stieg. Kaum zu glauben wir sind in Rom! Die Straßen kamen mir immer bekannter vor, ein Stück fuhren wir an der vatikanischen Mauer vorbei – es fühlte sich fast so an wie nach Hause zu kommen, es hatte etwas Vertrautes. Schließlich bogen wir in die Via di Porta Angelica ab und fuhren direkt auf die Kolonnaden des Petersplatzes zu. Und dann sah ich ihn: Den großen majestätischen Petersdom. Schon oft habe ich ihn gesehen, aber noch nie war ich so ergriffen wie in diesem Moment. Wir stiegen von unseren Rädern ab – Angekommen.
Dennoch fielen wir uns zunächst nicht um den Hals, auch sagte keiner was. Wir standen nur da. Schweigend vor Rührung, staunend vor dem, was da gerade passiert war. Mir kullerten die ersten Tränen über die Wangen. Menschen, Touristen gingen umher – aber wir standen einfach nur still dort auf dem Petersplatz. Irgendwann läutete es 12 Uhr. Wir fielen uns endlich um den Hals, machten Fotos, beteten den Angelus. Es war ein absolut bewegender, magischer Moment für mich dort am Petersplatz mit meinem Fahrrad zu stehen. Warum? Vielleicht, weil die Radtour von Augsburg nach Rom nicht mehr nur eine Schnapsidee war, sondern Realität. Wir hatten es wirklich geschafft. Plötzlich da. Die Anstrengung der letzten Wochen, der spartanische Lebensstil, die Tränen, der Streit, der Weg, alles hatte sich gelohnt.
Und so schnell wie er kam, verging der Moment der Ergriffenheit auch wieder. Die nächsten zwei Tage verbrachten wir in Rom, fuhren zum Meer, nahmen an der Papstaudienz teil und stiegen schließlich in den Bus, der uns innerhalb einer Nacht den gesamten Weg zurückfuhr, den wir uns mit dem Fahrrad erkämpft hatten.
Alles hat sich gelohnt – Vielleicht hat sich das auch Petrus auf dem Berg Tabor gedacht. Jesus nachfolgen, alles verlassen, umherziehen, umkehren – Alles lohnt sich, weil ER der Messias, der Christus ist. In seiner ganzen Fülle und Majestät zeigte er sich ihm für einen kurzen Moment auf dem Berg Tabor.
Alles wird sich lohnen – Jerusalem. Jesus hat sein Leiden und Sterben vor Augen. Und erlebt nun auf dem Berg ein besonders intensives Erlebnis des Sohn-Seins, das ihm versichert: Es wird sich lohnen. Der ganze Leidensweg lohnt sich, damit auch der Mensch zu dem wird, was er sein soll: geliebter Sohn, geliebte Tochter, geliebtes Kind Gottes.
Es gibt sie, diese Momente, die uns zeigen wofür es sich lohnt. Es lohnt sich nicht wegen des punktuellen Erlebnisses des Glücks, sondern wegen des großen Ganzen. Und doch sind solche Tabormomente immer wieder eine Kraftquelle.
Was lohnt sich für mich? Wofür lebe ich? Für was bin ich bereit viel zu geben?
Sr. M. Clarita
23.März 2022. 12:00 Uhr. Westliche Karwendelspitze.
Ich kann nicht glauben, dass wir tatsächlich umkehren müssen - und dann noch wegen mir. Aber mit jedem weiteren Schritt wurden meine Knie weicher bis ich vor Unsicherheit nicht mehr weiter gehen konnte. Wir waren nicht gesichert und hatten nur Pickel und Grödel als Ausrüstung dabei. Wir hangelten uns an einer schneebedeckten Steilwand entlang auf der Suche nach dem Weg, der von Schnee und Eis völlig bedeckt war. Spuren im Schnee von möglichen anderen Bergsteigern haben wir auch schon lange nicht mehr gesehen. Ich bat darum umzukehren.
Gescheitert? Ja, so kam es mir vor, schließlich haben wir den Gipfel nicht erreicht. Im Gespräch mit meinen sehr verständnisvollen Mitgefährten erkannte ich, wie hochmütig es ist zu denken, man könne jeden Gipfel erreichen, auch wenn er nur 2.385m hoch ist. Eigentlich ist das die Ursünde schlechthin, zu glauben man sei Gott - Hybris.
Es ist gut die Erfahrung zu machen, nicht jeden Berg bezwingen zu können, denn die Natur hat ein Recht darauf unberührt zu bleiben. Wir sind nicht Beherrscher der Schöpfung und ein unvereinnahmender - keuscher - Umgang mit ihr erfordert ihre Grenzen zu achten. Ist dies nicht das Desaster des menschenverursachten Klimawandels? Und ich mittendrin. Der Berg war in diesem Fall stärker als ich. Diese Wahrheit muss ich akzeptieren.
Wir fanden eine schöne Stelle mit traumhafter Aussicht, kochten uns mit einem Gaskocher einen Espresso mit Hafermilch, bauten einen Altar aus Schnee und feierten auf halber Höhe des Berges Eucharistie. Die gewonnen Stunden vergingen wie im Fluge. Keine schlechte Wahl, umzukehren.
22. Juni 2022. 3:00 Uhr. Zugspitze.
Ich habe die Nacht vor Aufregung kaum geschlafen. Immer wieder diese Frage im Kopf "Schaffe ich das?" 2.200hm an einem Tag. "Was, wenn ich Höhenangst bekomme?" Noch immer schwirrten die Tourenbeschreibungen des Aufstiegs via Höllental, die ich mir zuvor im Internet über angeschaut habe durch den Kopf: "Schwere Bergtour", "Trittsicherheit und Schwindelfreiheit notwendig", "anstrengende Bergtour, die sehr gute Kondition erfordert", "nicht für Anfänger geeignet". Zudem war am Nachmittag Gewitter gemeldet - schlechte Voraussetzung, um einen Klettersteig erfolgreich zu meistern.
Aber jetzt war ich nun mal hier, mitten in der Nacht. Wir zogen unsere Stirnlampen an und gingen los. Bei Sonnenaufgang waren wir an der Höllentalangerhütte angelangt. Kurze Pause auf 1.380m zum Umziehen: Klettersteigset, Helm und Handschuhe an. So weit so gut. Mittels einer Stahlleiter ging es 20m fast senkrecht hoch hinauf. Bloß nicht nach unten gucken. Schritt für Schritt. Weiter führte der Weg über das sogenannte "Brett", eine Steilwand mit Trittstiften versehen und atemberaubendem Tiefblick. Ein Fuß nach dem anderen. Ich versuchte nicht allzu oft in die Tiefe zu schauen, auch wenn die Aussicht einfach herrlich war. Kurz bevor wir den Gletscher erreichten, sahen wir ein paar Gämse, die auf dem Geröllfeld, das der Gletscher hinterlässt, umhersprangen. Gletscherüberquerung. Meine Begleiter gingen vor und traten Schritte in das Eis. Ich folgte ihnen. Ganz wohl war mir nicht. Irgendwie schon gefährlich. Von einem zum nächsten Fußabdruck. Dann erreichten wir den letzten Klettersteig, um die fehlenden 600 Höhenmeter zum Gipfel zu bezwingen. Angespannt war ich immer noch und irgendwie zog sich das Stück in die Länge. Doch dann gegen Mittag sahen wir es, das goldene Gipfelkreuz. Weit war es jetzt nicht mehr. Nach 9 Stunden auf den Beinen erreichten wir unser Ziel! Ich konnte es kaum fassen, dass wir es tatsächlich geschafft hatten.
Diese zwei völlig unterschiedlichen Erfahrungen, die ich in den Bergen gemacht habe, versinnbildlichen, was ich an den Bergen so liebe: Ihre Unverfügbarkeit. Ich weiß nie im Vorhinein wie eine Tour ausgeht. Beide Berge haben mir zwei komplett verschiedene Botschaften mitgegeben. Die Zugspitze lehrte mich furchtlos zu sein, Mut zu haben, Risiken einzugehen und an das Unmögliche zu glauben. Die westliche Karwendelspitze hingehen ließ mich meinen Hochmut erkennen und gab mir mit, dass manchmal "Umkehr, der schnellste Schritt voran ist" (C.S.Lewis).
Wie im Leben, wie in der Frage nach der richtigen Entscheidung gibt es kein schwarz-weiss. Mal ist es sinnvoll seine Grenzen zu überwinden, mal ist es gut, realistisch zu bleiben. So sehe ich auch meine Berufung bzw. jegliche Lebensentscheidung gerne im Bild des Bergsteigens. Ich gehe Schritt für Schritt. Mal zaghaft, mal voller Energie. Manchmal wird es notwendig sein meine Grenzen zu überwinden, weiterzugehen, auch wenn es mühsam wird. Dennoch fühle ich mich sicher - gesichert - gehalten - von GOTT. Wenn ich auf dem Weg aber nicht mehr gut gehen kann, ich meinen Halt verliere, einen tödlichen bzw. dem Leben nicht dienenden Weg einschlage, kann es ratsam sein, einen anderen zu wählen. Wie beim Bergsteigen muss ich in gutem Kontakt mit mir selbst sein, um die richtige Entscheidung zu treffen. Ich kann von der Erfahrung anderer lernen, vielleicht auch in ähnliche Fußstapfen treten, aber gehen muss ich alleine - egal ob bergauf oder bergab. Der Gipfel ist dabei nicht unbedingt das Ziel - schließlich steigt jeder Bergsteiger auch wieder vom Berg hinab - sondern den Weg zu finden, auf dem ich gut gehen kann.
Deshalb bin ich so gern in den Bergen, um das Leben zu lernen.
Sr. M. Clarita
"Meine Liebe zu den Bergen wächst von Tag zu Tag mehr. Wenn es meine Studien erlaubten, würde ich ganze Tage in den Bergen verbringen und in dieser reinen Luft über die Größe des Schöpfers nachdenken."
(sel. Pier Giorgio Frassati OP)
Wer an schönen Sommertagen Neuigkeiten aus aller Welt lesen möchte, wird im ePaper von kontinente auf jeden Fall fündig.
In der Mitte des Heftes gibt es eine schöne Reportage über den Park im Mutterhaus - da möchte man doch gleich mal hinfahren.
Und wer noch nicht hinfahren kann, kann hier gerne nachlesen:
https://www.kontinente.org/
Sr. Kerstin-Marie
Letzte Woche haben wir unsere Schwester M. Lamberta zu Grabe getragen, die 68 von ihren 93 Lebensjahren Arenberger Dominikanerin war.
Nachdem sie wegen einer OP im Krankenhaus war, wurde ihr für den nächsten Krankenbesuch eine große Tüte Gummibärchen gekauft, weil sie diese heiß und innig liebte - ihre tägliche Dosis von 7 Gummibärchen war ihr heilig. Die gekaufte Packung wurde allerdings nicht mehr benötigt; Sr. Lamberta wurde heimgerufen.
Doch dann bei der Beerdigung gab es den schönen Moment, dass die Tüte doch noch zum Einsatz kam, als jede neben Weihwasser, auch jene Gummibärchen ins Grab geben konnte.
Fromme Seelen mögen dies vielleicht für unangebracht, unwürdig halten; ich finde es großartig.
"Der Tod macht alle Menschen gleich", lautet ein Sprichwort, das natürlich einerseits stimmt und andererseits mit meiner christlicher Überzeugung, dass jeder Mensch persönlich von Gott mit Namen in dieses Leben gerufen ist und gleichermaßen von diesem Leben zu ihm heimkehrt, nicht übereinstimmt. Wir werden im Tod nicht einfach gleichgeschaltet. Unser Leben wird gewandelt, die Begegnung mit Christus wandelt und doch - so ist meine Überzeugung - bleiben wir Originale mit unseren Eigenheiten, wie die Liebe zu bestimmten Süßwaren ;-) .
Zu schön, um es nicht ganz zu zitieren, was Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe salvi darüber schrieb: "Die Begegnung mit ihm ist es,
die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unserer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeres Stroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen. Aber in dem Schmerz
dieser Begegnung, in der uns das Unreine und Kranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick, die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiß schmerzlichen Verwandlung "wie
durch Feuer hindurch". Aber es ist ein seliger Schmerz, in dem die heilige Macht seiner Liebe uns brennend durchdringt, so daß wir endlich ganz wir selber und dadurch ganz Gottes werden." (SS
47)
Wir werden also zu dem Menschen, den Gott in uns von Anbeginn her gesehen hat.
Der Tod ist traurig, der Tod macht mir Angst und doch gefällt mir der natürliche, hoffnungsvolle und - so wie letzte Woche - auch humorvolle Umgang mit dem Tod, den wir hier im Kloster pflegen.
Gummibärchen - ein Zeichen für die dankbare Erinnerung an einen Menschen, für seine Würde und Eigenart und Zeichen unserer Hoffnung auf die Auferstehung, auf das Festmahl im himmlischen Jerusalem (vgl. Jes 25,6), wo es sicher auch Gummibärchen in allen Farben und Formen im Übermaß geben wird. ;-)
Sr.M.Clarita
„Was macht ihr eigentlich so die ganze Zeit im Kloster? Beten?“, so wurde ich neulich
gefragt. Ja, wir beten im Kloster, aber nicht nur ;-) Und was man im Kloster „so macht“ ist sehr unterschiedlich, nicht nur in den verschiedenen Ordensgemeinschaften, sondern auch im Juniorat und
Noviziat. Ich kann hier nur aus dem Alltag einer Novizin berichten, den ich bisher absolut großartig finde.
Wenn wir gerade nicht auf Werkwoche, Studienreise oder sonstigen Reisen sind - was in der letzten Zeit selten vorkam - beginnt mein Tag um 5:30 Uhr. Gegen 6 Uhr treffen wir uns im Noviziat zur gemeinsamen stillen Meditation, bevor
um 6:30 Uhr die Laudes, als erste offizielle und gemeinsame Gebetszeit beginnt. „Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde“ ist das allererste Wort, das am Morgen gesprochen,
sozusagen in die Stille hinein gesungen wird. Nach der Messe frühstücken wir gemeinsam, aber auch noch schweigend. Der klösterliche Morgen ist von Stille nur so durchdrungen und steht damit ganz
im Dienst den Tag auf Christus hin auszurichten. Manchmal bin ich bei den Gebetszeiten noch sehr müde und nicht richtig wach, auch mal unaufmerksam, aber das Gute ist, dass der Rhythmus des
Morgens gleichzeitig sehr dabei hilft nicht in den Tag „hineinzustolpern“, sondern ihn als ein Geschenk zu empfangen und sich gleich zu Beginn mit dem Schöpfer zu verbinden.
Bevor es in die Arbeitszeit geht, nehme ich mir noch ein paar Minuten, um in der Bibel zu lesen, die für uns als Dominikanerinnen so wichtig wie das tägliche Brot ist.
In der Arbeitszeit gehen wir alle unterschiedlichen Tätigkeiten nach: Sr. M. Gloria arbeitet im Nähzimmer, Sr. M. Ursula in der Seelsorge in unserem Gästehaus und ich bin meistens Kekse für unser Klostercafé am Backen. Manchmal helfe ich auch im Garten, z.B. wenn unsere Soay-Schafe auf die neue Weide umgesiedelt werden müssen und einmal in der Woche hab ich Orgelunterricht. So sind die Vormittage meistens gut gefüllt und es tut gut, dass wir uns um 11:30 Uhr – als Unterbrechung in der Mitte des Tages – wieder zum Gebet versammeln. Beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen hören wir eine Tischlesung, meistens über ein religiöses, gesellschaftliches oder politisches Thema. Zurzeit lesen wir z.B. ein Buch über Frère Roger. Die Mittagspause ist bei mir je nach Tagesform passiv mit Schlafen oder aktiv mit einer Runde Fahrrad fahren gestaltet ;-) Am Nachmittag haben wir Novizinnen Unterricht, bei dem wir uns mit verschiedenen Themen des Ordenslebens (Gelübde, Ordensregel, dominikanische Spiritualität, Ordensgeschichte etc.) auseinandersetzen. Vor der gemeinsamen Vesper um 18 Uhr, gibt es die Möglichkeit in die Anbetung oder zum Rosenkranzgebet zu gehen. Nach dem Abendessen beten wir noch gemeinsam die Komplet, in der wir bei der Salve-Regina-Prozession und dem Singen des O Lumen ecclesiae (einem Gesang zum hl. Dominikus) besonders mit allen dominikanischen Brüdern und Schwestern verbunden sind. Die Komplet ist insofern auch eine besondere Gebetszeit, weil sie im Zeichen der Versöhnung steht, sodass wir als Gemeinschaft, bei allem was am Tag auch war, in Frieden in die Nacht gehen.
Nach der Komplet kann es passieren, dass man von der Noviziatsterasse energische Schreie vernimmt, weil sich Noviziatsleitung und Novizin einen erbitternden Kampf an der Tischtennisplatte leisten. ;-) Irgendwann am Abend kehrt dann aber wieder Ruhe ein, denn schließlich soll nicht nur das erste Wort am Morgen, sondern auch das letzte am Abend Gott gehören.
Manchmal kommen wir abends zum Bibelgespräch, zur gemeinsamen Meditation oder zur Rekreation zusammen.
Der Tag ist also sehr geordnet und strukturiert und ich schätze diese Lebensweise sehr. Das
fällt mir besonders dann auf, wenn wir nicht hier sind. Auch wenn ich fast immer noch gerne ein bisschen weiterschlafen wollen würde, gibt für mich keinen schöneren Start in den Tag als so und der ganze Tag schenkt enorme Freiheit, weil
man sich nicht erst überlegen muss, was man wann macht, sondern durch den altbewährten Rhythmus alles schon da ist. Nicht umsonst gibt es daher den Ausdruck: "Halte
die Ordnung und die Ordnung hält dich."
Sr. M. Clarita
Das werde ich manchmal im Hinblick auf meine Entscheidung Dominikanerin zu sein und zu werden, gefragt. Und mit der Frage verhält es sich wie mit dem Verliebtsein; man kann es einfach nicht erklären. Bei einer Person liebe ich ja auch nicht bestimmte Eigenschaften, sondern die ganze Person. Zwar hatte ich schon bestimmte Vorstellungen oder Kriterien für den zu mir passenden Orden, aber es war weniger ein Suchen von mir als ein "Sich-Finden-Lassen".
Den Dominikanerorden habe ich kennen gelernt als ich 19 Jahre alt war und das Theologiestudium in Freiburg begonnen hab. Zwar schwirrte der Klostergedanke schon mit 15 in meinem Kopf herum, aber den Orden des hl. Dominikus hatte ich dabei überhaupt nicht auf dem Schirm. In Freiburg hab ich mich schnell in St. Martin, einer Gemeinde der Dominikaner, beheimatet gefühlt und hab mich daraufhin näher mit dem Orden befasst.
Fasziniert und nachhaltig beeindruckt hat mich dabei zweierlerei: Erstens, dass Dominikus einen Predigerorden gegründet hat, von ihm selbst aber keine einzige Predigt oder andere bedeutende Texte überliefert sind. Er war ein Mensch, der ganz auf Christus verwiesen hat und dem es nicht um sich, sondern um das Evangelium ging. Und dies zeigt sich auch heute im Orden durch den schlichten und bodenständigen, und trotzdem nicht indifferenten Umgang mit dem hl. Dominikus.
Zweitens: die (theologische) Weite des Ordens. Die Suche nach der Wahrheit ist gleichsam die Identität des Dominikanerordens und ich habe es immer so erlebt, dass alle Fragen gestellt werden dürfen; dass es keine Denkverbote gibt. Und das ist wichtig, wenn man sich auf die Suche nach der Wahrheit macht. Besonders in der Geschichte des Ordens sieht man diese Weite: Von der Mystik Meister Eckharts bis zu theologischen Hochleistungen eines Thomas von Aquin; vom malenden Fra Angelico bis zum Naturwissenschaftler Albertus Magnus hat alles seinen Platz und steht alles im Dienst des Evangeliums. Und das großartigste finde ich ist, dass sich der Orden seit seiner Gründung noch nie gespalten hat. Gerade für die Kirche unserer Zeit ist es so wichtig diese Weite und Einheit zu bewahren.
Die Farben des Ordens sind zwar schwarz-weiß, aber das Denken nicht und das ist einer der Gründe, weshalb ich Dominikanerin bin. Meine Gottsuche soll eine wirkliche Suche sein und keine, in der man schon alle Antworten dogmatisch kennt, weiß wie Gott zu sein hat und was wie geglaubt werden muss. Ich halte grundsätzlich viel von der Lehre der Kirche, aber sie muss selbst erobert, geprüft, durchdacht und in Frage gestellt und nicht einfach auswendig gelernt werden. Und ich glaub im Predigerorden bin ich mit dieser Sehnsucht ganz gut aufgehoben. Deshalb ist der Dominikanerorden für mich der beste Orden der Welt. Man müsste ihn erfinden, wenn es ihn nicht schon gäbe ;)
Sr. M. Clarita
Von Spanien aus ging es über einen (für die Noviziatsleitung obligatorischen) Zwischenstopp in Lourdes zu einer Keimzelle dominikanischen Lebens: Prouilhe. Nachdem wir uns bisher chronologisch in der Zeit vor der Ordensgründung aufgehalten haben, war der letzte Teil unserer Reise von den ersten Aktivitäten des Predigerordens geprägt. In Prouilhe gründete Dominikus das erste Frauenkloster des Dominikanerordens, in dem bis heute Moniales leben. Wortwörtlich auf den Spuren des hl. Dominikus wandelten wir, als wir den „Chemin Saint Dominique“ gingen, der von Prouilhe über Wiesen und Felder hoch nach Fanjeaux führte und den Dominikus oft gegangen ist, wenn er vom einen in den anderen Ort wollte. In Fanjeaux, wo Dominikus Seelsorger war, reifte in ihm die Idee der Gründung eines Frauenklosters. Und wie es für dominikanische Orte fast schon unverzichtbar ist, hat man auch hier einen ganz weiten Blick über die Landschaft und kann bei gutem Wetter sogar die schneebedeckten Pyrenäen sehen.
Von Prouilhe aus besuchten wir unsere Brüder in Toulouse, eine weitere Keimzelle des Ordens. Nicht nur weil hier der große Dominikaner Thomas von Aquin beerdigt ist, sondern weil hier der erste Brüderkonvent entstand: Das Haus des Petrus Seila. Er war einer der ersten Gefährten von Dominikus und stellte der Gemeinschaft sein Haus als Konvent zur Verfügung, dessen Kapelle bis heute erhalten ist und in dem man regelrecht den Gründungsgeist atmen kann. Auch besuchten wir Carcassonne, die kleine, historische Stadt, in der Dominikus predigte Mit unseren zeitlosen Ordensgewändern passten wir in der Tat perfekt zum mittelalterlichen Flair der Stadt 😉. Die Predigttätigkeit von Dominikus war hier allerdings von mäßigem Erfolg gekrönt. Doch auch das sollte man nicht vergessen, wenn man sich mit Heiligen befasst: Die ganz gerade Biografie gibt es zum Glück nicht; auch sie haben Misserfolge und Umwege oder Brüche erlebt. Selbst der Gründer des Predigerordens war wohl nicht immer ein glänzender Prediger!
Der letzte Tag der Wallfahrt war für mich nochmal ein echtes Highlight. Nachdem wir uns von den Schwestern in Prouilhe verabschiedet hatten, ging es schon Richtung Heimat. Dabei machten wir Halt im Musée de la Grand Chatreuse, wo wir eine ganz fantastische Ausstellung über den Kartäuserorden besuchten. Ich habe wieder einmal meine „heilige Faszination“ für diese Lebensform entdeckt, die so existenziell auf Gott verweist. Kartäuser beten, wenn die Welt schläft; sie verlassen ihr Kloster nur zum wöchentlichen Spaziergang und leben ihre Beziehung zu Gott überwiegend in der Stille ihrer Zelle. Wie ein Rahmen, begonnen bei den Zellen in La Tourette bis zu den Zellen der Kartäuser, steht die Frage für mich am Beginn und am Ende der Wallfahrt: Was und Wie viel brauche ich wirklich?
Ganz in der Nähe der Kartause, in Chalais, wohnen dominikanische Moniales in einer atemberaubenden Landschaft. Schon praktisch, wenn man so schönen Orten Familie hat 😉 Chalais war ein wunderbarer Abschluss unserer Reise. Hier das mehrstimmige Stundengebet in der schlichten, aber schönen Kirche zu singen, ließ das Herz höherschlagen.
Dankbar
für die schöne Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern
für die Menschen, denen wir auf dem Weg begegnet sind,
für die dominikanische Familie
den Predigerorden besser kennen lernen zu dürfen,
sind nun wieder auf dem Weg nach Hause, um viele Eindrücke und Inspiritation reicher.
Sr. M. Clarita
P.S: noch ein kleiner Spendenaufruf: Unsere Schwestern in Prouilhe freuen sich sehr über finanzielle Unterstützung für das neue Gästehaus. Weil der Ort so bedeutend für den Dominikanerorden ist, ist es für den Gesamtorden ein Herzensanliegen, den Ort zu erhalten.
Spanien ist das Heimatland des hl. Dominikus und da die Kindheit eine sehr prägende Zeit für einen Menschen ist, haben wir in den vergangenen Tagen in die Umwelt und ersten Lebensjahre unseres Ordensgründers hineingespürt. Nachdem wir an einem Tag über 1100km zurückgelegt haben, kamen wir endlich an unserem Zielort an: Caleruega. Ein kleines, unbedeutendes Örtchen im Norden Spaniens, in dem es bis heute bis auf die Pfarrkirche und zwei Klöster (Dominikaner und Moniales) nichts zu sehen gibt. Obwohl der berühmteste Sohn der Stadt ein bekannter Heiliger ist, hat Caleruega nichts von seinem ursprünglichen ländlichen Charakter verloren. Es passt zu Dominikus, diesem unscheinbaren, schlichten, aber wirkmächtigen Wanderprediger.
Biographisch wissen wir gar nicht so viel über die frühen Jahre von Dominikus, außer dass er als drittes Kind einer frommen Familie geboren wurde (was ihn mir persönlich sehr sympathisch macht 😉 ). Vielleicht ist aber der Ort aussagekräftiger als Daten und Fakten. Wenn man in Caleruega auf dem Hügel San Jorge in 1000m Höhe steht und auf die Weite des Landes sieht, erahnt man, dass er hier die Weitsicht und Weltfreudigkeit kennen gelernt haben könnte, die sich in seiner Ordensgründung und -führung widerspiegelt. Eine wichtige Station seines Lebens fand in Burgo de Osma statt, wo er Augustiner Chorherr wurde. Auch in dort gibt es nicht viel von Dominikus zu sehen, außer seinen Platz im Chorgestühl, aber sein Leben als Ordensmann, das Gebet, die Stille und das Gemeinschaftsleben werden ihm so geprägt haben, dass sie auch in der späteren Gründung des Predigerordens unersetzlich geworden sind.
Besonders schön war es, der dominikanischen Familie vor Ort zu begegnen. An dem Ort, wo Dominikus geboren sein soll, beten und leben seit 1266 (wenige Jahre nach dem Tod des hl. Dominikus) die Moniales (kontemplative Dominikanerinnen). Als Sr. Maria Theresa, die Priorin, uns das Kloster zeigte und wir uns bedankten, schaute sie uns verwundert an: „Ihr seid doch hier zu Hause!“ Auch in Segovia gibt es Moniales – der Konvent wurde noch von Dominikus selbst gegründet – mit denen wir ins Gespräch kamen. Am letzten Abend waren wir zu Rekreation bei den Brüdern eingeladen – spätestens, wenn verschiedene Generationen, Brüder und Schwestern, trotz unterschiedlicher Sprachen zur Rekreation zusammenkommen – einfach aus dem Grund, weil sie Söhne und Töchter des hl. Dominkus sind – und eine gute Zeit gemeinsam haben, lässt sich mehr vom Charisma des Gründers spüren als es in Büchern jemals geschrieben stehen könnte.
Sr. M. Clarita
„Bonjour, ma soeur“ – einen Satz, den wir in den letzten Tag oft zu Hören bekamen. Zusammen mit dem Noviziat unserer Brüder sind wir gerade auf den Spuren des hl. Dominikus in Frankreich und Spanien unterwegs. Frankreich ist so säkularisiert, dass man kaum mehr Ordensleute auf der Straße sieht - umso mehr reagieren die Menschen auf uns, und meistens positiv.
Auf unserer Reiseroute war der erste Halt in La Tourette, einem Dominikanerkonvent, der in den 50ern von Le Corbusier entworfen und entsprechend außergewöhnlich gebaut wurde. Ursprünglich sollte der Konvent ein Studienhaus für die jungen Brüder werden, weshalb es sehr viele Zellen gibt. Leider ist dieser Plan nicht wirklich aufgegangen, sodass die Zellen jetzt auch für Übernachtungsgäste genutzt werden. Auch wir kamen in diesen Genuss und die Zelle war für mich die erste positive „Irritation“, denn sie ist so schmal und so hoch, dass ein „Idealmensch“ (ungefähr die Größe von Sr. M. Ursula ;-)) mit ausgebreiteten Armen jeweils Decke und Wände berührt. Jede Zelle hat einen kleinen Balkon, der jeweils rechts und links durch eine Wand eine Abgrenzung zum Nachbarbalkon schafft. Neben Bett und Schreibtisch, gibt es noch einen Schrank und ein Waschbecken – mehr nicht. An den Wänden lassen sich keine Bilder aufhängen; die Möbel lassen sich nicht groß verschieben. Die Zelle beinhaltet nach Le Corbusier alles, was man zum Leben braucht, und diese Einfachheit berührt mich sehr, denn sie wirft einen wirklich auf das Wesentliche zurück und ich wünsche mir, dass es mir gelingt, ein wenig mehr von dieser Armut zu leben.
Der Konvent ist auf Säulen gebaut; befindet sich also wortwörtlich zwischen Himmel und Erde und das Schöne ist, dass dadurch der Natur keinen Raum genommen wird, weil sie sich weiter entfalten kann. Nur die Kapelle, der Ort des Gebets, ist auf dem Erdboden gebaut – auch ein starkes Zeichen: Wenn sich die Brüder zum Gebet versammeln, stehen sie auf dem Boden der Tatsachen und schließen immer die ganze Welt, mit allem Schwierigen, mit ein.
Es gäbe noch viel zu La Tourette zu sagen und wir wurden alle von verschiedenen Aspekten inspiriert. Obwohl mir ehrlicherweise das Erscheinungsbild des Konvents ästhetisch nicht so gut gefällt, hat Le Corbusier ein ganz beeindruckendes Werk dominikanischen Gemeinschaftslebens geschaffen.
Der nächste Halt unserer Reise war Sainte Baume, ein Wallfahrtsort der hl. Maria Magdalena, der von unseren Mitbrüdern betreut wird. Maria Magdalena ist neben der Gottesmutter die Schutzpatronin des Ordens, denn sie war die erste, die die Auferstehungsbotschaft verkündet hat und ist damit für uns als Predigerorden ein besonderes Vorbild. Der Legende nach wohnte sie in den letzten 30 Jahren ihres Lebens in einer Grotte in Sainte Baume. Diese ist heute noch vorhanden und wird von vielen Pilgern besucht. Es ist sehr beeindruckend zu sehen wie viele Pilger, den steilen Weg nach oben auf sich nehmen, um zur Grotte zu kommen. Oben angekommen hat man einen fantastischen Blick auf die Landschaft und kann auf der einen Seite die Alpen, auf der anderen das Meer sehen.
Die Menschen hier sind unglaublich freundlich und gerade die Pilger in Sainte Baume haben sich so gefreut Ordensleute zu sehen, dass wir dauerhaft im Gespräch waren. In beiden Orten haben wir auch am Chorgebet der Brüder teilgenommen und es ist schon schön diese Verbundenheit im Gebet zu spüren. Und das französische Stundengebet ist durch seine Mehrstimmigkeit einfach ein Genuss 😊 Nun geht es weiter nach Spanien, dem Heimatland des hl. Dominikus. Reisebericht folgt 😉
Sr.M.Clarita
Daran, dass ich ab jetzt Sr. M. Clarita genannt werde, muss ich mich selbst noch gewöhnen. Die Reaktionen auf den neuen Namen waren auch nicht durchweg positiv. Wie kommt man also auf die Idee sich mit dem Ordenseintritt einen neuen Namen zu geben?
Die Namensänderung aufgrund eines einschneidenden Gotteserlebnisses ist schon in der Bibel belegt: Aus Abram wurde Abraham; aus Sarai Sara; aus Jakob Israel; aus Simon Petrus; aus Saulus wurde Paulus.
Die Orden beriefen sich auf diese Tradition gemäß dem Jesaja Zitat: „Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt" (Jes 62,2) und jede Schwester musste ihren bürgerlichen Namen abgeben und bekam einen Neuen. Seit dem II. Vatikanum wurde diese Tradition relativiert; natürlich beginnt ein neuer Lebensabschnitt, aber nicht ein neues Leben. Das neue Leben hat mit der Taufe begonnen. Und so kommt es, dass man heute seinen Namen nicht mehr zwingend ändern muss, sondern auch bewusst seinen Taufnamen behalten darf:
Ursula blieb Ursula, Christina blieb Christina und Kathrin blieb Kathrin.
Ich finde beides schön und nachvollziehbar und es ist wertvoll, dass jede Schwester für sich entscheiden darf, ob sie ihren Namen behält oder sich einen neuen wünscht.
Was mich betrifft, hätte ich auch gerne meinen Taufnamen behalten, doch war der Name Klara schon vergeben und da wir alle vor Gott individuell und originell gerufen sind (und es unkomplizierter in einer so großen Gemeinschaft ist), kommt jeder Name bei uns nur einmal vor.
Der Ordenseintritt ist ein nicht unbedeutendes Ereignis des Lebens. So lässt sich mit dem Namen auch eine Art Leitlinie festlegen. Clarita – „kleine Clara“ ist natürlich ein wenig eigenironisch bei 1,56m und gleichzeitig steckt noch mehr für mich dahinter: Das Einüben der Gotteskindschaft – unsere größte Würde als Getaufte – die nicht nach Größe oder Alter verlangt, sondern nach Tiefe und Vertrauen.
Im Prozess der Entscheidung hat mich die Berufung von Abraham sehr bewegt, diesem Urgestein des Glaubens und Vertrauens auf Gott. Ein Mensch, der die Verheißung eines gelobten Landes erfährt und doch nie selbst zu Gesicht bekommt. Als Zeichen des Bundes bekam er von Gott den neuen (alten) Namen Abraham. Zwei Buchstaben mehr. Das, was in ihm schon an Gutem hineingelegt wurde, wird nicht einfach ignoriert, sondern erweitert: Er behält seine Identität bei gleichzeitiger Sendung ("Vater der Menge"). So werden auch die Fischer Simon und Andreas zu Menschenfischern (Mt 4,19), aber sie bleiben Fischer. Oder wie Thomas von Aquin sagen würde: Die Gnade baut auf der Natur auf.
Gott beruft zwar zu Großem, aber er verlangt nicht die eigene Identität, Fähigkeiten oder Charakterzüge über Bord zu werfen. Deshalb gefällt mir mein neuer Name außerordentlich gut, denn er ist Ausdruck des neuen Lebensabschnitts bei gleichzeitiger Beibehaltung meiner Taufberufung.
Sr. M. Clarita
Die fünfte und letzte Vollversammlung des synodalen Weges ist vorbei. Unsere Generalpriorin Sr. M. Scholastika Jurt OP war als Beraterin dabei und hat sich immer wieder in die Diskussion eingebracht. Ein Portrait und ihre Statements finden sich in diesem Artikel:
Als Ordenschristen leben wir nach den evangelischen Räten der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit. Um diese großen, vielleicht auch sperrigen Ideale mit Leben zu füllen, beschäftigen wir uns während der Ordensausbildung immer wieder mit ihnen und versuchen sie konkret werden zu lassen.
Vergangene Woche haben wir uns im Rahmen des „Würzburger Kreis“, einer konfessions- und ordensübergreifenden Gruppe von jungen Ordensleuten, mit dem Gelübde der Armut befasst. Unterstützt hat uns dabei Br. Andreas Knapp, selbst Ordensmann bei den „Kleinen Brüdern vom Evangelium“. Im Laufe der Tage haben wir die verschiedenen und vielfältigen Facetten der Armut kennen gelernt.
Als ersten Schritt wurden wir uns unserer Schätze bewusst, denn die Armut an sich hat noch keinen Wert; sie kann sogar gefährlich und lebensbedrohlich werden. Denn es geht nicht darum arm zu werden, sondern innerlich reich. In einem zweiten Schritt haben wir die verschiedenen Gesichter der Armut betrachtet: Es gibt nicht nur die materielle Armut, sondern sind auch Sinnlosigkeit, Umweltverschmutzung, Einsamkeit, Beziehungslosigkeit oder Anonymität Formen der Armut in unsrer Gesellschaft.
Mittels Textarbeit und Diskussion näherten wir uns dann dem christlichen Bild von Armut. Die Botschaft der Bibel hinsichtlich der Armut ist, dass der Hunger und die Leere des Menschen nicht mit Materiellem zu stillen sind, sondern nur Gott unerschöpflich ist. Die Armut hat deshalb einen Sinn: Sie dient dazu, das Herz allein an Gott zu binden und nicht etwas anderes als Götzen in meinem Leben zu etablieren. (Materielle) Mittel können aber natürlich im Dienste Gottes stehen! Doch nicht nur die Bescheidenheit, sondern auch die Haltung des Empfangens ist stark mit der Armut verknüpft. Ich kann materiell arm sein und trotzdem ein enges und hartes Herz haben, z.B. mir aus lauter Armutsidealen nichts gönnen oder keine Geschenke annehmen. Dabei sind es gerade die wichtigen Dinge im Leben, die wir geschenkt bekommen. Zur Haltung Armut gehört es deshalb Geschenktes anzunehmen und gleichzeitig innerlich auch wieder loszulassen, denn es bleibt ein Geschenk und kein Recht. Ich habe zum Beispiel kein Recht darauf, dass meine Freundinnen und Freunde regelmäßig Kontakt mit mir suchen, denn sonst hätte ich diese Freundschaft schon in Besitz genommen und würde den anderen gebrauchen. Arm zu sein bedeutet dann auch, anzunehmen, dass mir etwas genommen wird, ob es eine Freundschaft, Beziehung oder meine eigene Gesundheit ist. Auch Jesus hat sich immer wieder von seinen Mitmenschen beschenken lassen, ist bei ihnen eingekehrt, hat sich Auszeiten genommen und es wird sogar berichtet, dass der Jüngerkreis eine Reisekasse besaß (vgl. Joh 12,6). Die Armut Jesu, die uns Vorbild ist, bestand vor allem darin, frei zu sein für das Reich Gottes.
In einem letzten Teil ging es dann konkret um das Ordensgelübde der Armut. Dazu haben wir uns verschiedene Ordensregeln und ihre Auslegung der Armut angeschaut. Wir gingen auch in Kleingruppen zusammen, um uns auszutauschen wie die Armut in unseren Gemeinschaften gelebt wird, was uns wichtig ist und ob wir auch Veränderungsbedarf sehen. Ein wichtiger Aspekt für mich war dabei, dass es auch eine Dimension der Armut sein kann, JA zu unseren immer älterwerdenden Gemeinschaften zu sagen und sich immer wieder neu für sie - trotz aller Schwierigkeiten, die das Alter mit sich bringt - zu entscheiden.
In der Augustinusregel, nach der wir im Dominikanerorden leben, erwähnt Augustinus, dass nicht alle dasselbe erhalten sollen, weil nicht alle die gleichen Bedürfnisse haben. Es geht also nicht um eine Art Kommunismus, der alle gleichschaltet. Deshalb ist es wichtig zu kommunizieren, was ich wirklich brauche und der anderen, die vielleicht weniger oder mehr braucht, mit Großherzigkeit, statt mit Neid oder Ärger zu begegnen.
Das Thema der Armut birgt einen Reichtum in sich, den wir in diesen Tagen ansatzweise entdecken durften. Wir gehen also alles andere als arm, sondern reich beschenkt nach Hause.
Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen. (2Kor 8,9)
Postulantin Clara
Ich liebe ja den Advent. Diese Tage voller Erwartung und Spannung, voll Wärme und Licht und voller Sehnsucht nach Frieden, Geborgenheit, nach Gott. Besonders die Liturgie bewegt mich jedes Jahr aufs Neue: Zunächst der Fokus auf das Ende der Welt, dann immer wieder der Blick auf die alttestamentlichen Verheißungen des Messias und schließlich die Verdichtung des Wartens und Hoffens, der Vorfreude und Sehnens, ausdrückt durch die O-Antiphonen im hohen Advent.
Schon bevor ich ins Kloster gegangen bin, habe ich diese Zeit vor allem liturgisch immer geliebt. Aber hier ist das ganze noch tausendmal schöner und intensiver. Es ist wirklich eine ganz besondere Zeit am Ende des Jahres: Wir schweigen mehr als wir es sonst tun, wir fasten, wir haben bestimmte Adventsrituale und -feiern und all das hilft, um den Advent wirklich als das zu begehen, wofür er da ist: Eine Vorbereitungszeit auf Weihnachten.
Schon der Auftakt mit der ersten Vesper am Samstagabend, in der nur durch Kerzen beleuchteten Kirche war sehr ergreifend. In der dritten Adventswoche haben wir die ganze Zeit hindurch Roratemessen gefeiert. Diese Gottesdienste im Kerzenschein helfen mir immer wieder bildlich vor Augen zu führen, dass wir Menschen tatsächlich im Dunkeln sitzen – wie auch immer dieses Dunkel in unserem persönlichen Leben gerade aussieht – und auf das Licht, den Sohn Gottes, warten, der alles neu macht. Und dann fügt sich dieses wunderbare Wechselspiel von Dunkelheit und Licht natürlicherweise in den Kreislauf der Schöpfung ein, sodass wir morgens in das Dunkle hinein hoffnungsvoll in der Laudes singen dürfen: „Dies ist der Hoffnung lichte Zeit; der Morgen kommt, der Tag bricht an: Ein neuer Stern geht strahlend auf, vor dessen Schein das Dunkel flieht.“
Und am Abend, wenn es düster und kalt ist, singen wir mit der ganzen Kirche: „Schon leuchtet deine Krippe auf, es haucht die Nacht ein neues Licht, das keine Nacht mehr trüben kann, das stets im Glauben uns erhellt.“
Das einfach soo schön und es ist, als wenn nicht nur unsere Seele, sondern auch unsere Sinne, unser Leib, unser ganzes Empfinden in diese Sehnsuchtshaltung des Advents hineingenommen ist. Und auch die Natur streckt sich aus, nach diesem Erlöser, der endlich Frieden – Schöpfungsfrieden – zwischen Mensch und Natur schafft: Am 21. Dezember, wenn die Tage wieder heller werden heißt es erwartungsvoll in der O-Antiphon: „O Morgenstern, Glanz unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: o komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes!“
Im Advent sind außerdem so schöne Heiligenfeste, wie die hl. Barbara, an deren Gedenktag wir unsere Schuhe vor die Tür stellen und von der Priorin befüllen lassen oder der hl. Nikolaus, an dessen Tag wir einen gemütlichen Nikolausabend im Refektorium verbringen. Das finde ich auch sehr schön, dass die Adventszeit auch nochmal eine intensivere Zeit mit der Gemeinschaft ist, und wir in dieser Zeit i.d.R. auch keinen Urlaub machen und kein Besuch empfangen.
Wenn ich mal in dieser Adventszeit in die Stadt musste, war ich jedesmal unendlich froh, aus dem Weihnachtstrubel in Koblenz, dem Kommerz, den blinkenden Buden des Weihnachtsmarkts und der Hektik wieder entfliehen zu können und auf den Arenberg zurückzukommen. Hier ist es doch noch etwas einfacher in der Stille und der Erwartung zu bleiben. Das heißt nicht, dass es bei uns komplett stressfrei ist, nein das bestimmt nicht, aber es ist dennoch etwas leichter den Fokus und die Sehnsucht zu halten auf IHN. Und deswegen ist der Advent im Kloster einfach besonders toll. :)
"O Herr, wenn du kommst, jauchzt die Schöpfung dir zu, denn deine Erlösung wird alles befrein. Das Leid wird von all deiner Klarheit durchstrahlt. O Herr, wir warten auf dich." (Helga Poppe)
Postulantin Clara
Selbstbestimmung und Freiheit sind wohl nicht die ersten Dinge, die man mit dem Ordensleben verbindet – im Gegenteil und doch erlebe ich unser Leben alles andere als unfrei.
Vielmehr werde ich von meiner Gemeinschaft herausgefordert meine Entscheidung hier zu sein immer und immer wieder zu prüfen: Möchte man ins Noviziat aufgenommen werden, muss von Seiten der Postulantin ein Antrag gestellt werden (Hanna und ich haben ihn heute abgegeben 😊) ; will eine Schwester erste Profess machen, wird sie zu einem Gespräch mit dem Generalrat gebeten; jede Professerneuerung muss schriftlich begründet werden und auch vor der ewigen Profess muss eine Schwester vor dem Generalrat erklären, warum sie diesen Schritt gehen will.
Jede Schwester, die hier lebt, hat ihre Lebensentscheidung also vielfach geprüft, durchdacht und durchbetet. Jede hat sich aktiv für dieses Leben entschieden. Wir alle wurden auf unterschiedliche Weise von Gott berührt und in dieses Leben gerufen und haben uns freiwillig (!) dazu entschlossen, dem Ruf nachzugehen.
So bemerkt Isabel Losada in ihrem Buch „Warum Frauen ins Kloster gehen. Um Gottes Willen“:
„Diese Menschen haben mehr als nur eine Entscheidung getroffen. Sie haben sich entschieden, dann ihre Entscheidung erneut überdacht und ganz bewusst noch einmal bestätigt. Eigentlich sind sie der Inbegriff von Selbstbestimmung. Sehr wenige Menschen haben diese Möglichkeit im „normalen“ Leben. Wie viele Menschen verbringen Jahre an einer Arbeitsstelle, obwohl sie eigentlich lieber etwas anderes täten? Sie wachen jeden Morgen auf und empfinden nicht die geringste Begeisterung für den neuen Tag, weil sie sich dieses Leben nicht selbst ausgesucht haben. Aber bei den Nonnen ist das anders. […] Sie sind genau an dem Platz, an dem sie sein wollen.“!
Natürlich ist deshalb nicht immer alles nur super toll, sondern es wird uns auch vieles vorgegeben: Wo wir leben, wie wir leben, was wir essen, wann wir aufstehen, was wir anziehen,… Klingt erstmal nicht selbstbestimmt, verleiht aber eine ganz große, vor allem innere Freiheit. Wenn es nach mir ginge, könnten wir die Laudes ruhig 1-3 Stunden später beten, aber die Alternative - gar keine Laudes oder alleine zu beten - würde mich auf Dauer sehr unglücklich machen. Deshalb entscheide ich mich dafür, um 5:30 Uhr aufzustehen, obwohl ich lieber weiterschlafen würde. Ich finde dies ist eine viel tiefere Form von Freiheit, als sich nur den affektiven Stimmungen hinzugeben. Und genau da merke ich auch etwas von meiner eigenen Menschwerdung: Etwas zu tun, das mir auf den ersten Blick gar nicht so gut gefällt (letztlich aber gut ist), ist eine Manifestation meines Menschseins und meiner Freiheit, weil ich mich dadurch nicht abhängig von Lust und Laune mache. Sollte ich mich dauerhaft unfrei fühlen, wäre es tatsächlich sinnvoll zu erwägen, ob diese Lebensform mir hilft, mein Mensch- und Christsein voll auszuschöpfen.
Deshalb finde ich: Ein Leben im Kloster ist alles andere als fremdbestimmt. Es gibt natürlich Dinge, die nicht immer meinem Willen entsprechen, aber die ich um eines höheren Zieles willen, trotzdem tue. Bei solchen Dingen werde ich auch immer wieder mit mir selbst konfrontiert und muss mich mit mir auseinandersetzen. Mich zu verstecken, mir aus dem Weg zu gehen oder vor jemandem oder etwas zu fliehen, ist daher im Kontext des Gemeinschaftslebens quasi unmöglich. Somit ist das Ordensleben tatsächlich eng verbunden mit Selbstbestimmung und der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Person. Das kann sehr anstrengend sein, aber auch unglaublich wertvoll, fruchtbar und freiheitsstiftend.
„Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei.“ (Joh 8,36)
Postulantin Clara
Ja, bei uns im Kloster gibt es WLAN, aber bis heute scheiden sich an dieser Frage die Geister:
Für die einen ist der WLAN-Router in der Klausur ein Beweis zu angepasst und verweltlicht zu sein: Der „Zeitgeist“ ist ins Kloster eingedrungen.
Für die anderen ist es "aggiornamento": Eine Notwendigkeit und ein Fortschritt, der aus dem Ordensleben des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist.
Es stimmt, die Klausur soll ein Raum des Rückzugs, der Stille und der Gegenwart Gottes sein. Wir bemühen uns dort nicht zu reden, sondern das Schweigen zu wahren. Der WLAN Router könnte also diese Besinnlichkeit stören, sofern man durch das Smartphone nie ganz vom Nachrichten- und Informationsfluss getrennt ist.
Ich geb zu, dass ich monastische Lebensformen wie die der Kartause oder des Karmels unglaublich faszinierend finde und in mir so etwas wie eine „heilige Ehrfurcht“ wecken vor diesem radikalen Weg der Gottsuche, auch wenn ich so niemals leben könnte: Kein Handy, kein Fernseher, kein unnötiges Verlassen des Klosters und kein WLAN – es ist gut, dass es solche Formen des Ordenslebens gibt, denn sie halten in uns die letzte Verwiesenheit auf Gott wach. Sie ermahnen uns, das wesentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und ich bin der Überzeugung, dass ihr Dienst des beständiges Gebets die Welt verwandelt.
So beschreibt es auch die Benediktinerin Silja Walter:
„Wir bleiben, weil wir glauben. Zu glauben und zu bleiben sind wir da, draußen, am Rand der Stadt.“
Gleichzeitig halte ich es für notwendig, dass Klöster und Ordenschristen die sozialen Medien nutzen, denn Verkündigung muss heutzutage über die Medien laufen, dort wo sich die Menschen unserer Zeit aufhalten. Das hat schon das II. Vatikanum erkannt und im Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel Inter mirifica festgehalten: „Die Katholische Kirche ist von Christus, dem Herrn, gegründet, um allen Menschen das Heil zu bringen, und darum der Verkündigung des Evangeliums unbedingt verpflichtet. Deshalb hält sie es für ihre Pflicht, die Heilsbotschaft auch mit Hilfe der Sozialen Kommunikationsmittel zu verkündigen“. (IM 3)
Das WLAN in Klausur verhilft uns mit den Menschen dieser Zeit in Kontakt zu sein, ihre Sorgen, Nöte und Freude zu teilen. Die Präsenz von Ordensleuten in den sozialen Medien kann nicht nur helfen mit vielen Klischees über das vermeintlich „langweilige und verstaubte Leben im Kloster“ aufzuräumen, sondern ist auch eine Chance, dass das Evangelium und die Kirche nicht zuerst mit Missbrauch und Skandalen, sondern mit dem Kern – mit Gott – in Verbindung gebracht wird.
Es geht nicht darum, den neuesten Trend mitzumachen, sondern frei nach Joh 1,38 der Frage „Wo/Wie wohnt ihr?“ zu antworten: „Kommt und seht!“
Deshalb ist es uns ein Anliegen, Einblicke in unser Leben zu geben und es mit den Menschen zu teilen, so wie hier auf diesem Blog.
Gleichzeitig gilt es immer einen angemessenen und verantwortlichen Umgang zu bewahren, immer mal wieder das Smartphone auf der Zelle lassen oder auszuschalten, besonders am Beginn und Ende des Tages, damit Gott das erste und letzte Wort des Tages gehört.
Daher kann uns der WLAN Router in der Klausur auch Mahnung und Erinnerung sein immer die wichtigste Verbindung - die mit Gott - aufrecht zu halten.
Postulantin Clara
Übrigens geht, passend zum Thema, diesen Donnerstag (27.10) unsere neue Homepage online! ;-)
Eigentlich ist ja Sr. Kerstin-Marie diejenige, die diesen Blog mit Fahrradcontent versorgt, aber nun kommt es vor, dass die neue Postulantin auch gerne Rad fährt. Ab jetzt herrscht hier also doppelte Radfreude. 😊
Vor meinem Eintritt in die Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen, wollte ich noch etwas Verrücktes machen – denn so ein Klostereintritt ist ja noch nicht verrückt genug. 😉 Vor ca. einem Jahr kam bei einer gemeinsamen Radtour mit meinem Augsburger Bibelkreis die Idee auf, im nächsten Sommer nach Rom mit dem Fahrrad zu fahren. Ich war sofort begeistert, denn es passte zeitlich wunderbar in meine Planungen und das Vorhaben schien mir abenteuerlich genug zu werden. Der Spoiler vorweg: Wir sind alle heil und pünktlich in Rom angekommen. Neben der sehr schönen äußeren Reise durfte ich parallel auch eine innere Reise beschreiten und ich lernte: Radfahren hat viel mit dem Evangelium zu tun.
Zunächst ist es die Lebensweise des Christen, ein Pilger und damit dauerhaft in Bewegung zu sein. Unser Mitbruder Diethard Zils OP schreibt in einem bekannten Lied: „Pilger sind wir Menschen, suchen Gottes Wort, Unerfüllte Sehnsucht treibt uns fort und fort“. Im letzten ist das Pilgern eine Verdeutlichung des irdischen Pilgerwegs, den jeder Mensch unweigerlich beschreitet: unterwegs zu sein zur ewigen Heimat mit Gott. Aber gleichzeitig gilt es auch hier auf Erden, jeden Tag diesem Gott näher kommen zu wollen. Wie bei jeder Pilgerreise gibt es auch in der Beziehung mit Gott Aufs und Abs, Berge und Täler – Zeichen der Lebendigkeit dieser Gottesbeziehung. Das Unterwegssein ist also unser status quo als Christen.
Auf unserem Weg nach Rom mussten wir nicht nur die Alpen, sondern auch den Apenin überqueren – letzter war deutlich anstrengender. Nicht selten verzweifelte ich innerlich, wenn die Sonne unbarmherzig auf uns niederbrannte und der schier endlos lange Berg mit nur 6km/h bewältigt werden konnte. Wie oft hatte ich keine Lust mehr, aber die Alternative - das Schieben oder gar Stehen bleiben - hätte die Quälerei noch länger gemacht. Also lieber ordentlich Wasser trinken und ab und zu von den süßen Brombeeren naschen, die so herrlich und überfließend am Wegesrand wuchsen. Und irgendwann kam man oben an und durfte sich über den Erfolg freuen. Es lohnt sich schwere Wegstrecken durchzuhalten und nicht sofort aufzugeben, denn oft lassen sich die äußeren, nervigen Umstände sowieso nicht ändern. Und manchmal wird man nach einer anstrengenden Zeit belohnt – wie wir nach einer Fahrt durch den Regen von einem wunderschönen Regenbogen begrüßt wurden.
Und noch etwas habe ich gelernt: Als Christ ist man nie allein unterwegs – schon Jesus sandte seine
Jünger zu zweit aus. Wir sind gemeinsam unterwegs in diesem Abenteuer mit Gott und teilen sowohl Freude als auch Leid. Als jemandem aus unserer Gruppe der Gepäckträger zu brechen drohte, mussten
wir kurzerhand Isomatte, Zelt, Schlafsack und Lebensmittel untereinander aufteilen, um das Fahrrad zu entlasten. Ähnlich tragen wir die Lasten unseres Lebens nicht allein, sondern dürfen uns im
Gebet getragen wissen, von einer großen Glaubensgemeinschaft. Ich darf Hilfe und Unterstützung annehmen bis ich vielleicht wieder selbst Kraft habe, einen Teil zu tragen. Und gleichzeitig darf
ich die vielen Menschen, die unter Schwierigkeiten leiden, ebenso in Gebet und Tat selbst unterstützen.
Schließlich war für uns alle die Erfahrung eines fürsorgenden Gottes prägsam geworden. Wenn wir am Morgen aufbrachen, wussten wir nie, wo wir abends übernachten würden und doch ließ sich immer ein geeigneter Ort finden. Wir schliefen in Pfarrsälen, im Pfarrgarten, im Kreuzgang eines Klosters, im Hörsaal, auf einer Orgelempore, in einem Park oder einfach draußen am Ufer eines Sees. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man nicht nur bei den großen Dingen, sondern auch bei alltäglichen auf Gott vertrauen darf – so trafen wir beim Erreichen den Tagesziels immer auf Menschen, die uns weiterhalfen einen Schlafplatz zu finden. Manchmal bekamen wir auch einfach so von Anwohnern Dinge geschenkt – von selbstgekochter italienischer Pasta bis zur Feigenmarmelade oder Wein. Ich glaube, oft hat Gott in unserem Leben nicht mehr die Möglichkeit, diese Dimension seiner Zärtlichkeit zu zeigen, weil wir meist sehr gut für alles gesorgt haben, aber wenn wir ihn mal lassen, dann tut er es, wie ich feststellen durfte.
Radfahren lohnt sich also – Probieren Sie es selbst aus! 😊
Postulantin Clara
Ich bin Clara, 25 Jahre alt und komme aus Brey, ganz in der Nähe von Kloster Arenberg.
Durch mein Theologiestudium in Freiburg lernte ich den Dominikanerorden in der Pfarrei St. Martin kennen und lieben. Für mich war klar, wenn Ordensleben, dann muss es der Dominikanerorden sein und so ist der Sprung ins Kloster Arenberg nicht weit gewesen. Nach einem Auslandsstudium in Maynooth (Irland) und dem Abschluss des Theologiestudiums, habe ich noch einen Master in Umweltethik an der Uni Augsburg absolviert.
Im September habe ich mit Hanna das Postulat bei den Arenberger Dominikanerinnen begonnen und freue mich riesig darauf das Ordensleben kennen zu lernen und zu prüfen, ob mir diese Lebensform entspricht.
Postulantin Clara
Ich bin Hanna, 42 Jahre alt und komme gebürtig aus Köln. Von Beruf bin ich Lehrerin für die Fächer Mathematik, Deutsch und katholische Religionslehre.
In den letzten Jahren habe ich sowohl in der Schule als auch im Kölner Mentorat für Theologiestudierende gearbeitet. Darüberhinaus habe ich mich in meiner Gemeinde und in andere Projekten bzw.
Vereinen sozial engagiert.
Trotz der vielen Tätigkeiten hatte ich die Sehnsucht mich noch mehr, d.h. ganz von Gott in den Dienst nehmen zu lassen. Und so machte ich mich auf die Suche nach der für mich passenden
Gemeinschaft. Auf dem Arenberg habe ich dann mein Herz verloren und ich glaube auch meinen Platz gefunden.
Seit drei Wochen bin ich zusammen mit Clara im Postulat der Arenberger Dominikanerinnen. Ich hoffe, dass meine Leidenschaft für Christus und seine Kirche ebenso in die Tiefe wachsen wie die
Freude in und an der Gemeinschaft.
Postulantin Hanna
Der junge Dominikanerorden nutzte im 13. Jahrhundert die großen Universitätsstädte, um die Botschaft des Evangeliums zu verbreiten.
Der im Herzen immer noch junge Dominikanerorden des 21. Jahrhunderts begibt sich dafür ins Internet :-) So kann man uns nun auch auf Instagram unter @arenberger.dominikanerinnen folgen, wo wir einen Einblick in unseren Alltag geben.
Wir feiern Mariä Geburt und irgendwie feiern wir dieses Fest auch nicht, denn wir feiern mit starkem Akzent heute Christi Geburt in Kathrin. Und wir erinnern uns an Christi Geburt in den anderen Jubelschwestern des heutigen Tages.
Denn: Was ist Profess denn anderes, als mit viel Vertrauen und Gnadenunterstützung eine Auffüllung des eigenen Wesens mit den Personenanteilen Jesu, - etwas, was uns schon in der Taufe zugesprochen wurde, indem wir unauslöschlich mit ihm verbunden wurden?
Und dann gab es da einen großen Denker im Dreißigjährigen Krieg: „Wäre Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest dennoch in alle Ewigkeit verloren…“
Okay, Angelus Silesius, du großer Dichter der Barockzeit, nehmen wir dich ernst und schreiben wir am Beginn des Evangeliums weiter: Viele Namen, auch ein paar Frauen sind in männerdominanter Umgebung genannt, und dann kämen, etwas häretisch, nach vielen Generationen der Geschichte nach Christi Geburt, die Namen der Eltern von Kathrin und die Namen der anderen Schwestern, eigentlich sind das ja alle mit diesem festen Datum des achten September hier in Arenberg… Und es würde da stehen nach Matthäus und heute leicht häretisch interpretiert von Laurentius: „Und sie brachten Kathrin Schäfer zur Welt, so wie sie dann mit ihren Stärken und Schwächen ein Geschwisterkind des Jesus von Nazareth wurde."
Ja, ich weiß, das klingt fremd, unbiblisch und dennoch ist es geistlich genau das, um was es geht… sich in der Freundschaft und Verwandtschaft mit Jesus positionieren und einen Liebesbund mit ihm für eine Zeit zunächst, die man vielleicht überblicken kann, einzugehen – und das nicht ohne die tolle Unterstützung der Schwestern und Brüder.
Ich brauche jetzt auch eine Unterstützung und weiß auch darum, dass die gute Kathrin Filme und dem Kino als gewiefte Journalistin nicht abgeneigt ist. Und meine Predigthilfe ist der polnische Spielfilm „Ida“, den ich hier schon einmal gezeigt habe, und der, wenn er jetzt nicht bekannt ist, auch nicht in Gänze erzählt werden muss, aber die Andeutungen werden reichen, um hoffentlich zu zeigen, dass dieser Film eine große, schöne Meditation auf das Ordensleben ist.
Ida ist eine junge Ordensschwester, die kurz vor ihrer geplanten Profess erfährt, dass sie ein durch glückliche Umstände gerettetes jüdisches Waisenkind des Krieges ist, dann katholisch bei Nonnen erzogen wurde und sich nun vor den Gelübden mit ihrer einzig die Nazi-Zeit überlebenden Verwandten, der Tante Wanda, eine durch Schicksal gezeichnete Richterin, auf familiärer Spurensuchen begibt. Drei starke Szenen aus diesem Film schenke ich uns heute als Orientierung für unsere Gelübde.
Spiegel. Sie macht den Schleier weg und schaut auf die Schönheit ihrer Haare
In einer sehr eindrücklichen Szene steht Sr. Ida vor dem Spiegel und macht ihren Schleier auf. Etwas ja irgendwie auch Alltägliches für die meisten hier anwesenden weiblichen Personen, aber interessant an der Szene ist die Neuentdeckung der Schönheit der Haare dieser jungen Frau. Sie greift sich in das dicke, dichte Haar und schaut sich sehr sinnlich in ihre Augen. Sie leugnet ihre Haare nicht und sie weiß, dass sie mit Leib und Seele als Mensch, diesen Weg der Nachfolge Christi immer wieder zu überprüfen hat… auch in der Körperlichkeit. Das ist ein sehr schwieriges Thema, und ich erahne, dass dies bei uns Ordenschristen auch sehr unterschiedliche Erinnerungen und Gefühle hervorbringen kann – Intimität, Entdeckung von Schönheit und Bejahung des Körpers und dann der gelassene Umgang mit diesem. Gegeben in einer Gemeinschaft und dort, wo Du, liebe Kathrin, erkennbar als Ordensschwester mit dem Habit, aber auch mit Deiner körperlichen Erscheinung ein Ausdruck des Geschöpfes bist. Wir sind nicht so naiv zu leugnen, dass diese Erscheinung von uns jenseits unserer Spiritualität anzusiedeln ist… nein, es geht um einen Umgang mit dem, was auch ein weihnachtliches Moment unserer Existenz ist. Christus ist Mensch und Fleisch geworden… das ist auch eine zu meditierende Realität unseres Ordenslebens. Und das hat dann etwas mit der ehelosen Keuschheit zu tun.
Und was kommt dann?
In einer zweiten Szene des sehr vertrauten Zusammenseins dieser Schwester mit einem jungen Mann, und interessanterweise kurz vor der Rückkehr der Schwester ins Kloster, gibt es einen interessanten Dialog des Mannes mit der jungen Schwester. Er wirbt um diese junge Frau, erzählt ihr, was man doch gemeinsam erleben könnte, und wie schön dies sein kann. Ida hört gut zu, und fragt immer wieder: Und was kommt dann? Und nach vielen Auflistungen kommt der sinngemäße Satz des Mannes: Dann beginnt der ganz normale Alltag! Und die Schwester erwägt in ihrem Herzen, was sie erleben will draußen in der weltlichen Gesellschaft oder in der geistlichen Gemeinschaft mit Christus und den Schwestern… und sie wählt Letzteres!
Kathrin, Du wirst auch in den nächsten Jahren abwägen, was Alltag im Kloster Dir wertschätzend bedeuten kann, wo Du da drin einen sich manchmal versteckenden Christus entdecken kannst. Und diese Beurteilung von Anspruch und Reichtümern und Verzicht das hat etwas mit dem Gelübde der Armut als dem Gelübde des rechten Verhältnisses zum Alltag zu tun.
Selbstgespräch mit Gott im Schnee an einer Jesusfigur
Und eine letzte Szene. Die junge Schwester ist sehr bewegt von dem Neuen, was sie über ihre Familie erfährt. Was das mit ihr sehr persönlich, auch emotional macht, und sie geht in ihrem kargen Kloster kurz vor der geplanten Profess alleine im tristen Winterwetter an einer Jesusfigur im Garten auf und ab, und entschuldigt sich abwägend geradezu bei Jesus, dass sie wohl noch nicht so weit ist, die Gelübde abzulegen. Und es ist so wunderbar ehrlich und gar nicht schlimm. Ja, im Hören auf die Erfahrungen des Lebens, im Hören auf die Schrift, im Hören auf die Erfahrungen der Schwestern und Brüder, gehen wir auch in eine Schule des Gehorsams.
Liebe Kathrin, und wirklich alle Lieben hier,
es ist gut vor großen Momenten unseres Lebens, als Jüngerinnen und Jünger Jesu drei Aktivitäten nicht zu vergessen, sondern zu praktizieren:
Mach es, liebe Kathrin, und: Jesus ist nicht nur in Bethlehem geboren, sondern auch in uns auf dem Weg der Nachfolge… als bist Du, sind wir, nicht verloren!
Amen.
Adventsansprache von Sr. M. Scholastika
In diesen dunklen Tagen singen wir von Neuem im Laudes-Hymnus:
„Ein neuer Stern geht strahlend auf, vor dessen Schein das Dunkel flieht.“
So viel Hoffnung ist darin verborgen. Guter Hoffnung dürfen wir sein, denn auch heute ist uns in unsere verworrene Zeit dieser Stern geschenkt, der uns leitet vom Dunkel ins Licht.
Sind wir bereit für diese Zeit der Gnade?
Bereit für die innere Vorbereitung auf die Hl. Nacht, auf das Kommen unseres GOTTES?
Diese vorweihnachtliche Zeit, die wir mit dem Anzünden der ersten Kerze beginnen, ist uns seit Kindertagen vertraut mit ihren verheißungsvollen Texten und den Bräuchen, die dem wachsenden Licht Raum geben wollen.
Wie sieht unsere persönliche Vorbereitung aus, damit wir diese Wochen im Herzen nicht verschlafen. Denn wir leben mit einer gefährlichen Ausgangslage: wir kennen, was auf uns zukommt - den vierwöchigen Weg gehen wir jedes Jahr. Und Bekanntes kann uns schläfrig machen, abgestumpft, im Sinne: „Kennen wir ja schon!“ Wir leben mit der tröstlichen Gewissheit: „GOTT wird kommen, und ER ist längst gekommen.“ Das lässt uns auch zurücklehnen.
Im Evangelium des 1. Adventssonntag wird uns eine ungeheure Erschütterung vorgestellt. Da sind Bilder gezeichnet, die ganz und gar nicht in die Vorstellung dieser besinnlichen Tage passen. Zerstörung. Angstmachende Zustände. Diese gewaltigen Umwälzungen können ein Sinnbild sein für Erschütterungen, die auch unser Herz und unsere Seele durchmachen. Veränderungen machen Angst: wir haben den Eindruck, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Sicherheiten sind uns genommen. Alles wankt!
Alfred Delp sagt deutlich, wohlbemerkt aus der Gefangenschaft, kurz vor seiner Hinrichtung: Diese Erschütterung ist gut für uns. Er schreibt:
„Es fehlt vielleicht uns modernen Menschen nichts so sehr als die echte Erschütterung: wirklich da, wo das Leben fest ist, eine Festigkeit zu spüren, und da, wo es labil ist und unsicher ist und haltlos ist und grundlos ist, das auch zu wissen und das auch auszuhalten. Das ist vielleicht die allerletzte Antwort auf die Frage, warum uns Gott in diese Zeit geschickt hat und warum er diese Wirbel über die Erde gehen lässt und warum er uns so in Chaos hineinhält und ins Aussichtslose und ins Dunkle und warum von all dem kein Ende abzusehen ist: weil wir in einer ganz falschen und unechten Sicherheit auf der Erde gestanden haben.“
„Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst“, schreibt Alfred Delp. Paulus ruft uns auch auf, aus dem Schlaf zu erwachen und zu erkennen: „Es ist ab und zu Zeit zur Umkehr, es ist ab und zu Zeit, die Dinge zu ändern, es ist ab und zu Zeit, zu sagen: gut, es war Nacht, aber lasst es Nacht gewesen sein, und entschließen wir uns jetzt zum Tag.“ (A. Delp)
· Das ist die Zeit der Gnade: lernen zu dürfen, dass wir unsere Sicherheit letztlich nur in GOTT finden, dass wir sie nur in diesem Kind in der Krippe gründen können. Das kann ein Umsturz bedeuten für unser Herz.
· Das ist die Zeit der Gnade: lernen zu dürfen, dass Gott oft ganz andere Wege geht, als wir sie uns wünschen und vorstellen können. Da ist die Krippe, da ist dieses Kreuz.
· Das ist die Zeit der Gnade: in diesen Tagen menschlicher, d.h. für Alfred Delp gottbereit und gottoffen zu werden.
Unser Noviziat kommt in den Genuss, über das Internet an einer Vorlesung über die Theologie des Gebetes teilzunehmen. Referent ist Pater Ludger Schulte, den wir zu Beginn des Generalkapitels im Oktober 2021 erleben durften. Ein Gedanke hat mich in der letzten Vorlesung besonders angesprochen. Pater Ludger brachte uns die tieferen Schichten des Vaterunsers nahe, auch die Bitte: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Unsere größte Versuchung ist vielleicht die, dass wir GOTT nicht trauen, dass wir GOTT nicht GOTT sein zu lassen und daher alles selber in die Hand nehmen wollen. Wir wollen ihn nach unseren Vorstellungen haben. Gott aber ist nicht zu haben. Er zeigt sich uns immer wieder ganz anders. Auch die Kirche: welche Gestalt hält er uns bereit? Wenn wir denken: „Das darf nicht sein!“, dann müssen wir vorsichtig auf unsere Gedanken achten. Dann gleichen sie denen von Simon Petrus, der Jesus hindern wollte, nach Jerusalem zu gehen, weil ihn dort das Kreuz erwartet. Petrus weist seinen Herrn zurecht:
„Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“
Oder wir bleiben in der Haltung der Pharisäer stecken, die, festgefahren in ihren Gesetzen, ihren Messias nicht erkennen: So kann er doch nicht kommen! So nicht!
Das ist ja das Unerhörte: Gott wird Kind. Er wird Kind, damit wir Zeit finden, uns für ihn zu öffnen, mit ihm zu wachsen und hineinzuwachsen in sein wahres Wesen. Dafür haben wir nun erneut ein ganzes Kirchenjahr Zeit. Darum ist es gut, wenn unsere eigenen Bilder, Gewohnheiten und Sichtweisen ins Wanken kommen und wir hoffentlich dann in der inneren Erschütterung die Worte hören dürfen: „Hebt Euer Haupt, Eure Erlösung ist nahe.“
Es bleibt ein Geheimnis, dass Gott auf diese Weise kommt. So zerbrechlich, so verwundbar und doch so so stark. Da begegnet uns eine ganz andere Macht. Keine irdische Macht, kein Gehabe, keine Selbstbezogenheit, keine Machenschaften um Ansehen. Kein Neid, keine Gier. Wir bereiten uns vor auf dieses verletzliche Kind, von dem Romano Guardini schreibt:
„Der Sohn GOTTES ist Menschgeworden. Nicht nur zu einem Menschen herabgestiegen, um in ihm Wohnung zu nehmen, sondern Mensch geworden. Wirklich GEWORDEN. Dieses Kind, auf das wir warten IST Gott.“
Guardini sagt es ganz schlicht: „Die Liebe tut solche Dinge.“
Die Liebe tut solche Dinge.
Diese Adventstage können uns helfen, dieser Liebe nachzugehen.
Wir erleben ja auch die Angst, die Liebe eines Menschen, die Zuwendung einer Mitschwester zu verlieren, das eigene Gesicht, die eigene Stellung, einen bestimmten Platz, eine Aufgabe in der Gemeinschaft, die Selbstständigkeit. Wenn wir jedoch nicht um diese Ängste wissen, wenn wir sie verdrängen, dann laufen wir Gefahr, uns selbst zu verlieren.
Manchmal missbrauchen wir diese Liebe, um an bestimmte Dinge zu kommen, weil wir nicht den Mut haben, offen zu unseren Bedürfnissen zu stehen. Mag sein, dass wir zuweilen auch Kontakte suchen, um Dieses oder Jenes zu erhalten bzw. zu erreichen. Sind wir ehrlich: Das ist keine Gottoffenheit.
Liebe Schwestern,
es gibt in der Spiritualität die Gnade des Nullpunktes.
„Wenn dir, Mensch, alles aus der Hand gleitet, wenn du nichts mehr hast, um dich selbst zu sichern und dir etwas vorzumachen; wenn du dich nicht betäubst, … und auch nicht mit der Geschäftigkeit des Alltags die Angst überspielst, sondern sie dir eingestehst, dann kommst du vor deine eigene Wahrheit, eine Wahrheit, die dich frei macht.“ (Klaus Müller)
Die Bedürftigkeit dieses Kindes, das uns an Weihnachten neu in die Hände gelegt wird, lädt uns ein, unsere Bedürftigkeit und unser Angewiesensein anzunehmen:
Ich muss nicht die Starke sein, die Alleskönnerin.
Ich brauche mir nichts mehr vorzumachen,
und ich will niemanden mehr gebrauchen für die Befriedigung meiner eigenen Bedürfnisse.
Ich darf lernen, meine Grenzen da sein zu lassen, muss nichts mehr klein- und auch nichts schönreden.
Ich darf zu mir stehen, weil GOTT längst schon sein Ja zu mir gesagt hat.
Ich weiß um meine Einsamkeit und gehe behutsam mit ihr um.
Ich habe den Mut, mir selber zu begegnen, weil tiefer als mein Wissen um mich eine Wirklichkeit in mir ist, die ihren Ursprung in Gott hat.
Ich muss mein Leben nicht selber schaffen.
Mein Nullpunkt liegt in Gott, und für Gott bin ich der Höhepunkt. Und:
„Wo nichts mehr in meiner Macht steht, bleibt mir,
Mensch zu sein, wie Gott es gedacht hat:
also die Menschlichkeit.“
Wenn wir in unsere Welt schauen,
brauchen nichts mehr als Menschlichkeit und Solidarität.
Liebe Schwestern,
nicht wir bereiten den Advent, sondern der Advent bereitet uns.
An uns ist es, die Ankunft unseres Gottes an uns geschehen zu lassen.
Dazu brauchen wir auch die Stille der Gottesgeburt.
Wir hören in der Hl. Nacht:
„Als tiefes Schweigen das All umfing
und die Nacht in ihrem Lauf bis zur Mitte gelangt war,
da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel,
vom königlichen Thron herab." (Weisheit 18,14f)
Wir lassen Romanio Guardini sprechen:
„Die Worte sprechen von dem Geheimnis der Menschwerdung,
und die unendliche Stille, die darin waltet, drückt sich wunderbar in ihnen aus.
In der Stille geschehen ja die großen Dinge.
Nicht in Lärm und Aufwand der äußeren Ereignisse,
sondern in der Klarheit des inneren Sehens, in der leisen Bewegung des Entscheidens, auch im verborgenen Überwinden …
Die leisen Mächte sind die eigentlich starken.
Auf das stillste aller Geschehnisse, auf jenes, das still ist von Gott her, diesem Geheimnis können wir auch nur in der Stille unser Herz bereiten.“
Jede von uns kann aus der Stille die Menschlichkeit leben - nochmal Alfred Delp:
Advent heißt
„selbst als kündender Bote (als kündende Botin) durch diese grauen Tage gehen.
So viel Mut bedarf der Stärkung, so viel Verzweiflung der Tröstung,
so viel Härte der milden Hand und der aufhellenden Deutung,
so viel Einsamkeit schreit nach dem befreienden Wort,
so viel Verlust und Schmerz sucht einen inneren Sinn.
Gottes Boten wissen um den Segen,
den der Herrgott auch in diese geschichtlichen Stunden hineingesät hat.
Gläubig harren auf die Fruchtbarkeit der schweigenden Erde
und die Fülle der kommenden Ernte,
das heißt die Welt, auch diese Welt im Advent verstehen.
Gläubig harren: aber nicht mehr, weil wir der Erde trauen
oder unserm Stern oder dem Temperament und dem guten Mut,
nur noch, weil wir die Botschaften Gottes vernommen haben
und von seinen kündenden Engeln wissen und selbst einem begegnet sind.“
Das ist Gottesgeburt im Menschen, Eintauchen in das Wesen Gottes:
Das Gottvertrauen und die Güte, die Jesus beseelten,
sie haben gemacht, dass seine Menschlichkeit Menschen durch und durch ging, manchmal so sehr, dass einer durch seine bloße Gegenwart gesund geworden ist,
wenn er zuvor, von der Angst zerrissen, gar nicht mehr er selber hat sein können.
Jesu Gottvertrauen und seine Güte haben Menschen ermutigt,
neu anzufangen mit Gott und mit sich.
Die haben ihnen die Kraft gegeben, die Not ihres Lebens menschlich zu bestehen … Gott zu trauen wie Jesus und ein wenig auch nur von der Güte zu leben, für die er steht, das macht stark gegen das Chaos, das die Angst anrichtet.
(Klaus Müller)
Liebe Schwestern,
von ganzem Herzen wünsche ich uns Mut, dass der Advent uns bereiten darf,
dass wir hineinfinden in dieses Werden, in dieses Menschwerden… und es wird sich zeigen: in Christus, in diesem Kind, sind wir eine neue Schöpfung.
Sr. M. Scholastika
Ansprache von Sr. M. Scholastika zum Festtag 2021 und zur Noviziatsaufnahme von Jacqueline Klein
Liebe Schwester M. Lamberta,
liebe Schwester M. Irmgard,
liebe Schwester M. Irmtrud,
liebe Jacqueline,
(Schwester M. Theresia konnte aus Berlin nicht anreisen)
65 Jahre, 60 Jahre Profess.
Sind diese Jahre nicht ein Wunder?
Schwester Maria Willigis hätte sogar 75 Jahre Profess gefeiert, wirklich ein ganzes langes Leben. Schwester M. Imeldis 70 Jahre. Unvorstellbar!
Es ist interessant, nachzulesen, welche wichtigen Ereignisse in Ihren Professjahren stattgefunden haben. Man käme aber an kein Ende. Für uns vielleicht interessant:
1956 Im Oktober dieses Jahres wurde der Vertrag unterschrieben, dass das Saarland nach dem französischen Protektorat wieder Deutschland zurückgegeben wird. Vielleicht wichtig für unsere Saarländerinnen, Sr. M. Ursula und Sr. M. Irmtrud. Und weil es doch nicht wenige von uns miterlebt haben: Kriegsheimkehrer kehren zurück und Umsiedler kommen aus den ehemals deutschen Gebieten Polens. In England geht das erste kommerzielle Atomkraftwerk ans Netz.
1961 John F. Kennedy wird zum 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Er wird später hier noch Bedeutung bekommen.
Das Ereignis in Deutschland, das das Land zerriss, war der Bau der Berliner Mauer. Und: Juri Gagarin als russischer Astronaut war der erste Mensch im Weltall.
Das 2. Vatikanische Konzil lag noch im Schlaf, wenn sich auch bestimmt in Hintergrund Bewegungen für eine Erneuerung der Kirche bereits abgezeichnet haben. Romano Guardini hat z. B. bereits 1918 mit seiner Schrift „Vom Geist der Liturgie“ eine Richtschnur gegeben für die Liturgische Bewegung und so die Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils wesentlich mitgeprägt.
Soweit.
Jede von Ihnen hätte auch viel zu erzählen aus der eigenen Geschichte. Aus der Gemeinschaft, die sich so sehr verändert hat in diesen Jahrzehnten. Und Ihre Stationen, liebe Jubilarinnen, Ihr innerer Weg mit GOTT, mit sich selbst …
Da gibt es die menschliche Geschichte und für uns zentral die göttliche Geschichte mit uns, nie ohne uns. ER bleibt der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, auch nach 65 Jahren, nach 60 Jahren. Und Du, Jacqueline, wirst auch sagen dürfen, wie es Madeleine Delbrêl ausgedrückt hat: im Evangelium, in Jesus Christus eine Lebensform dafür gefunden zu haben und aus diesem „unerhörten Glück“ zu leben und es mit anderen zu teilen.
Ist es nicht so auf dem Weg in ein Kloster?
Es gibt den Punkt des Überwältigtseins, einen Augenblick des Ergriffenseins, einen Moment, der einen nicht mehr loslässt. Madeleine Delbrêl beschreibt es so:
„In diesem Augenblick wird uns Gott das Allerwichtigste ... Da ist diese Begegnung mit dem lebendigen Gott, die Erfahrung einer Liebe, die nicht mehr zur Wahl steht.“
Jede von uns wird es wohl anders beschreiben, aber es geht letztlich immer um diese Liebe, die uns ruft, die uns zu wandeln vermag und uns hilft, wegzuziehen, zu verlassen, neue Wege zu gehen, uns selbst freizugeben für das uns verheißene Leben in Fülle. Aufbruch gehört zu unserem Leben – um der Liebe willen. Was sonst gibt uns die Kraft, uns immer wieder neu einzulassen, nicht stehen zu bleiben!
Das Alte wie das Neue Testament offenbaren GOTT als den Liebenden. Er wirbt um uns, lockt uns und zeigt uns, dass die Liebe mehr ist als Sentimentalität und Gefühl. Für Christus war es der Weg ans Kreuz. Die Dornenkrone auf unseren Zellen, liebe Jubilarinnen, erinnert uns daran. Sie erinnert uns daran, dass Katharina von Siena nicht die Goldkrone gewählt hat, den buchstäblichen Wohl-Stand, die Absicherung.
Die Liebe ist nicht immer bequem. Wer weiß das nicht von uns, ob wir gefühlt schon eine Ewigkeit in der Gemeinschaft leben oder noch ganz am Anfang stehen. Aber allein die Liebe schenkt Erfüllung. Schenkt Fülle.
Die Liebe ermutigt uns, das Leben für Größeres zu wagen.
Maria zeigt es uns auf wunderbare Weise:
in einem unerhörten Vertrauen hat sie ihr JA gewagt.
Der Engel kam nur einmal, dann hieß es für sie zu gehen und nah an der Seite ihres Sohnes zu bleiben, in aller Einfachheit und Alltäglichkeit. Bis ins Letzte hinein.
Es ist so (Giannina Wedde)[1]:
Wir halten die Liebe für das Siegel der Ewigkeit,
für die Fülle, die nicht endet, und den Frieden ohne Erschütterung.
Doch die Liebe hat sich im Menschen mit einer verwundbaren Haut bekleidet
Sie hat sich verschenkt an die niedrigen Dinge,
an die geteilte Mahlzeit auf gesprungenem Porzellan,
an die kleinen Blicke, die den anderen suchen,
an den Seufzer, der auf Erwiderung wartet.
Sie hat sich verschenkt an das Zittern der Stimme, die den Geliebten ruft,
an den honiggelben Morgen, der uns Verzeihen lehrt,
und an die leise Geste, die nichts verspricht,
als dass wir hier, an den Schwellen, die wir fürchten, einander Zuflucht sind.
Ein Lidschlag ist diese Liebe und alle Herrlichkeit liegt darin.
Wie eine Vorübergehende segnet sie uns,
spricht einen leeren Raum in unsere geschäftigen Gedanken, dass ein Mensch darin Platz nehme mit der Anmut seines Namens.
Mit der Anmut seines Namens:
Liebe Jacqueline,
„Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen“, hören wir heute während des Aktes der Noviziatsaufnahme.
Ein Angesprochensein, und Du gibst Antwort mit Deinem Leben.
Deine Eltern haben Dich gerufen und ließen Dich taufen auf den Namen der Frau von John F. Kennedy, Jacky, eine Frau mit Rückgrat, eine mutige Frau. Das war Deiner Mutter wichtig. Der Name kann immer auch Programm sein und eine Lebenslinie zeichnen, uns erinnern an das, was uns aufgetragen ist, was uns ausmacht. Du hast Deinen Namen gefeiert, wir haben Dich gefeiert am Fest des hl. Jakobus. Der hl. Jakobus, der Inbegriff eines Pilgers.
Unser Leben ist ein Pilgern, eine ständiges Gehen auf GOTT zu. Wir kommen mit unserer Sehnsucht, mit unseren Vorstellungen und vielleicht auch Erwartungen. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass GOTT selbst uns erwartet,
dass Er es ist, der uns sucht, dass Er es ist, der sich uns vorstellen will.
Du sollst den Herrn Deinen GOTT lieben, hörten wir aus der Lesung.
Du sollst den Herrn Deinen GOTT lieben,[2]
aus Deinem ganzen Herzen,
aus Deiner ganzen Sache
aus Deinem Denken,
und aus all Deiner Kraft.
Diese Worte stehen über allem. Lieben nach den eigenen Möglichkeiten, Jacqueline, liebe Jubilarinnen. Ganz. Und doch tragen diese Möglichkeiten das Mehr in sich. Das Meer. Pilgern dem Mehr zu, dem Größeren zu.
Auch in jenen Augenblick, die unsere Leben für Sekunden anhalten, die eine neue Herausforderung bedeuten, wie Sie es, liebe Schwester M. Irmtrud, durch Ihren schweren Schlaganfall erlebt haben.
Pilgern dem Mehr der Liebe zu, dem Größeren zu, wenn die Kräfte nachlassen, wenn Pflege notwendig wird, wenn die eigenen Ansprüche durchkreuzt werden. Ich denke an Sie, liebe Schwester M. Lamberta.
Pilgern dem Größeren zu… auch Sie, liebe Schwester M. Irmgard sind in diesem Mehr. Ihnen ist in Ihrem hohen Alter noch so Vieles möglich, auch wenn Ihnen die Schwerhörigkeit zu schaffen macht.
Auch im Vollen dem Größeren zulaufen, mit pochendem Herzen auf ihn zugehen.
Wo die Liebe atmet, wo der Liebe im Alltag der Durchbruch gelingt, da erfahren wir göttliche Gemeinschaft. Jesus sagt: „Wenn ihr mich liebt, werden ich und mein Vater zu Euch kommen und bei Euch wohnen.“ Und er schenkt einen Frieden, den die Welt nicht kennt.
Die göttliche Liebe, liebe Jacqueline,
soll Dich durchfluten, Dich tragen, ihre Spur in Dein Leben legen,
und Dich tief tief glücklich machen.
Wir beten:
Immer wieder weckst[3]
Du die Liebe in unseren Seelen.
Öffne uns die Augen für das Gute und das Nährende.
Lass uns in den Falten des Alltäglichen das Liebenswerte finden.
Hilf uns zu vertrauen, dass wir uns öffnen können für das, was Du uns bereithältst
Segne unser Tun und lassen
Deine Freundlichkeit lass uns erfahren im Empfangen und Verschenken.
In Dir lass uns aufgehoben sein
Von Stunde zu Stunde.
Zeichne Deine Spur in diese Stunde,
in der wir das JA unserer Jubilarinnen feiern
und Jacqueline als Schwester begrüßen dürfen.
Zeichne Deine Spur der Güte und der Liebe,
zeichne Dich in unser Leben.
Amen.
[1] Wedde, Giannina, In deiner Weite lass mich Atem holen. Segensworte für die Lebensreise, Münsterschwarzach
22018, S. 40
[2] Übersetzung von Werner Hegglin aus: Schwyzer, Christoph, Hrgs., Hegglin, Werner, Menschsein ist schon ein Beruf
[3] Angelehnt an: Antje Sabine Naegeli, Umarme mich. Gebete voller Hoffnung, 22020, 146
Vom 15.08-28.08.2021 durfte ich, Sr. M. Filomena mit einer Mitschwester, an Modul II der Bibelwerkstatt der Ordensgemeinschaften in Österreich teilnehmen. Im Folgenden möchte ich einen „kleinen“ Einblick geben in diese Zeit:
Filme wie „Das siebte Zeichen“, „The Day After Tomorrow“ und viele Andere greifen auf die reiche Bilderwelt der Offenbarung des Johannes zurück. Sie eignen sich scheinbar auch gerade zu perfekt für spannende, aber auch brutale, teils blutrünstige Vorstellungen der „letzten“ Tage der Menschheit. Doch wie sind sie zu verstehen? Was verraten uns die Texte über das Gottesbild? Erwartet uns nach einem Gericht das himmlische Jerusalem? Zu Beginn der ersten Veranstaltungswoche des zweiten Moduls widmeten wir uns „Dem entsiegelten Buch – der Offenbarung des Johannes“ mit Unterstützung von Prof. Dr. Margareta Gruber OSF. Fast drei Tage lang führte Sr. Margareta uns in die Tiefen dieser Texte. Gemeinsame Lektüre, Vortrag und Gespräch ließen uns die „Perspektive des Lammes“ als Schlüssel zum tieferen Verständnis der Offenbarung des Johannes erkennen (Offb 5). Die Spannung zwischen der bereits erfahrenen Erlösung durch Christus und der noch ausstehenden Vollendung wurde spürbar. Jene Erfahrung des „Schon“ – und dem gleichzeitigem „noch nicht“. Die zahlreichen Bilder von Krieg, Naturkatastrophen und Visionen gestalten den Übergang in die Vollendung. Sie zeigen aber auch die Universalität des Wirkens Gottes und dessen Endgültigkeit. Besonders berührt hat mich der Gedanke, dass Gott nichts vernichtet, von dem, was er geschaffen hat. Er aber allem die Macht nimmt und nehmen wird, was Leben raubt und zerstört. „Wodurch aber sind wir erlöst?“ Diese Frage forderte uns heraus. Die Arbeit mit den paulinischen Briefen erweiterte unseren Blick auf das Erlösungsgeschehen. Ein Auszug aus dem Galaterbrief (Gal 2,19f.) betont eine grundlegende Erfahrung des Paulus. So übersetzte Sr. Margareta das Wort „Glauben“ (pistis) mit „Trauen“. Wir sind eingeladen und herausgefordert Gott zu trauen, aber auch Gott ist es, der uns traut. Und dort, wo (Ver-)Trauen ist, haben wir Anteil an einer Freiheit, in einer oft unterschätzen Dimension. Erlösung ist für uns erfahrbar als ein konkretes Beziehungsgeschehen. Reich beschenkt mit vielen Gedanken, Worten und Eindrücken durften wir uns am Freitag selbst auf den Weg machen. Sr. Ruth Pucher MC führte uns in die Wiener Innenstadt, hin zu biblischen Darstellungen in der Kunst. Unterstützt durch biblische Lesungen vor Ort wurden die Bilder nochmal neu lebendig und aussagekräftig. Nach einem erholsamen Wochenende begann Woche zwei mit der Schriftauslegung nach Dei Verbum. Sr. Dr. Getraud Johanna Harb SCSC erarbeitete mit uns die Texte der dogmatischen Konstitution. Schritt für Schritt fanden wir Zugang zu den wesentlichen Aussagen, welche oftmals dem ungeübten Leser verborgen bleiben können. So erschloss sich die Offenbarung Gottes als etwas in sich Abgeschlossenes, das aber jeder Einzelne in seiner Zeit und seinem Leben stückweise entdecken kann. So stellen die Tradition und die Hl. Schrift zwei zentrale Elemente der Offenbarung Gottes dar. Sowohl die Tradition und ihre Überlieferungen, als auch die aktuelle, lebensweltnahe Auseinandersetzung des Einzelnen und der kirchlichen Gemeinschaft mit der Hl. Schrift sind wertvoll, damit das Verständnis wachsen kann. (vgl. DV 8) Wie jedoch kann ich die Hl. Schrift verstehen? Auf welche Risiken muss ich achten? Wie kann ich Fehlinterpretationen vermeiden? In diesem zweiten Schrift erhielten wir wertvolle Tipps und unterstützende Literatur. Risiken sind etwa: das Lesen und Absolut-Setzen einzelner Aussagen ohne Hintergrund; die Instrumentalisierung der Texte für eigene Interessen; oder auch die Nichtbeachtung der vielfältigen literarischen Gattungen der Texte. Den inhaltlichen Abschluss gestaltete Br. Dr. Antonius Kuckhoff OSB mit den Psalmen des Alten und Neuen Testamentes. Umrahmt von einer intensiven Begegnung mit Psalm 1 und Psalm 150 durften wir den Psalmen in ihrer vielfältigen Gestalt näherkommen: als Ausdruck eigener Erfahrungen und Erfahrungen des Volkes Israel, als Gebetsschatz, als Brücke zwischen Altem und Neuem Testament, aber auch als musikalische Werke gottesdienstlicher Praxis über Jahrhunderte. Durch eine gezielte Auswahl hebräischer Worte, konnten wir erspüren und erahnen, welche Fülle, den uns, oft nur aus der Einheitsübersetzung vertrauen Worte, innewohnt. Besonders deutlich wurde das für mich an Psalm 22. Einer seiner Verse ist uns aus dem neuen Testament sehr vertraut. Bei Markus 15,34 heißt es: „Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloi, eloi, Lemma sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Für mich ist es immer wieder ein hartes Wort, dieses „Warum“. Doch Br. Antonius, ein großer Freund der hebräischen Sprache, unterschied nochmal genauer, um was es geht. Denn dort steht kein „Warum“ (hebr. madua), das nach dem Grund in der Vergangenheit fragt. Dort steht ein „Wozu“ (hebr. lammah). „Wozu hast du mich verlassen“. Hier wird also nach einer Absicht in der Zukunft gefragt! Um die Psalmen nicht nur im Kopf wirken zu lassen, begegneten wir ihnen auch in der Musik. Psalmvertonungen von Mendelssohn-Bartholdy, Schütz und anderen fanden ihren Weg über unser Ohr ins Herz. Kurz vor dem gemeinsamen Abschluss durften wir am Freitag bei den Steyler Missionaren in St. Gabriel zu Gast sein. Freundlich empfing uns Pater Franz Helm SVD und führte uns durch die riesige und prachtvoll ausgestaltete Kirche. Am Abend feierte er mit uns in der Krypta die gemeinsame Messe zum Abschluss von Modul II. All das ist nur eine Auswahl an spannenden Inhalten und guten Begegnungen, die ich aus den Werkwochen „mit nach Hause nehmen“ durfte. Jeder Referent und jede Referentin waren selbst „Feuer und Flamme“ und beschenkten uns mit einer Atmosphäre des guten gemeinsamen Arbeitens, Suchens und Lernens. Sr. Ruth Pucher MC, die Hauptorganisatorin, begleitete liebevoll und unermüdlich tatkräftig unsere kleine Gemeinschaft während der Wochen im Franziskanerkloster „La Verna“. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit, empfehle sie gerne weiter und danke Gott und allen denen ich in dieser wertvollen Zeit begegnen durfte.
Sr. M.Filomena
Freiheit. Wann haben wir das letzte Mal so viel und so eifrig über sie diskutiert? Als die deutsche Mauer fiel? Als Donald Trump seine Macht willkürlich gegen sein Volk missbrauchte? Oder jetzt in der Corona-Pandemie, deren Einschränkungen Menschen weltweit auf die Straßen getrieben haben – für die und im Namen der persönlichen Freiheit?
Freiheit. Sie treibt uns alle um. Dabei haben wir meist nur unsere äußere Freiheit im Blick. Als Novizin kann ich ein Lied davon singen. Warum darf ich während des Kanonischen Jahres meine Freunde nicht besuchen? Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Und vor allem: Wo finde ich Antworten auf diese meine Fragen?
Vom 6. bis 9. Juli durfte ich, durften wir uns mit den Lehren der Wüstenväter und -mütter, das heißt den Erfahrungen frühchristlicher Mönchen und Nonnen, auseinandersetzen. Wir, das waren die Noviziate von Kloster Arenberg, dem schweizerischen Dominikanerinnenkloster Cazis sowie dem Noviziat der Domnikaner-Provinz Teutonia in Worms. Das waren ein Novizenmeister, drei Noviziatsleiterinnen, vier Novizinnen, ein Novize sowie zwei Postulantinnen. Als Referent ist Pater Thomas Gabriel Brogl OP angereist, Provinzial der Dominikaner in Süddeutschland und Österreich. Das Thema Wüstenväter ist sein Steckenpferd.
Was für mich erst einmal etwas trocken und langweilig klang – Wüste, Askese und ein Haufen alter Männer in den ersten Jahrhunderten nach Christus – hätte spannender und vor allem bewegender kaum sein können. Worum geht es? Um eben jenen Weg in die Freiheit. Nicht die äußere Freiheit jedoch ist gemeint, sondern ein innerer Frieden. Um den Weg ins eigene Sein, in die Wahrheit. Ich selbst werden. Diejenige werden, als die ich von Gott gedacht bin. Das Leben so annehmen, wie es ist. Andere so annehmen, wie sie sind. Und nicht zuletzt: Mich selbst annehmen. So, wie ich bin. Vielleicht die schwierigste von allen Aufgaben. Wie kann sie gelingen? Die Wüstenväter weisen uns den Weg.
Denn sie haben sich in Sachen Freiheit niemand Geringeren als Jesus Christus zum Vorbild genommen. War er doch wie kein anderer in der Lage, sich ganz auf den Willen des Vaters einzulassen. Noch am Kreuz zu hören und zu gehorchen. Bis in den Tod. Die äußere, allzu grausame Wirklichkeit zu ertragen, anzunehmen und sich einer Wahrheit hinzugeben, die nicht von dieser Welt ist. Unvergleichliche Liebe, unendliches Vertrauen sind hierfür notwendig. Und Hoffnung. Aber auch Zuversicht. Dass dies schon alles richtig ist, so wie es ist. Dass es gut ist, trotz aller Widrigkeiten, Demütigungen, Anfechtungen. Doch Jesus Christus war Gottes Sohn. Ob ein solcher Weg in die Freiheit auch „normal Sterblichen“ gelingen kann?
Einige Mutige haben es immer wieder versucht. Antonius der Große, Johannes Cassian, Evagrius Pontikus – das sind einige der großen Namen unter den Wüstenvätern. Wüstenmütter gab es übrigens auch. Obgleich das Leben in der Wüste für Frauen weitaus gefährlicher war als für Männer. Doch das nur am Rande. Sie alle haben sich jedenfalls auf der Suche nach innerer Freiheit, nach innerem Frieden, auf den Weg in die Wüste gemacht. An einen Ort also, dessen äußerliche Beschränkung kaum größer sein könnte. Der unwirtlicher und lebensfeindlicher kaum sein könnte. Doch dort, dachten sie, könne man sich von den Verwicklungen und Verflechtungen der Welt lösen. Das eigene Kreuz tragen, um bei Jesus Christus zu bleiben.
Mit ihrem Leben sind sie uns bis heute Vorbild. Als Eremiten oder als sogenannte Koinobiten in der Gruppe leben sie ein Leben in Askese. Ziehen sich zurück von der Welt und ihren Umtrieben, um sich den eigenen Lastern zu stellen. Dämonen nannte man solche geistlichen Anfeindungen damals. Diese zeigen sich in der Einsamkeit schneller, als man denkt.
Der Rückzug von der Welt, so lerne ich, wie ihn das Noviziat noch heute mit sich bringt, spült alte Verwundungen, alten Schmerz, nach oben. Noch ehe man sich´s versieht, laden die Dämonen zum Kampf: Warum darf ich während des Kanonischen Jahres meine Freunde nicht besuchen? Die Einsamkeit der Zelle ist Krisenauslöser und Heilmittel zugleich. Ohne Ausweichmöglichkeiten, Freunde, Fernsehen oder was mir sonst noch alles zur Ablenkung einfällt, kommt das hoch, was mich in meinem Leben umtreibt. Antreibt. Was mir Kummer und Schmerz bereitet. „Geh in deine Zelle und setze dich nieder. Deine Zelle wird dich alles lehren“, heißt es deshalb in einem berühmten Satz der Wüstenväter. Übersetzt in unsere Zeit: Wenn ich mich aus der Einsamkeit nicht wieder in die Ablenkung flüchte, wenn ich meinen Schmerz nicht betäube, wenn ich ihn betend und im Angesicht Gottes aushalte, dann habe ich eine Chance, geheilt zu werden. Das Herzensgebet, das der Jesuit Franz Jalics wiederentdeckt, praktiziert und weitergegeben hat, ist eine wichtige Hilfe auf dem Weg zum Heil. Aushalten. Ausrichten. Vor Gott bringen. Heilen lassen. Und dennoch das Arbeiten nicht lassen. Auf eine kurze, griffige Formel gebracht heißt dies: Ora et labora. Bete und arbeite. Immer wieder beten, und ruhig weiter der eigenen (Lebens-) Aufgabe nachgehen. Beten und Arbeiten. Zulassen, dass Heilung geschieht.
Doch ich hatte ja noch eine Frage: Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Die Gier nach dem Haben-Wollen, dem Besitzen und dem Immer-mehr-haben-Wollen ist ein Laster, das so alt ist wie die Menschheit selbst. Es ist deshalb eines von acht Lastern, denen die Wüstenväter den Kampf ansagten. Weil sie es darin zu einiger Weisheit und Erfahrung gebracht hatten, nahmen Menschen immer wieder lange Wegstrecken auf sich, um Rat für das eigene Leben zu erfragen. Nicht selten antworteten die Wüstenväter mit einem Wort. Mit einer Geschichte. Wie zum Beispiel diese hier: Einmal entdeckt ein Wüstenvater einen Räuber, der seine Zelle, das sogenannte Kellion, ausräumt. Der Räuber weiß nicht, mit wem er es zu tun hat. Was passiert? Der Mönch kommt dazu und hilft dem Räuber, alles auszuräumen. Dann lässt er ihn mit Sack und Pack von dannen ziehen …
Mal ehrlich: Wer von uns wäre in der Lage, so zu handeln wie dieser Mönch? So unabhängig zu sein von allem, was wir besitzen? Was wir glauben zu besitzen?
Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Damit ich innerlich vollkommen frei bin … mich nicht mehr an meinen Besitz klammern muss. Und an alles, was damit verbunden ist. Sicherheit, Bequemlichkeit, Status, Ansehen … Damit ich die werde, die ich wirklich bin. Nicht mehr nur die, die ich glaube zu sein. Diese Wüstenväter: ganz schön weise. Und so viel mehr als ein langweiliger Haufen alter Männer in der Wüste …
Sr. M. Kathrin
...wir feiern unsere große hl. Katharina von Siena. Wir tragen ihren Namen, sind ihre Schwestern, und sie lehrt uns ihren Mut, ihre Klarheit und ihre Liebe zur Wahrheit und zu allen Armen und Benachteiligten. Wenn sie von der Kirche spricht, braucht sie nicht selten das Bild vom Garten, das seinen Ursprung im Schöpfungsbericht der Genesis und im alttestamentlichen Hohenlied hat: Garten spricht für Fülle und für überfließendes Leben. Katharina nimmt das Bild gerade dann, wenn sie von der Erneuerung der Kirche spricht und sie dort frische und duftende Pflanzungen anbringen will, wo alles fault und verkümmert. Wir kennen die deftige Sprache unserer jungen Patronin: Katharina leidet an den Zuständen der Kirche ihrer Zeit: Macht, Habgier und Intrigen entstellen das Evangelium Jesu und seine Sendung. All diese Themen sind uns auch heute nicht fremd.
Neue, duftende Pflanzen will Katharina in die „Erde Kirche“ bringen:
mit all ihren Kräften setzt sie sich ein gegen den Verfall der Kirche und FÜR ihre Reform und Heilung. Auf diesem Weg sieht sie Christus als Brücke, die Himmel und Erde verbindet.
Bauen auch wir immer wieder Stege zu unseren Mitschwestern und zu den Menschen, Brücken von der Erde zum Himmel. Helfen wir, dass der Riss in der Kirche nicht größer wird und pflanzen wir Gutes und Heilsames. Öffnen wir uns für JEDEN Menschen, damit Alle Heimat finden in unserer Kirche, in einer Kirche, wie GOTT sie gedacht hat.
Jedes Gänseblümchen, jede Blüte sei uns eine Erinnerung an Katharina. Ihr erster Biograf verrät: „ In ihrer Gegenwart fühlte man einen mächtigen Antrieb zum Guten und eine so unbändige Freude an
Gott, dass jede Spur von Traurigkeit aus dem Herzen wich!“ (Paulinus Nr.17/2021, S. 7)
Pflanzen wir Gutes und Aufrichtendes durch unser Denken, Reden und Tun.
Von Herzen,
Ihre Sr. M. Scholastika
+
Schwester M. Hedwig Gruhn OP
01.02.1926 - 22.04.2021
1243 starb die große Heilige Schlesiens, die Herzogin Hedwig. In den Begegnungen mit unsere Schwester M. Hedwig, Waltraut Gruhn, die den Namen der Heiligen trägt, lag auch etwas Würdevolles: ihre Haltung und Disziplin machten sie aus, auch ihre Gabe zu leiten und zu repräsentieren: da war etwas Vornehmes, Diskretes und zugleich Zugewandtes.
Am 01. Februar 1926 in Penzig/Kreis Görlitz geboren, ihre Schwester war 8 Jahre jünger, erlebte Waltraut eine bewegte Kinder- und Jugendzeit. Ihre Geschichten sind ein Zeugnis sprühender Lebendigkeit. Ihr Vater war Rangierer bei der Bahn. Sein Beruf führte die Familie nach Glatz, wo Waltraut nach der Volksschule das Oberlyzeum besuchte, das jedoch wegen drohender Kriegsgefahr 1944 geschlossen wurde. Waltraut erhielt ihr „Notabitur“. Was sie dann erlebte, schriebe sich als spannender Roman: Sie leistete „Kriegseinsatz“, war für kurze Zeit Sportreferentin, dann Unterführerin von 70 Mädchen, die am Ostwall einen Schützengraben zu bauen hatten. Anschließend war sie im Arbeitsdienst in Oberschlesien. 1945 floh die gesamte Lagergemeinschaft vor den herannahenden Russen. In Chemnitz ausgebombt, kam sie nach Prag. Am 08. Mai 1945 durfte Waltraut das Kriegsende in ihrer Heimat erleben, wo sie ab 1946 im Komitee für die Repatriierung des deutschen Volkes aus der russischen und polnischen Besatzungszone mitarbeitete. Jahre später schreibt Schwester M. Hedwig an die Zeitschrift „Grafschafter Bote“: „Auf diese Weise bleibe ich der Grafschaft Glaz verbunden, in der ich glückliche Kindheits- und Jugendjahre verbracht habe… Trotz der Schmerzen um die verlorene Heimat denke ich voll Dankbarkeit zurück. Es ist gut, für die geschichtliche Wahrheit einzutreten und auf diese Weise zur Klärung einer friedlichen Lösung der Völker Europas beizutragen.“
1947 wurde sie mit ihrer Familie ausgewiesen, und sie fanden Heimat im Spreewald. Und wieder: Arbeit in einer Gurkenfabrik, Sprechstundenhilfe bei einem Arzt, dann endlich konnte sie ihre Ausbildung zur Krankengymnastin in der Universitätsklinik der Charité in Berlin verwirklichen. 1951 war Waltraut staatliche geprüfte Krankengymnastin und Masseurin. Im Zeugnis steht:
„Dank ihres guten Einfühlungsvermögens in die Verschiedenartigkeit der Patienten und ihrer Erkrankungen und der Sicherheit, mit der sie die Behandlungen durchführte, hatte sie sehr gute Erfolge.“
Danach kam Waltraut nach Düsseldorf-Heerdt in das Unfall-Krankenhaus am Rhein, das von unserer Kongregation geleitet wurde. 1955 begann ihr Wirken in Arenberg im Kneipp-Sanatorium. An diesen beiden Orten stärkte sich ihr Entschluss, als Ordensfrau leben und wirken zu dürfen. In ihrem Antrag schreibt Waltraut 1956: „Ich beabsichtige meine Tätigkeit aufzugeben, um als Dominikanerin GOTT vollkommener dienen zu können.“
Eine junge Frau, die so viel erlebt hat, lässt sich auf eine völlig andere Lebensweise ein.
Jahre später erhielt Schwester M. Hedwig die missio canonica für Erzbistum Köln, die es ihr ermöglichte, als Seelsorgehelferin in Gemeinde und Schule zu wirken – zuerst in Köln St. Aposteln, zusammen mit Prof. Dr. Theodor Schnitzler. Sie erhielt auch die Lehrbefähigung für Sonder- und Berufsschulen.
Neben ihren Prioraten in Berlin-Hermsdorf und Remscheid bleibt der Höhepunkt ihres Wirkens die Versetzung in die Schweiz, an den Heimatort unserer Gründerin Mutter M. Cherubine Willimann. Ihr Auftrag neben dem Religionsunterricht und Leitung der kleinen Gemeinschaft war der Bau unseres Klosters in Rickenbach. Wichtiger jedoch war ihr der Bau nach innen. Schwester M. Hedwig lag das klösterliche Leben mit dem ununterbrochenen Gebetsrhythmus sehr am Herzen. Bis zuletzt. Sie leitete an, mit Leib und Seele zu beten.
Und: ihr waren die Kontakte zum Dorf äußerst wichtig.
Nach ihrer Rückkehr aus Rickenbach 2016 wurde die Pflegestation im Mutterhaus ihr Lebensort. Ihre Liebenswürdigkeit und Dankbarkeit, ihr Lachen und ihr vornehmes Auftreten, ihre Großzügigkeit und auch Gelassenheit wird uns fehlen: Schwester M. Hedwig war eine große, kluge Frau, die sich an Kleinigkeiten und Schönem freuen konnte und lebenslange Freundschaften pflegte. Sie sehnte sich nach dem Himmel, und sie war bereit für das neue, uns verheißene Leben in GOTT.
Ein bewegtes Leben findet ein ewiges Bleiben.
Ansprache unserer Generalpriorin Sr. M. Scholastika Jurt zur Postulatsaufnahme von Jacqueline Klein am 25. März 2021
Liebe Jacqueline,
es ist uns eine große Freude, Dich heute ins Postulat
unserer Gemeinschaft aufnehmen zu dürfen.
Dich, so wie Du bist.
Es ist uns eine große Freude, Dir Deinen Platz in unserer
Mitte offen zu halten. Mögest Du in dieser Lebensform, die
Du tiefer kennenlernen möchtest, Dein Glück finden, die
wahre Freiheit, das wahre Leben.
Die Nachfolge, so sagt es der Kapuziner Guido Kreppold, zu der Jesus uns einlädt, beginnt nicht mit gewaltigen Anstrengungen, sondern damit, dass wir uns seiner Kraft
(griechisch dynamis) öffnen, der Dynamik, die von ihm
ausgeht. Wir dürfen in die Atmosphäre eintauchen, die er
verbreitet. Es wird dann mit uns etwas von dem geschehen, was bei den ersten Jüngern geschah. Das heißt, wir werden im Innersten berührt und betroffen sein, wir werden spüren, etwas Kostbares entdeckt zu haben, eine beglückende Nähe und Freiheit zugleich.
Liebe Jacqueline,
unser Weg in der Gemeinschaft ist dieser intensive Weg mit Christus. Wir dürfen ihn immer tiefer kennenlernen, ihn leben. Dies bedeutet ein tägliches Aufbrechen, ein tägliches Gehen. Wir haben diesen Weg nicht, er ist auch nicht klar abzustecken:
Was muss es für Maria bedeutet haben, als der Engel zu jener Stunde bei ihr eintrat, sie begrüßte und ihr Unvorstellbares verheißen hat! Ihr Tageslauf wurde unterbrochen, ihre Lebenspläne durchkreuzt. Maria‘s „Mir geschehe nach deinem Wort!“ war ihr jedoch keine schwere Last, kein Gewicht, dass sie überfordert hätte. Denn wenige Zeilen später lesen wir:
„In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa.“
Sie eilte mit der göttlichen Verheißung ins Gebirge. Ihre Erwählung nimmt ihr nicht die Luft, nicht die Leichtfüßigkeit.
Nachfolge bedeutet stete Bewegung, nur unter dem Kreuz wird sie ein Stehen, ein Bleiben, ein Ertragen und Aushalten.
Auch das lehrt uns Maria.
Aber dennoch:
Da ist Freiheit. Da ist die Liebe, die trägt …
Wenn unsere Nachfolge ein Krampf wird, ein Zwang, ein ständiges Rechnen, eine reine Pflicht, dann wird sie fragwürdig.
Im Lukas-Evangelium, wir haben diese Verse in den Exerzitientagen betrachtet, entdecken wir die Schlichtheit der Nachfolge:
„In der folgenden Zeit wanderte Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte:
Maria Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen. (Lk 8)
Mit Deinen Möglichkeiten, liebe Jacqueline, mit Deiner Originalität bist Du gerufen.
Nachfolge ist kein Alleingang. Sie ist ein Suchen und Ertasten, ein Verlieren und Finden, sie ist ein Erfreuen, ein Staunen, aber auch ein Erleiden.
Hierin brauchen wir einander. Wir brauchen einander als Schwestern, um uns gegenseitig auf einen Esel zu heben,
der uns in inneren und äußeren Bedrohungen in den Schutz der Liebe bringt, ins Helle, ins Licht GOTTES. Wir brauchen einander, um uns gegenseitig zu ermutigen, Nöten zu begegnen und dem Schmerz, um Netze liegen zu lassen, wenn es gilt, neue Wege unter die Füße zu nehmen. Wir brauchen einander, um uns in den so vielen alltäglichen Momenten Jesus zu zeigen, der DA ist, ganz nah und doch unauslotbares Geheimnis bleibt.
Die Erde ist randvoll mit Himmel –
und in jedem gewöhnlichen Dornbusch brennt Gott.
Aber nur jene, die sehen können, ziehen ihre Schuhe aus.
Elizabeth Barrett Browning
Ein Gedanke von Birgit Mattausch:
Heißt Christ*In-Sein vielleicht, immerzu bekloppte Dinge zu tun? Immerzu das Größte im Kleinsten zu vermuten? Den Sehnsuchtsort im Nebenan? Wie Jesus es immerzu tat. Wie er es immerzu tut. Der blutenden Frau ins Gesicht schaut und sie „meine Tochter“ nennt. Ihren Glauben sieht in und unter undüber ihrem Beschämtsein. Mich sieht. Mich ruft.
Meine Seele ein wackeliger, graffitibesprühter Bauwagen – für ihn (Jesus) ein Kloster, ein Heiligtum.
Liebe Jacqueline,
wir wünschen Dir, dass Du in der Nähe GOTTES und in IHM Dein Leben findest. Und möge er uns helfen, Dir zu geben, was Du brauchst für Dein Blühen und Gedeihen. Als Zeichen der Zugehörigkeit darf ich Dir im Namen der Gemeinschaft das Mantelwappen übergeben, das uns daran erinnert, immer wieder neu zu beginnen, die Wahrheit zu suchen und ihr zu dienen,
und dass wir zu einer viel größeren Gemeinschaft gehören, zur dominikanischen Familie, die Dir hoffentlich Heimat wird.
Und: unsere erste Regel ist nicht die des hl. Augustinus, sondern das Evangelium. Darum lege ich Dir die Hl. Schrift ans Herz und in die Hände.
Einstimmung von Sr. M. Scholastika in das Hochfest des hl. Josef 2021 - Profess-Erneuerung von Schwester M. Christina Klein und Noviziatsaufnahme von Janina Franz
Liebe Schwester M. Christina, liebe Janina, liebe Schwestern, liebe Jacqueline,
braucht ein Leben mit GOTT Mut?
Wir sollten Schwester M. Irmgard fragen und Schwester
M. Theresia, die am Josefstag 65 Jahre Profess feiern,
oder in Oberhausen Schwester Maria Willigis mit ihren 75 Jahren, Schwester M. Imeldis mit ihren 70 Jahren Profess.
Braucht dieses Leben mit GOTT Mut?
Wir haben in den letzten Tagen der Exerzitien die Worte von Madeleine Delbrêl meditiert:
Lasst euch finden
Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Ideen,
ohne die Erwartung von Müdigkeit,
ohne Plan von Gott; ohne Bescheidwissen über ihn,
ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek -
geht so auf die Begegnung mit ihm zu.
Brecht auf ohne Landkarte -
und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist,
und nicht erst am Ziel.
Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden,
sondern lasst euch von ihm finden
in der Armut eines banalen Lebens.
Und aus dem Matthäus-Evangelium hören wir:
„Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel! Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab.“
Da kann man schon weiche Knie bekommen.
Und wenn das nicht Mut braucht:
- das sichere Boot zu verlassen und wie Petrus aufs Wasser zu gehen, wenn Jesus ruft.
- nach IHM zu rufen, wenn alles wehtut und heillos erscheint,
- IHM zu vertrauen, dass Er uns das tägliche Brot gibt, das wir brauchen.
Es braucht Mut, bei Jesus zu bleiben, wenn das Gehen mit IHM Leiden bedeutet.
Es braucht Mut, zu IHM zu stehen, bei Ihm zu bleiben, auch in der Unvernunft, im Nichtverstehen, dann, wenn es zum Davonlaufen ist.
Es braucht Mut, der Stimme GOTTES zu trauen, die uns in Träumen entgegenkommt, wie beim hl. Josef.
Und in unserer Zeit braucht es auch Mut, in dieser Kirche zu bleiben, in der dunkelste Abgründe ans Licht kommen.
Jesus selbst ist es, der ermutigt: „Fürchtet Euch nicht! Habt Mut!“
Wir kennen beides: wir kennen Unsicherheit und Ängste, wir kennen den Mut und die Entschiedenheit, und durch ein langes Leben mit Christus, für das Sie, liebe Schwester M. Irmgard heute Zeugin sind, wird offenbar, was Frère Roger aufgeschrieben hat: „Bleibst du im Treibsand von Unschlüssigkeit und Nachtrauern zurück, verlierst du nur Zeit; eine Zeit, die nicht mehr dir gehört, sondern schon zur Zeit Gottes geworden ist. Der Teil Irrtum oder Zweideutigkeit, der jeder Entscheidung anhaftet, wird im Feuer des Geistes Gottes verbrennen.“
Liebe Schwestern,
das Leben ist mutig. Die Liebe ist mutig.
Vor 150 Jahren ist der hl. Josef zum Patron der katholischen Kirche erhoben worden. Das war für Papst Franziskus am 08. Dezember 2020 Grund genug, dieses Jahr zum Jahr des hl. Josef auszurufen. In den Monaten der Pandemie ist in ihm der Wunsch gereift, dieses Jahr zu begehen, „da in dieser Krise unser Leben von gewöhnlichen Menschen – die gewöhnlich vergessen werden – gestaltet und erhalten wird, die weder in den Schlagzeilen der Zeitungen und Zeitschriften noch sonst im Rampenlicht stehen, die aber heute zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte schreiben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte, Transporteure, Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, … viele, ja viele andere, die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet. […]
Wie viele Menschen üben sich jeden Tag in Geduld und flößen Hoffnung ein und sind darauf bedacht, keine Panik zu verbreiten, sondern Mitverantwortung zu fördern. Wie viele Väter, Mütter, Großväter und Großmütter, Lehrerinnen und Lehrer zeigen unseren Kindern mit kleinen und alltäglichen Gesten, wie sie einer Krise begegnen und sie durchstehen können, indem sie ihre Gewohnheiten anpassen, den Blick aufrichten und auch zum Gebet anregen.
Alle können in Josef, diesem unauffälligen Mann, diesem Menschen der täglichen, diskreten und verborgenen Gegenwart einen Weggefährten in schwierigen Zeiten finden. Der heilige Josef erinnert uns daran, dass all jene, die scheinbar im Verborgenen oder in der „zweiten Reihe“ stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen.“ [1]
Papst Franziskus stellt ihn als einen Mann des Mutes in unsere Mitte: Er hatte den Mut, vor dem Gesetz die Rolle des Vaters zu übernehmen, und er gab Jesus den vom Engel geoffenbarten Namen: »Ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen« (Mt 1,21). Einer Person oder einer Sache einen Namen zu geben bedeutete bei den alten Völkern Zugehörigkeit erhalten zu können.
Josef hört mutig auf die Stimme im Traum: „Josef, fürchte Dich nicht, hab Mut, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“ Wir können uns gar nicht so leicht vorstellen, was das für Josef bedeutet hat. Zu der damaligen Zeit.
„Fürchtet euch nicht, habt Mut!“
Wir dürfen Tag für Tag mit ganzer Kraft das Evangelium leben.
Das ist unsere Berufung, liebe Schwestern, das ist unsere Sendung als Dominikanerinnen: sein Wort zu verkünden, sein Wort zu leben. Und das ist auch Euch wichtig, liebe Schwester M. Christina, liebe Janina.
Du, Janina, hast durch Deinen Taufnamen einen lebendigen Zugang zum Apostel Johannes gefunden, der mit der Wucht seiner Worte Jesus als den Messias verkündet hat. Du hast einen Zugang, wie er aus der gegenseitigen innigen Liebe mit seinem Herrn lebte, in einer besonderen Vertrautheit. Johannes heißt: GOTT ist gnädig.
Davon schreibt auch Papst Franziskus, wenn er auf den hl. Josef schaut: Die Heilsgeschichte erfüllt sich »gegen alle Hoffnung […] voll Hoffnung« durch unsere Schwachheit hindurch. Allzu oft denken wir, dass Gott sich nur auf unsere guten und starken Seiten verlässt, während sich in Wirklichkeit die meisten seiner Pläne durch und trotz unserer Schwachheit realisieren. Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet« (2 Kor 12,7-9).
So lehrt uns Josef, dass der Glaube an Gott auch bedeutet, daran zu glauben, dass dieser selbst durch unsere Ängste, unsere Zerbrechlichkeit und unsere Schwäche wirken kann. Und er lehrt uns, dass wir uns inmitten der Stürme des Lebens nicht davor fürchten müssen, das Ruder unseres Bootes Gott zu überlassen. Josef zeigt uns einen Glauben, der nicht nach Abkürzungen sucht, sondern dem, was ihm widerfährt, „mit offenen Augen“ begegnet und persönlich Verantwortung übernimmt.
Papst Franziskus spricht von einem kreativen Mut: "Der Himmel greift ein, indem er auf den kreativen Mut dieses Mannes vertraut, der, als er bei der Ankunft in Betlehem keinen Ort findet, einen Stall herrichtet und so bereitet, dass er für den in die Welt kommenden Sohn Gottes ein möglichst behaglicher Ort wird. Angesichts der drohenden Gefahr des Herodes, der das Kind töten will, wird Josef im Traum erneut gewarnt, das Kind zu beschützen, und so organisiert er mitten in der Nacht die Flucht nach Ägypten."
Josef lebt im Jetzt. Er versteht es, ein Problem in eine Chance zu verwandeln, weil er zuerst dem GOTTES Wirken traut. Diesen kreativen Mut wünschen wir Euch beiden, Schwester M. Christina und Janina.
Liebe Janina,
Du bist entschieden, einen nächsten Schritt zu setzen:
Du bittest um die Aufnahme ins Noviziat.
Du weißt Dich beim Namen gerufen.
Zutiefst hast Du in Deinem Leben die Erfahrung gemacht: GOTT ist gnädig:
Du bist begnadet, eine von GOTT Beschenkte.
Du erkennst: Gnade ist das eine, das Beschenkte im Hier und Jetzt ins Leben zu bringen ist das andere. Das braucht auch Mut. Und es braucht Mut, dem Leben, wie es sich zeigt, nicht auszuweichen und genau hier das Evangelium zu leben.
Wir haben in den Exerzitientagen gemeinsam ein Wort betrachtet:
„Der wahre Mut ist die Frucht der Zärtlichkeit. Er überkommt uns, wenn wir der Welt gestatten, unser Herz zu streifen — unser Herz, das so schön und so nackt ist. Wir sind dann bereit, uns zu öffnen, ohne Rückhalt und ohne Scheu, und uns der Welt zu stellen ... Wir sind dann bereit, unser Herz mit anderen zu teilen."
Janina, Du möchtest diesen Mut in Deinem Namen tragen dürfen: „Freundin des Mutes“ wird Dein Name sein. Wer mit der griechischen Sprache vertraut, ahnt, wie Du gleich bei Deinem Namen gerufen wirst.
Liebe Schwester M. Christina, liebe Janina,
Gott nimmt Euch immer neu in seinen Lebensraum hinein, indem er Euch mit seinem Geist erfüllt; indem er Euch fähig macht zu einem freien Ja zu seiner Güte und zur Bereitschaft, Euch mutig zur Verfügung zu stellen.
Von Herzen wünschen wir Euch, dass die innerste Verbundenheit mit unserem GOTT immer stärker werden darf, dass Ihr aus dieser Verbundenheit Mut empfängt für seine Verheißungen und für das Leben, das es zu gestalten und fruchtbar zu machen gilt.
„Möge in Euch die Gewissheit reifen, dass Ihr mit Haut und Haar gewollt seid, mit jedem Eurer Gedanken,
auch jenen, die ratlos sind am Ende eines Tages, dass Ihr geliebt seid vom ersten Atemzug bis zum letzten, wenn Euer Weg vollendet ist. Mögt Ihr in Christus ein Glück finden, das größer ist als jedes Besitzen, jedes Wollen und jedes Wissen.
Ein Glück, das an Begegnung reift und an jenem Wunsch, sich zu verschenken, um Hoffnung für Viele zu sein.
Mögt Ihr mit der Gewissheit leben, dass Ihr genug Güte in Euch trägt, um Wunden zu schließen, einen Alptraum zu beenden und ein Leben zu retten und eine leuchtende Antwort zu sein auf jemands dunkle Fragen." [2]
Vergesst es nicht:
Nicht länger nennt man dich «Die Verlassene» und dein Land nicht mehr «Das Ödland», sondern man nennt dich «Meine Wonne» und dein Land «Die Vermählte». Denn der Herr hat an dir seine Freude und dein Land wird mit ihm vermählt. Wie der junge Mann sich mit der Jungfrau vermählt, so vermählt sich mit dir dein Erbauer. Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich! (Jes 62)
Sr. M. Scholastika
[1] Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben „Patris Corde“, 08. Dezember 2020
[2] Giannina Wedde, In deiner Weite lass mich Atem holen
In jener Zeit hielten sich die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, bei Jesus auf. Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Hand voll Wasser die Hände gewaschen haben, wie es die Überlieferung der Alten vorschreibt. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. Und weiter sagte Jesus: Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft und haltet euch an eure eigene Überlieferung. Mose hat zum Beispiel gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter!, und: Wer Vater oder Mutter verflucht, soll mit dem Tod bestraft werden. Ihr aber lehrt: Es ist erlaubt, dass einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Was ich dir schulde, ist Korbán, das heißt: eine Opfergabe. Damit hindert ihr ihn daran, noch etwas für Vater oder Mutter zu tun. So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und ähnlich handelt ihr in vielen Fällen.
(Mk 7, 1-13)
Mit Regeln ist das so eine Sache: Die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Die einen bestehen vehement auf ihrer Einhaltung, andere ergreifen jede sich bietende Gelegenheit, um gegen sie zu rebellieren, sie aufzubrechen. Wir Deutschen gelten allerdings nicht als besonders rebellisch, im Gegenteil. Im Ausland werden wir für unseren Perfektionismus und unsere Regeltreue gerne belächelt. Oft zitiertes Beispiel: die berühmte rote Ampel. Menschen anderer Nationen und Kulturen wundern sich, warum wir Deutschen an einer roten Ampel stehenbleiben, auch dann, wenn weit und breit kein Auto in Sicht ist. Man kann dieses Verhalten, diese übertriebene „Gesetzestreue“, für Kleinkariertheit halten oder nicht. Auf jedem Fall bietet sie Anlass zu Verwunderung.
Klar ist jedoch: Überall dort, wo Menschen zusammenleben, braucht es Regeln. Und Gebote. Als Gott das Volk Israel aus Ägypten heraus in die Freiheit führt, gibt er ihm die zehn Gebote mit. Quasi als Anleitung für gelingendes Leben. Die zehn Gebote sind sozusagen die Minimalanforderungen, um gesellschaftliches Leben so zu gestalten, dass es gelingen kann.
Das Gebot der Pharisäer im heutigen Evangelium kommt erst einmal ziemlich lebensnah und pragmatisch daher. Es scheint direkt aus dem Alltag gegriffen. Und löst ihn mir eigentlich auch keinen Widerspruch aus. Haben wir nicht alle als Kinder gelernt, dass wir uns vor dem Essen die Hände waschen sollen? Und ist es heute nicht aktueller denn je? Jetzt, das heißt in Zeiten von Corona, wo jede Hygienemaßnahme zählt? Warum also hat Jesus damit ein Problem? Was soll an diesem Gebot der Pharisäer falsch sein? Mir jedenfalls leuchtet es durchaus ein. Auch würde ich aus dem Stehgreif nicht dafür plädieren, bei Rot einfach über die Ampel zu gehen.
Jesus selbst erklärt uns, weshalb er daran Anstoß nimmt: Bei einem Gesetz wie diesem handele es sich nicht um ein Gebot Gottes, sondern um die Satzungen von Menschen, so zitiert er den Propheten Jesaja. Weiter heißt es: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir.“ Die „Satzungen von Menschen“, das sind also praktische Regelwerke, wie wir sie aus dem Alltag kennen: Geh nicht bei Rot über die Ampel! Wasch deine Hände vor dem Essen! An sich nichts Schlechtes.
Worin jedoch die Kritik besteht, wird mir klar, wenn ich darüber nachdenke, wie wir im Alltag über den Sinn und Unsinn von Regeln und Geboten debattieren. Diejenigen, die eine Regel brechen, argumentieren gerne damit, für wie unsinnig sie besagte Regel halten. Warum soll ich dieses oder jenes tun, wenn ich keinen Sinn dahinter erkenne? Warum soll ich dieses oder jenes lassen? Warum soll ich nicht bei Rot über die Ampel gehen, wenn doch kein Auto in der Nähe ist? Warum soll ich mir vor dem Essen die Hände waschen?
Wirklich fruchtbar wird eine Diskussion über Gebote dabei nur dann, wenn man nicht die Regel selbst, sondern den Wert hinter der Regel diskutiert: Ich soll nicht bei Rot über die Ampel gehen, damit ich nicht von einem Auto überfahren werde. Unsinnig ist diese Regel jedoch, wenn gar kein Auto vorüberfährt. Ich soll mein Brot nicht mit unreinen Händen essen, weil ich sonst vielleicht krank werden könnte. Unsinnig ist diese Regel jedoch dann, wenn meine Hände gar nicht schmutzig sind. Noch einmal: Regeln machen nur dann Sinn, wenn ich auf das schaue, was sich hinter ihnen verbirgt.
Umgekehrt bedeutet dies: Der Sinn oder Wert hinter einer Regel ist, auf was es sich eigentlich auszurichten gilt. Regeln, die herausgerissen werden aus ihrem Kontext und ein gewisses Eigenleben entwickeln, sind unsinnig. Gott jedoch interessiert nicht das, was auf unseren Lippen, sondern was in unserem Herzen ist. Wenn unsere Haltung, unsere Werte stimmen, dann leiten sich die Lebensregeln und Gebote ganz automatisch von dieser Haltung ab.
Eine andere Bibelstelle fällt mir dazu ein: Als die Pharisäer Jesus auf die Probe stellen wollen und ihn fragen, welches Gebot im Gesetz das wichtigste sei, da antwortet er:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten“ (Mt 22, 37-40).
Unsere Liebe zu Gott und zu anderen Menschen, das ist also das, was Gott wirklich interessiert. Unsere Haltung ist es, die er verändern möchte. Tag für Tag. Und aus eben jenen Geboten sollte sich unser ganzes Handeln, sollten sich alle unsere Regeln und Gesetze für den Alltag ableiten.
Sr. M. Kathrin Schäfer
Maria Lichtmess 2021, wir feiern die Darstellung unseres Herrn.
Wir feiern die Freude des Simeon und der Hanna im Tempel, die den kleinen Jesus sehen und erkennen: Da ist ER, Gott ist Mensch, mitten unter uns.
Wo er gegenwärtig ist, ist ein Licht das erleuchtet, dass das Herz und das Leben hell macht.
Traditionell feiern wir diesen Tag mit vielen Kerzen, die Segnung in der Messe, hier sogar mit einer kleinen Lichterprozession.
Richtig spannend waren für mich allerdings die Kerzen, die nicht brannten.
Nicht brannten? Ja, richtig! Und zwar diejenigen auf unseren Tischen im Refektorium, die trotz ihrer festlich silbernen Farbe, nicht brennen wollten. Wo beim Mittagessen jede noch brav brannte und ihren Dienst tat, ging jetzt an manchen Tischen nichts.
Fleißige Mitschwestern versuchten mit Hingabe -bewaffnet mit einem Feuerzeug- alles, um die Dochte endlich zu entfachen.
Fast alle stehen inzwischen bereit zum Gebet, die letzten flotten Schritte eilen vom Gang in den Raum, die letzte Bremse eines Rollators wird eingelegt und - es geht nichts.
Gedanken werden spürbar. „Wer hätte denn eigentlich...?“; „Wieso...“ ;
„Muss man jetzt unbedingt noch?“. Ein Seufzen, ein Räuspern, ein genervter Blick begleiten das Szenario der rauchenden, bestenfalls glimmenden Dochte.
Die Ersten wenden sich ab, wo eben noch drei Schwestern um die Flammen kämpften, steht jetzt noch eine.
Eine Unbelehrbare wahrscheinlich. Denke ich. Geht ja nix und Zeit zum Beten wäre ja auch schon längst und außerdem haben alle Hunger. Und wer Hunger hat... naja das wissen wir ja.
Jemand holt Luft, vielleicht um das Unterfangen abzubrechen und genau da brennt die Kerze. Ein kurzes Staunen erfüllt den Raum. Manche Klatschen.
Auch die anderen Schwestern versuchen es neu. Zwei von drei Kerzen brennen. Dabei bleibt es. Die Routine kehrt zurück. Das Essen.
Aber mir geht es doch nach, heute da wir IHN feiern.
UND:
Ich bin ihr wirklich dankbar, jener Schwester, die so fest an ihrer Hoffnung festhielt, dass die Kerze brennen wird. Fest verankert in meinem eigenen „beim besten Willen, aber das wird nix“ erinnerte es mich auf einmal neu und intensiv daran, dass auch ich Hoffnung habe.
Wider manche Vernunft. Ich glaube dran, dass Gottes Licht unter uns zu finden ist. Ich spüre die Kraft der „kleinen Lichter“, ihre Wärme, ihre Fähigkeiten Dinge zu erhellen und so ihre Schönheit sichtbar zu machen. Auch ich staune über Gott in dieser Welt und erahne manchmal, wie Simeon, was Frieden ist.
Ich weiß auch, und bete darum, dass mich diese Hoffnung antreiben wird. Mich antreibt, alles zu versuchen dafür, dass jede Kerze brennen kann. Dafür, dass jeder Mensch das Licht leuchtet, dass ihm Gott geschenkt hat. Über alles Seufzen und manche Misserfolge hinweg.
Dass ich einfach dranbleiben will, solange bis es brennt. Und im Stillen träume ich, dass diese Hoffnung ansteckend ist. 🔥😇🔥
Postulantin Janina
Der Sommer ist zwar endgültig vorbei, aber hier folgt noch ein kleiner Bericht aus glücklichen Fahrradtagen:
Diesen Satz aus der Überschrift, den vor vielen Jahren mal eine Holländerin zu mir sagte – Fiets bedeutet Fahrrad auf Niederländisch – habe ich immer im Ohr, wenn ich mit dem Fahrrad aufbreche. So auch im Sommer, als ich, wie immer, mein Fahrrad mit Zelt, Kocher und Schlafsack belud, um in die Ferien aufzubrechen. Wegen Corona hatte ich meine Pläne geändert und mich dazu entschieden, von Oberhausen aus mit dem RE nach Arnheim zu fahren, um von dort zu einer Radreise durch die Niederlande nach Vechta loszufahren. Erste Überraschung, als ich am Sonntagmorgen gegen 6.40 Uhr am Bahnhof ankam: Der Zug war nicht angezeigt! Schienenersatzverkehr… Das konnte ja heiter werden mit dem bepackten Rad. Deswegen entschied ich mich kurzerhand, statt nach Arnheim, mit dem Zug nach Venlo zu fahren. An sich war es ja egal, wo ich losfuhr – Hauptsache Fahrrad fahren in den Niederlanden, dem Paradies für Fahrradfahrer! Denn das ganze Land ist überzogen mit einem Netz aus Radwegen, es gibt verschiedene Radrouten, die durch das ganze Land führen, ein sehr gutes Leitsystem, so dass man den ganzen Tag nach Zahlen fahren kann, und an jeder Ecke einen Campingplatz, so dass man sich wirklich keine Gedanken darüber machen muss, wo man übernachten kann. Anstelle von Bergen gibt es, wenn es nicht so gut läuft, den Bergsimulator, also Gegenwind. Was ich bei meinen Planungen allerdings nicht so richtig bedacht hatte: Es gibt auch jede Menge Wasser in Holland, also jede Menge Fähren. Das führte dazu, dass ich meine Route jeden Abend neu plante, weil mal diese Fähre nicht fuhr und mal jene Fähre. Am Ende hatte ich in elf Tagen auf dem Rad sieben Fährfahrten absolviert – man könnte meinen, ich hätte eine Seereise gemacht. Daneben verbrachte ich wirklich tolle Tage auf dem Rad, der Wind war mir meistens hold, der Regen verschonte mich in der Regel, jeden Tag lockte ein Bäcker am Wegesrand mit Rosinenbrötchen und frischem Kaffee, die Brombeerbüsche trugen reichlich Früchte und ich begegnete vielen sehr netten Menschen. Da ich inzwischen etwas Niederländisch gelernt habe, konnte ich einfache Gespräche in der Landessprache führen und freute mich daher, dass die Menschen so freundlich sind. Wo in Deutschland über einen geredet wird – nach dem Motto: Guck mal, da ist ja ein Pinguin! – kommen die Niederländer direkt auf einen zu: „Ach, ich hab gesehen, dass da eine Nonne sitzt. Wie schön! Können wir ein Foto zusammen machen? Wohin sind Sie denn unterwegs?“ Verschiedene Gespräche ergaben sich auch auf den Campingplätzen und einen halben Tag lang fuhr ich mit Toine (Kurzform von Antoine) zusammen, einem Niederländer, der eine große Runde rund um die Niederlande radelte. Gegen Ende meiner Tour besuchte ich Sr. Regina vom BMV in Essen, die mit ihren Eltern Urlaub in der Krummhörn in Ostfriesland machte und P. Stefan Maria von den Kapuzinern, der auf Baltrum als Urlauberseelsorger war und mich zu sich einlud. Meine letzte Nacht unterwegs verbrachte ich dann im Schatten der evangelischen Kirche in Mittegroßefehn, weil der nächste Campingplatz zu weit weg war. Da ein Friedhof direkt neben der Kirche lag, hatte ich quasi fließend Wasser am Zelt. Das war wirklich eine tolle Radreise!
Zu einem etwas anderen Abenteuer brach ich dann am 22. August auf: den Sommer über fand ein besonderes Radrennen statt. Wegen Corona gab es in jedem Bundesland einen bestimmten Parcour, den man fahren konnte, wann man wollte. Man musste nur alles mit dem Fahrradcomputer aufzeichnen und hinterher an die Organisatoren schicken. Weil Bremen in der Nähe von Vechta liegt und fast keine Berge aufzuweisen hat, entschied ich mich für den Parcour von Bremen. Der war allerdings 320 Kilometer lang und führte mich bis an die Nordsee. Zwischendurch ging es über Wiesen und durch Wälder, einmal unter einem Stacheldrahtzaun durch, über Wege, die eigentlich nicht zu erkennen waren, über die Strandpromenade des Butjadinger Lands, mit der Fähre über die Weser und zum Niedersachsenstein in Worpswede, den ich allerdings gar nicht richtig erkannte, weil es schon dunkel war, als ich dort ankam. Start und Ziel der Runde waren Bremen und es war ein tolles Gefühl, als ich nach 20 Stunden und 45 Minuten die 321 Kilometer gefahren war und wieder auf dem Rathausplatz in Bremen eintraf. Mit dieser Zeit war ich zwar nicht die Schnellste, aber auch nicht die Langsamste und sogar schneller als manche Männer. Außerdem war ich vorher noch nie 320 km am Stück gefahren, noch dazu über Wege, die manchmal gar nicht zu erkennen waren. Eine etwas verrückte Erfahrung, aber gleichzeitig hat sie mir auch einige Denkstöße gegeben: Dieses Radrennen wurde von zwei Fahrradbegeisterten und einigen Helfern organisiert. Es gibt Regeln, an die man sich halten muss, wenn man mitfahren möchte – z.B. durfte man nur alleine fahren oder musste sich komplett selber versorgen. Aber innerhalb der Regeln ist alles möglich und willkommen. Es spielt keine Rolle, mit welchem Rad oder welchem Reifen man fährt. Es ist nicht wichtig, ob man wahnsinnig sportlich ist oder das Ganze aus Spaß mitmacht. Man kann auswählen, ob man eine Runde fährt oder alle 16 Runden in Deutschland. Wann immer ich an Raphael, einen der Organisatoren, eine Nachricht geschrieben habe, habe ich eine freundliche Antwort bekommen. Und auch in der Facebookgruppe gab es große Unterstützung und viel Wohlwollen. Auch wenn sich die meisten nur virtuell kennengelernt haben, habe ich hier eine große Offenheit, viel Wohlwollen und Unterstützung erlebt. Es ist klar: alle hier lieben das Fahrradfahren, aber dabei darf jeder so sein, wie er ist. Das wünsche ich mir auch für die Kirche. Hier wie da gibt es Regeln, aber innerhalb der Regeln sind alle herzlich willkommen und dürfen ihren Stil ausleben, weil uns alle etwas miteinander verbindet. Und ob man dann die 320 km in 20 oder 15 Stunden fährt, ist nicht so wichtig. Hauptsache, man fährt und hat Freude. Würde das nicht für uns bedeuten, dass es nicht so wichtig ist, wie man seinen Glauben lebt, Hauptsache, man ist erfüllt vom Heiligen Geist und will mit Jesus Christus unterwegs sein?
Ich bleibe also dran und schaue mal, was ich noch so fahren könnte, um weitere inspirierende Gedanken zu bekommen.
Sr. Kerstin-Marie
Ansprache von Sr. M. Scholastika zum Professjubiläum und zur Noviziatsaufnahme von Kathrin Schäfer
Liebe Jubilarinnen,
heute feiern wir mit Ihnen Ihr langes, bewegtes Leben in unserer Gemeinschaft, Ihr langes, bewegtes Leben mit GOTT. Da kommen Jahre aus Bolivien, Schweiz und Deutschland zusammen …
Und mit Dir, liebe Kathrin,
feiern wir einen Anfang. Welche Zeitspanne!
Es ist gut, nach 50, 60 und 65 Jahren die Texte der Noviziatsaufnahme und der Einkleidung nochmals hören zu dürfen. Und es ist gut für eine angehende Novizin, sehen zu dürfen, dass dieses Leben sich lohnt. In vollen Zügen. Mit allem, was dieses Leben ausmacht. Und es ist ein kraftvolles Zeugnis erleben zu dürfen, dass Schwestern auf diesem intensiven Weg mit GOTT und den Menschen tiefes Glück und Frieden gefunden haben.
Sie alle haben durch ihr Leben, wie es Frère Roger ausdrückt, Seiten des Evangeliums geschrieben. Ihre Suche nach GOTT, Ihr Glaube an seine Präsenz, auch in dunklen Stunden, selbst auf schweren, dornigen Wegen, dürfen Ausdruck Ihres Glaubens und Hoffens, Ausdruck Ihrer Liebe sein. Bis heute.
Wir sind der Brief Christi, wie es Paulus an die Korinther schreibt (2 Kor 3):
„Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern - wie auf Tafeln - in Herzen von Fleisch.“ Einen Moment kehren wir zu den Exerzitien der vergangenen Tage zurück, und wir hören nochmals, wie Ulla Hahn überwältigt wurde von Worten aus der Hl. Schrift, in denen sie, auch wenn sie ihr oft Geheimnis blieben, eine Wirklichkeit erahnen durfte, die für sie wahr ist:
So schreibt sie autobiografisch aus ihrer Kindheit: „Die Geschichten waren es nicht. Es waren die Sätze. ›Ich bin das Brot der Welt‹, sagte Jesus. ›Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.‹ ›Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‹ ›Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.‹ Wo immer ich das Buch aufschlug, seine Wörter und Sätze waren schön und geheimnisvoll, voller Zauber und Kraft. › (Weiter):
Denn von ihm und durch ihn und in ihm ist alles. Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise, und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wer mich isst, wird durch mich leben.‹ Es lief mir kalt den Rücken herunter, die Wörter so viel wunderbarer als die Wirklichkeit. Mein Heft füllte sich mit schönen Wörtern und Sätzen, ›süßer als Honig und tropfende Waben‹. ›Lasset uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichts.‹ Wörter, die sich auf mir niederließen wie Verbandsmull, weich, leicht, schmerzstillend.
Wörter, die sich auf mir niederließen wie Verbandsmull, weich, leicht, schmerzstillend."[i]
Liebe Jubilarinnen, vielleicht leben Sie auch aus solchen wenigen, starken Worten, die Ihr Herz immer wieder aufrichten, stärken, hell machen und frei. Es ist schade, wir wissen wenig aus unseren Geschichten, kennen kaum das Wort, dass Sie einst tief berührte, kennen nicht die Augenblicke, in denen Ihnen dieser Weg mit GOTT als Dominikanerin Geschenk und Auftrag wurde.
Es ist unsere Hoffnung für Sie, dass Sie auf diesem langen Weg von 50, 60 und 65 Jahren, Mutter Ludwig Maria in Oberhausen sogar 70 Jahre tiefe innere Begegnungen mit GOTT feiern durften, mitten in aller Alltäglichkeit,
wie es Giannina Wedde beschreibt.
„Die Liebe hat sich verschenkt
an die niedrigen Dinge,
an die geteilte Mahlzeit
auf gesprungenem Porzellan,
an die kleinen Blicke, die den anderen suchen,
an den Seufzer, der auf Erwiderung wartet.
Sie hat sich verschenkt
an das Zittern der Stimme, die den Geliebten ruft,
an den honiggelben Morgen,
der uns Verzeihen lehrt,
und an die leise Geste, die nichts verspricht,
als dass wir hier, an den Schwellen, die wir fürchten,
einander Zuflucht sind.
Ein Lidschlag ist diese Liebe
und alle Herrlichkeit liegt darin.“[ii]
Diese Liebe, sie ist uns ewig zugesagt. Nicht billig, nicht oberflächlich, sondern wie sie uns vorhin in der Lesung verkündet wurde: da hat Einer für uns unsere Leere, unsere Wüsten durchquert, unsere Langeweile, unseren Hunger nach Leben ausgehalten, das Kreuz getragen und ertragen, uns durchgetragen durch alle Versuchungen, durch Schmerz und Verletztheit, durch jeden Mangel und jeden Verlust,
letztlich durch den Tod.
Christus hat uns durch sein Leben und Sterben einen GOTT offenbart, „der niemanden verlässt, der nicht verurteilt und verwirft, selbst dann nicht, wenn er selbst verlassen, verurteilt und verworfen wird, sondern bis ans Ende liebt“ (Frère Emmanuel, Taizé), über jegliches Ende hinaus.
Auch wenn unsere Wege vielleicht wenig von Radikalität tragen, sind sie doch ein Zusammenholen von unzähligen Schritten, die wir gesetzt haben - um der Liebe willen.
War sie nicht der Motor in all den Jahren, die uns zum Aufbruch befähigten, zu Neubeginn, zu Verzicht und Zurücknahme. War sie nicht die Quelle unsagbaren Glücks und Freude?
Sie ist diese große Kraft, aus der wir leben dürfen, nach so vielen Jahren und auch an einem Neubeginn.
Dann und wann ist unsere Herzenshaut dünn, Gott sei Dank, weil diese Stunden uns zeigen, wie sehr wir ihn brauchten und brauchen, IHN, unseren Herrn.
Das hohe Alter unserer Gemeinschaft, das auch an Ihnen sichtbar wird, liebe Jubilarinnen, lehrt uns den weisen Weg, dass nicht wir die Macherinnen unseres Lebens sein müssen, dass wir nicht die Starken und Unverbrüchlichen zu sein haben, sondern dass menschliches Leben so zerbrechlich ist - in aller Stärke.
Die hl. Katharina von Siena hat es in dem uns vertrauten Gebet einzigartig ausgedrückt:
„Du, Licht, achtest nicht auf meine Finsternis; du, Leben, ließest dich von meinem Tod nicht abhalten, noch schreckte dich, Arzt, meine Gebrechlichkeit, dich, ewige Reinheit...
Dreifaltigkeit, abgründiges Meer, je tiefer ich mich in dich versenke, desto inniger finde ich dich, und je inniger ich dich finde, desto tiefer suche ich dich.“
Diese Erfahrung wirst Du, liebe Kathrin, auch kennen auf Deinem Weg des Suchens, der niemals abgeschlossen sein wird: „Je inniger ich dich finde, desto tiefer suche ich dich.“
Auch so ein Wort, finde ich, das das Herz aufatmen lässt und zeigt: unser Leben hier auf Erden bleibt immer Weg, ist niemals Ziel. Unsere schwesterlichen Beziehungen sind Weg, niemals Ziel.
Ein anderes Wort von der hl. Katharina, liebe Kathrin, kann Dir hoffentlich Wegweisung sein:
„Sei, wie Gott dich gewollt hat, und du wirst die Welt in Brand setzen.“
„Sei, wie GOTT die gewollt hat…“
Dies sei Dir Kompass: Du bist bereit, Dich ganz in die Schule nehmen zu lassen, Dich führen zu lassen, im Vertrauen, Deiner Sehnsucht Raum geben, neu werden zu dürfen, wie es Paulus uns zuruft:
„In Christus seid ihr eine neue Schöpfung.“
Das alte Leben ist nicht abgelegt. Es vertieft sich, und der Name, mit dem gerufen werden möchtest, trägt jene Kraft in sich, die Dich bewegt, wohin Du wachsen möchtest.
Dein Name heißt:
die Reine, die Klare, die Aufrichtige.
Wir hoffen sehr, Dir den Freiraum geben zu dürfen, der Dich wachsen lässt in großer Verbundenheit mit der Gemeinschaft:
„Sei, wie GOTT Dich gewollt hat!“
Möge Dich Deine tiefe Beziehung zu Ihm erfüllen und Dir schenken, was Deine unverlierbare Würde, Deine innerste Schönheit stärkt, so, wie wir vorhin im Psalm 45 gesungen haben: „Der König verlangt nach Deiner Schönheit.“
Liebe Jubilarinnen, liebe Kathrin,
wir feiern das Geburtsfest von Maria:
der Kuchen ist bereits gebacken, das Fest kann beginnen! An Maria können wir ablesen, was es heißt, rein, klar und aufrichtig zu leben, und wie das Wort der hl. Katharina sich verwirklicht: „Sei, wie Gott dich gewollt hat
und du wirst die Welt in Brand setzen.“ Maria war, wie GOTT sie gewollt hat.
Ich, wir wünschen Ihnen und Dir, Kathrin, das innere Feuer des Hl. Geistes, wir wünschen Ihnen eine lodernde Freude, eine lebendige Dankbarkeit für das Vergangene, eine lebendige Dankbarkeit, die Ihr Leben schön macht.
Ihnen einen fröhlichen, stärkenden Festtag, an dem wir vor allem auch die Treue GOTTES feiern.
Eine kleine Begegnung brachte uns gestern Abend noch zum Schmunzeln und soll hier nicht unerwähnt bleiben: Wie es inzwischen nach Ereignissen dieser Art schon Tradition ist, gingen wir nach der Postulatsaufnahme von Janina mit dem um einige Schwestern "erweiterten Noviziatskonvent" zum ordentlichen Feiern in ein nettes Restaurant in der Nähe. Als wir vor der Tür aufeinander warteten, schauten die Umstehenden zu meiner großen Erheiterung unsere Schwesternschar so erwartungsvoll an, als würde jetzt gleich ein Flashmob starten. Aber sowas ist unsereins ja schon gewöhnt, sobald wir irgendwo im Rudel auftauchen. Dann aber, kurz bevor wir hineingingen, sprach mich ein Mann an: „Schwester, ich kenne Sie, ich habe Sie vorgestern Abend noch in der Mediathek gesehen! Und die beiden da (er zeigte auf Janina und Sr. M. Christa), die kenne ich auch! Das ist ja verrückt, es gibt Sie ja wirklich in echt!!“ Gesehen hatte er die Reportage „7 Tage… Leben im Kloster“, die übrigens genau vor einem Jahr gedreht wurde, als Janina als Ordens-Interessierte gerade ein paar Tage in unserer Gemeinschaft mitlebte, um zu prüfen, ob sie sich auf diese Lebensform einlassen kann und will. Nachdem wir ein paar nette, anerkennende Worte miteinander gewechselt hatten, rief der goldige Mann uns beim Gehen zu: „Boah, das ist so verrückt, ich glaube, jetzt glaube ich auch!“
„Zufällige“ Begegnungen dieser Art sind es, die mir immer wieder sehr viel Freude bereiten. Und auch wenn es nicht immer überall unbedingt angenehm ist, in einem Ordenskleid durch die Welt zu marschieren, so merke ich doch, dass Erkennbarkeit Begegnungen und Gespräche ermöglicht, die sich sonst vielleicht niemals ergeben würden. Nun wünsche ich Janina und unserer Gemeinschaft einen guten gemeinsamen Neubeginn, und unserer „Noch-Postulantin“ Kathrin, die in sich in der kommenden Woche vor ihrem Noviziatsbeginn in die Stille zurückziehen wird, eine gesegnete Zeit der Vorbereitung.
Sr. M. Ursula
Ansprache von Sr. M. Scholastika zur Postulatsaufnahme von Janina Franz am Fest des Hl. Augustinus
Liebe Janina,
es wohnt eine tiefe Erfahrung des hl. Augustinus in seinen Worten, wenn er sagt:
„Wer liebt, lebt da,
wo er liebt;
nicht da, wo er lebt."
In seinem äußerst bewegten Leben, in dem ihn die leidenschaftliche Sehnsucht nach dem vollen Leben, nach Sinn, nach einer alles erfüllenden Liebe trieb und drängte, erfuhr er mehr und mehr, dass allein die Liebe, die in GOTT, im Urgrund allen Seins wurzelt, auf ungeahnte Weise schenkt, was menschlich immer an die Grenzen stößt.
Dennoch war es für ihn nie eine abgehobene Liebe, die das Sinnliche verdrängte. Wir kennen sein Gebet aus den Bekenntnissen:
"Aber was liebe ich, wenn ich dich liebe?
Nicht Körpergestalt, nicht zeitliche Schöne, nicht des Lichtes Glanz, der diesen Augen so freundlich ist, nicht das süße Tönen alles dessen, was da singt und klingt, den lieblichen Duft der Blumen nicht, und alles dessen, was ihn aushaucht, nicht Manna und Honig, nicht der Glieder Reiz, der die Umarmung empfängt.
Das Alles liebe ich nicht, wenn ich, meinen Gott liebe, und liebe doch irgend ein Licht und eine Stimme,
einen Duft und eine Speise, liebe eine Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe, ihn, das Licht und die Stimme, den Duft, die Speise und die Umarmung meines inneren Menschen; wo meiner Seele zustrahlt, was kein Raum erfasst, wo ihr tönet, was in keiner Zeit verhallt, wo ihr duftet, was kein Lufthauch verweht, wo sie kostet, was durch kein Speisen vermindert wird, wo sie nimmer satt wird, zu liegen in der seligen Umarmung. Das liebe ich, wenn mein Gott liebe."
Liebe Janina,
„Wer liebt, lebt da, wo er liebt.“
Diese Erkenntnis hat es in sich: wenn wir lieben, leben wir, ansonsten bleiben wir dem Tödlichen ausgesetzt. Aus Liebe sind wir geschaffen, aus dem göttlichen Stoff der Liebe. Das ist unser Sein: wir sind Geliebte GOTTES, und wir sind Liebende. Das ist unser Urzustand. Augustinus erkannte: „Der Mensch ist Sehnsucht nach Gott“ und: „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes!“
Du, liebe Janina,
hast Dich entschieden, mit uns GOTT zu suchen und seine Frohbotschaft zu verkünden.
Du erkennst es bereits jetzt schon: Die Gemeinschaft bleibt das Übungsfeld der Liebe, ihre tägliche Schule, und gleichzeitig ist sie die Wirkstätte der Gnade. Wir haben uns nicht gesucht und gefunden. Wir haben uns nicht gewählt.
GOTT hat uns erwählt, er hat jede von uns gerufen und da sind wir nun. Wir brauchen einander, um reifen und wachsen zu können. Und die gegenseitige Konfrontation mit unseren Schwächen und unserer Armut wirft uns auf uns selbst zurück. Sie macht uns zugänglicher und hoffentlich gütiger und sanftmütiger.
Wo wir uns nicht auf Distanz halten und einander Nähe zeigen, offenbart sich auch, was noch unheil ist, lieblos und unversöhnt.
Unser ehemaliger Ordensmeister Timothy Radcliffe schreibt:
„Oft werden wir vom Orden angezogen, weil wir Mitbrüder bewundern. Wir hoffen, dass wir werden wie sie. Aber bald schon finden wir heraus, dass sie genauso sind wie wir, zerbrechlich, sündhaft und egoistisch. Diese Entdeckung kann ein Moment tiefster Enttäuschung sein. Ich kann mich an einen Novizen erinnern, der sich über diese traurige Entdeckung beklagt hat. Sein Magister antwortete ihm: ‹Ich freue mich, zu hören, dass du uns nicht länger bewunderst. Jetzt besteht auch die Chance, dass du uns lieben kannst.› Das erlösende Geheimnis der Liebe Gottes besteht nicht darin, Mitglied einer Gemeinschaft spiritueller Helden, sondern von Brüdern und Schwestern zu sein, die sich gegenseitig auf der Reise ins Reich Gottes mit Hoffnung und Gnade stärken.»
Liebe Janina,
der hl. Augustinus erkannte: die Liebe ist das Tiefste, was von einem Menschen gesagt werden kann. Nur aus der Liebe bekommt alles Wert, was der Mensch denkt, fühlt und tut. Wir wünschen Dir zutiefst, dass unsere Gemeinschaft Dir Ort ist, wo Deine Liebe wachsen kann: die Liebe zu Dir selbst, die Liebe zu den Schwestern und zu allen Menschen, die Liebe zum Leben, die Liebe zu GOTT, unserem Herrn.
Und Du bist uns aufgegeben, wir tragen Mitverantwortung, dass Du in unserer Mitte Liebe erfährst. Liebe. Leben. Freiheit.
Ja, mögest Du das Geschenk der Freiheit empfangen dürfen.
Als Zeichen der Zugehörigkeit möchten wir Dir das Mantelwappen mitgeben, das uns daran erinnert, immer wieder neu zu beginnen, und dass wir zu einer viel größeren Gemeinschaft gehören dürfen, zur dominikanischen Familie, die Dir hoffentlich Heimat wird.
Und: unsere erste Regel ist nicht die des hl. Augustinus, sondern das Evangelium. Darum lege ich Dir im Namen von uns allen die Hl. Schrift ans Herz und in die Hände.
„Dein Sehnen
ist dein Gebet,
und wenn es ein
ununterbrochenes Sehnen ist,
dann ist es ein
immerwährendes Gebet ...
Es gibt ein „Beten ohne Unterlass“,
ein inneres Beten:
die Sehnsucht.
Was immer du tust –
wenn du nach jener
Sabbatruhe verlangst,
dann betest du ohne Unterlass.
Willst du ohne Unterlass beten,
dann höre nicht auf, dich zu sehnen.“
Augustinus
In unserem Dominikusbrief hatten wir um Hilfe für Bolivien gebeten im Kampf gegen Corona. Leider hat sich bei der Kontonummer der Fehlerteufel eingeschlichen. Sie lautet korrekt: IBAN DE29 3606 0295 004 0620 010
Wir sind dankbar für jede Unterstützung!
Vor einer Woche war sie noch unter uns, unsere Schwester M. Siegfrieda. In den letzten Monaten musste sie mit einer rasant fortschreitenden Demenz leben, eine Krankheit, die sie verändert, vielleicht auch das Tiefste in ihr ans Licht gebracht hat. Wie oft haben wir über ihre spontanen Antworten und Sprüche gelacht. Rheinischer Humor lag auf ihrer Zunge. Originell war Schwester M. Siegfrieda, und sie verwöhnte uns Tag für Tag mit einer großen, vornehmen Liebenswürdigkeit. Immer blieb sie hilfsbereit und zuvorkommend, auch dann, als ihr Geist Zeit und Wege nicht mehr ordnen konnte.
Sie blieb die umsorgende Krankenschwester, längst nach der Zeit im Krankenhaus in Remscheid.
Schwester M. Siegfrieda, Anni, ist 1937 als älteste Tochter der Familie Hubert und Katharina Warmsbach-Häseling in Bonn Bornheim geboren. Mit sieben Geschwistern wuchs sie auf, eine Schwester starb kurz nach ihrer Geburt. Nach der Volksschule in Bornheim und später in Wesseling, während der Jahre des Krieges erhielt Anni Privat-Unterricht, kam sie bereits mit 15 Jahren für zwei Jahre nach Oberhausen, um dort im Vincenzhaus die Hauswirtschaft zu lernen.
Seit ihrer Schulzeit wuchs in Anni der Wunsch nach einem Leben als Ordensfrau. Auf einem Fragebogen, den sie zum Eintritt 1956 auszufüllen hatte, finden wir ihre Beweggründe, diesen Weg zu gehen: „GOTT zu ehren und den Menschen zu dienen um Gottes willen.“ In der Referenz, die ihr Heimatpastor ihr gab, wünscht er Anni, „dass sie in ihrem Lebensziel glücklich wird“.
„Charakterfest“ steht im Arztzeugnis, das sie zur Aufnahme in die Gemeinschaft mitzubringen hatte.
Schwester M. Siegfrieda wusste, was sie wollte, was auch in ihrer dementiellen Veränderung erfahrbar blieb. Sie hatte ihren festen Rhythmus, und sie ließ sich nicht gerne ihre Vorhaben durchkreuzen. Sie hatte ihren festen Platz im Gebet und auch bei den Mahlzeiten, den sie sich nicht gerne nehmen ließ. Erstaunlich für uns war, dass sie sich in den letzten Wochen selbstverständlich helfen ließ, und für jede Unterstützung war sie dankbar.
Am 08. September 1958 legte Schwester M. Siegfrieda ihre Erste Profess ab, 1962 ihre Ewige Profess. Als Juniorin begann sie die Ausbildung zur Krankenschwester in Wuppertal, die sie 1961 abschloss. Bis 1965 lebte Schwester M. Siegfrieda im St. Marienheim in Wuppertal. Eine Versetzung brachte sie nach Remscheid in die Fabriciusklinik. Hier beginnen ihre langen Jahre in der Krankenpflege, auch als Stationsleitung und Subpriorin.
Nach der Auflösung des Konventes in Remscheid 2007 kam sie ins Mutterhaus und übernahm dort Dienste in unserem Gästehaus, bis die Demenz ihr diese Aufgabe unmöglich machte. Wie oft ist sie nachts aufgestanden, ohne Klage und Murren, wenn die Schelle ging und Gäste nach ihr verlangten. Es war ihr Verdienst, dass frische Blumen die Räume wohnlich machten.
Helfen und für jemanden da sein dürfen, war ihr Leben. Diese Haltung hat sie früh gelernt. In ihrer Akte findet sich ein Brief ihres Vaters, in dem er 1951 die Schulleitung bat, seine älteste Tochter zu beurlauben, da er selber finanziell nicht in der Lage war, der Mutter eine Hilfe bei der Betreuung der acht Kinder an die Seite zu geben. Anni wurde gebraucht. Ihre Familie blieb Schwester M. Siegfrieda lebenslang eine große Sorge.
Schwester M. Siegfrieda bleibt uns vertraut mit ihrer Standfestigkeit, die von einem unvergleichlichen Humor durchzogen war und der nicht wenigen Gästen in Kloster Arenberg eine Infusion der Freude wurde.
Jetzt und ewig darf sie teilhaben an der Freude GOTTES.
In GOTT hat sie nun für immer ihren festen Platz.
(Foto: Joanna Vortmann)
Anfang Juni waren es tatsächlich 14 Jahre, dass ich meinen Weg in unserer Gemeinschaft begonnen habe. Und eines stelle ich nach wie vor staunend fest: Im Kloster kann frau so ziemlich alles erleben - außer Langeweile!
Am vergangenen Wochenende zum Beispiel machte ich mich zusammen mit unserem Schöpfungsbeauftragten Albrecht Ruech und Sr. Monika Maria am frühen Morgen auf den Weg nach Flörsheim, um dort an einem Sensenkurs teilzunehmen. Was sich zunächst vielleicht anhört wie eine verrückte Flause, hat natürlich einen tieferen Sinn. In Kloster Arenberg bemühen wir uns schon seit Jahren darum, auf unserem Gelände der Natur ihren Lauf zu lassen, die Arten zu schützen und möglichst wenig invasiv einzugreifen. Und da unsere Streuobstwiesen ein kleines Paradies für Insekten aller Art sind, wollen wir es daher auch so weit es geht vermeiden, deren Leben durch Verwendung von Rasenmähern ein jähes Ende zu setzen. Also wurde auf Initiative unseres Geschäftsführers Herr Grunau bereits vor einigen Jahren unser Gärtnerteam und die FÖJler an der Sense geschult, und nun auch noch weitere Freiwillige, die sie künftig bei der Arbeit unterstützen wollen. Um es kurz zu machen: Ich bin maximal begeistert! Nicht nur von unserem Sensenlehrer Hartmut Winkels, der uns mit Engelsgeduld und unglaublicher Fachkompetenz jeden einzelnen Handgriff beibrachte (ja, meine Gliedmaßen sind noch dran und ganz und gar unversehrt!), sondern auch von der Tatsache, dass man durch diese alte Kunst sowohl einen wertvollen Beitrag zum Naturschutz als auch zur eigenen leiblich-seelischen Gesundheit leisten kann. Denn mal ehrlich: Am Morgen im Frühtau mit meditativem Sensen in den Tag zu starten, um dann nachmittags beim Dengeln alle Aggressionen rauszulassen, das hat bei aller Anstrengung auch großen Erholungswert! Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, dass mir die Möglichkeit zur Teilnahme geschenkt wurde, und freue mich schon jetzt darauf, ganz bald regelmäßig mit der Sense durch unsere Wiesen zu streifen (ACHTUNG, liebe Gäste von Kloster Arenberg ;-))))
Sensenfrau Sr. M. Ursula
In diesem Sommer entdecke ich die Freude daran, einfach mal etwas weiter mit dem Fahrrad zu fahren.
Von meiner Radtour im Rahmen der Exerzitien habe ich ja bereits berichtet, am letzten Samstag dann stand das nächste Abenteuer auf dem Programm: Eigentlich war ich angemeldet zur R2NSC, einer
Tour von Duisburg nach Bensersiel an einem Tag, was natürlich wegen Corona ausfallen musste. Trotzdem fand sich eine kleine Truppe von fünf Leuten, die Lust hatte, diesen langen Samstag zum
Fahren zu nutzen. Und so starteten wir am Samstag um 5.30 Uhr in Oberhausen mit dem Ziel, spätestens um 18.53 Uhr in Leer am Bahnhof anzukommen, um dort den Zug nach Hause zu nehmen. Klingt ein
bisschen bescheuert, war aber großartig!
Das Wetter war sehr angenehm zum Fahren, die Strecke flach, der Gegenwind als Gruppe handhabbar. Überhaupt, in einer Gruppe zu fahren, die das gleiche (hohe) Tempo fahren konnte, war eine tolle
Erfahrung. Wenn jemand das Tempo vorgibt, so meine Erfahrung, kann ich auf einmal auch einen Schnitt von 25 km/h fahren... Natürlich bedeutet eine Gruppe auch, dass Pausen nach Absprache gemacht
werden und ich manchmal doch froh gewesen wäre, wenn da eine Ampel aufgetaucht wäre, weil ich nicht die Königen darin bin, beim Fahren zu essen und zu trinken. Ich bin glücklicherweise trotzdem
nicht vom Fleisch gefallen. Denn die Gruppe bedeutet auch, denjenigen mitzuziehen, der vielleicht gerade nicht mehr kann, so dass wir am Ende alle gemeinsam in Leer angekommen sind. Leider erst
um 18.35 Uhr, so dass für ein Eis keine Zeit mehr war.
Dafür gab es mal wieder schöne Begegnungen, so bei Kilometer 200, als ich bei unserer Pause riesige Lust auf Gummibärchen verspürte, aber keine dabei hatte. Einen Laden gab es in dem Dorf leider nicht. Also sprach ich zwei Männer an, die im Garten arbeiteten, ob sie vielleicht eine Tüte Gummibärchen hätten und ob sie mir evtl. eine verkaufen könnten. Darauf einer der beiden: "Ich muss mal gucken, was wir noch da haben, wir haben gestern eine Tüte aufgemacht." Am Ende kam er mit einem ganzen Arm voller Gummizeug zurück, von denen er mir sogar zwei Tüten schenkte. Und wer wollte, konnte seine Wasserflaschen auffüllen. Großartig!
Zwischendurch trafen wir immer wieder auch Vater und Sohn, die mit ihren Mountainbikes aus von Bochum aufgebrochen waren, um die gleiche Route zu fahren, allerdings bis nach Bensersiel.
Und da ich in den frühen Morgenstunden noch davon träumte, dass uns die Menschen am Straßenrand zugejubelt hätten, hätte die eigentliche Tour stattgefunden, stellten wir uns einmal an den
Straßenrand und jubelten der Radgruppe zu, die an uns vorbei fuhr.
So war es wirklich ein großartiger Tag und eine tolle Erfahrung von Gemeinschaft, Aktivität, Landschaft und der Großartigkeit des Lebens.
Einziger kleiner Wermutstropfen ist die Tatsache, dass wir durch Eichenprozessionsspinnergebiete fuhren und davon mehr oder weniger betroffen sind, so dass wir jetzt mit unterschiedliche starkem Ausschlag zu tun haben. Bleibt zu hoffen, dass der bald abheilt.
Sr. Kerstin-Marie
Sr. Rosa Maria schreibt uns am 7. Juni aus Santa Cruz:
Wir haben Sur (Südwind, Temperatur sinkt bis auf 5° C), mit Regen, seit Tagen. Es ist sehr kalt. Das lässt die Leute den Hunger noch mehr spüren. Ich war heute früh auf der Bank, um das Gehalt für die Lehrer abzuholen. Dann fuhr ich in drei Barrios.
Heute Nachmittag musste ich noch einmal raus. Dona Paty bat um Hilfe. All ihre Töchter mit den vielen Enkelkindern wohnen rund um ihr Haus (angebaute Zimmer, durch Holzwände getrennt). Allen ging es schlecht und sie hatten nichts zu essen. So fuhr ich hin und nahm Hilfe mit. Da sagte sie mir, dass es ihrer Schwiegertochter Tereza sehr schlecht ginge und bat, ob ich nicht einen Arzt bewegen könne, in ihr Haus zu kommen. Ich ging auf die Suche, fand aber keinen. Als ich wieder zurückkam, starb Dona Tereza. Sie hatte keine Widerstandskraft mehr. Es war sehr sehr hart. Und es sind so viele im Haus. Es gelang ihnen nicht, einen Covid 19-Test zu machen. Aber sie hatte alle Symptome von Corona.
Ich ließ Lebensmittel da und etwas Geld. Dann fuhr ich noch zu andern Familien, die viele Kinder haben, um ihnen etwas zu essen zu bringen. Man hatte mir Kekse geschenkt, die hinterließ ich für die Kinder.
Es ist so kalt, und es hört seit Tagen nicht auf zu regnen. Ich muss herausfahren, weil ich weiß, dass viele Familien mit Kindern nichts zu essen haben, besonders schlimm ist, dass einige „ollas“ (Kochstationen in den Barrios) nicht mehr arbeiten. Ich habe sie angefleht, und sie haben mit versprochen, weiterzumachen.
Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass ich vom Mutterhaus und von vielen Menschen in Deutschland in jeder Weise so viel Unterstützung bekomme. Danke, auch für das Gebet.
Es ist schlimm. Kein Arzt kommt hierher, und es gibt keine Tests. Die Krankenhäuser kollabieren. Sie nehmen überhaupt den Telefonhörer nicht mehr ab. Bringt man einen Schwerstkranken, dann steht vor dem Krankhaus schon eine Schlange von Schwerkranken, und man muss meistens den Angehörigen wieder mit nach Hause nehmen.
Es sterben sehr viele Menschen in den Barrios, auch junge. Aber keiner hat genau festgestellt, woran. Die Symptome sind eigentlich eindeutig. Schlimm ist, dass ja meist viele Menschen zusammen in einem Zimmer leben. Der Kranke kann gar nicht isoliert werden. Und der Tote ist dann auch noch bis zur Beerdigung da. Sarg, Beerdigung…alles ist ein großes Problem, ein sehr tiefes Leid.
...für uns ist es immer noch unfassbar, aber wir haben es tatsächlich geschafft: mehr als 1000 Abonnenten konnten wir mit vereinten Kräften innerhalb der letzten 24 Stunden gewinnen, so dass wir heute Abend live aus dem Mariensaal senden können! Christina Brudereck, die unserer Gemeinschaft sehr verbunden ist, hat sich im Sommer 2018 mehrere Monate auf den Arenberg zurückgezogen, um diesen Roman zu schreiben. „Die Teetrinkerin“ erzählt Yashi Bhandaris Reise von den südindischen Bergen nach New York, von den Teeplantagen zu den Vereinten Nationen, von einzelnen Menschenrechtsverletzungen zu einer weltweiten Kampagne für faire Mode, von den Erwartungen anderer zur eigenen Stimme. Sie weiß vom Druck der Verantwortung und von der Kraft der Güte. Die Liebe zu ihren Idealen, zu ihren Lieben, ihrer Heimat und zu sich selbst geraten in Konflikt, lassen Yashi am Ende aber ihren Weg finden.
Wir wünschen Ihnen und Euch viel Freude und Inspiration beim Zuschauen!
Sr. M. Ursula
In den letzten Wochen haben wir uns auf dem Arenberg ziemlich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie wir in Zeiten von Corona unsere Gäste und Freunde auch inhaltlich weiter mitnehmen können, wo so viele Begegnungen verwehrt waren und Veranstaltungen ausfallen mussten. U.a. haben wir entschieden, unsere Klosterforen nach Rücksprache mit den Referenten jeweils live auf YouTube zu veröffentlichen.
Gesagt, getan, und ich war damit beauftragt, mich um das technische Equipment zu kümmern, damit der Ton stimmt, das Internet läuft, und die Videoqualität nicht daherkommt, als würden wir aus dem All senden. Nun sind wir bestens ausgerüstet und zu allem bereit, doch OH SCHRECK, als ich einen Testlauf für den morgigen Livestream starten wollte, sagte mir meine YouTube-App, dass ein Live-Übertragung über ein Mobilgerät erst möglich ist, wenn der Kanal mindestens 1000 Abonnenten hat.
O.k. aber so schnell gebe ich natürlich nicht auf, und wozu hat man denn eine Online-Community?? Also liebe Leute, falls Ihr uns (und am Ende auch Euch selbst) einen großen Gefallen tun möchtet,
dann abonniert doch bitte innerhalb der nächsten 24 Stunden mal unseren Kloster-Arenberg-Youtube-Kanal. Gerade (Stand 13.00
Uhr) sind es 105 Abonnenten, wir brauchen also bis morgen nur noch 895 - das müsste doch zu machen sein, oder?
Im Voraus danke ich schon einmal sehr herzlich für alle Unterstützung und überhaupt alle Verbundenheit, über die ich mich immer so sehr freue! Und wer weiß, vielleicht sehen wir uns morgen Abend
schon LIVE :-)))
Also bitte: klickt und teilt, was das Zeug hält: https://www.youtube.com/user/KlosterArenberg?fbclid=IwAR1GgEICpfl79K8HURSZ_AO2uzvmBUCt1AD-je-KDhcBePEI_SirciGjLGE
Sr. M. Ursula
Wie jedes Jahr, seitdem ich im Kloster bin, hatte ich auch in diesem Jahr geplant, in der Osterzeit für eine gute Woche für meine Exerzitien nach Ilanz zu fahren. Alles sollte wie immer sein, der gleiche Ort, das gleiche Haus, die gleiche Begleiterin, viele gleiche Teilnehmerinnen in der Exerzitiengruppe.
Doch als es mit Corona so richtig los ging, schwante mir schon, dass das so wahrscheinlich eher nichts würde, denn Ilanz liegt ja leider nicht gerade um die Ecke und die Grenzen wurden ja recht bald geschlossen. Außerdem war ja auch fraglich, ob das Haus der Begegnung der Ilanzer Dominikanerinnen im Mai überhaupt Gäste hätte aufnehmen können, ob dann unser Kurs stattfinden würde,... Aber weil ich finde, dass die Exerzitien die wichtigste Zeit im Jahr sind, wollte ich sie auch nicht einfach ausfallen lassen. Also verschieben? Aber auf wann? Und würde es dann klappen?
Vielleicht gab mir aber der Heilige Geist aber auch schon lange vor den Exerzitien den Gedanken ins Herz, dass in digitalen Zeiten auch die Exerzitien digital möglich sein müssten. In den letzten
Wochen haben wir uns ja alle immerzu online getroffen, warum sollte das also nicht mit Sr. Sabine, meiner Exerzitienbegleiterin möglich sein? Nur hier in Oberhausen, das war so mein Eindruck,
würde ich nicht so richtig in den Exerzitienmodus finden, weswegen ich nach einem anderen Ort Ausschau hielt. Deswegen fragte ich bei Schwestern im Münsterland an: Dorthin könnte ich ohne
Probleme mit dem Fahrrad fahren und könnte es so vermeiden, mit dem Zug zu fahren. Da die meisten Gemeinschaften viele Schwestern der Risikogruppe haben, ging ich davon aus, dass sie so
abgeschottet leben, wie wir es in den letzten Wochen hier im Altenheim waren, also wäre das der perfekte Ort für mich. Aber genau dieses Argument bedeutete für die Gemeinschaften, die ich fragte,
dass sie mich nicht aufnehmen könnten, eben weil sie selber auch sehr darauf achteten, sich das Virus nicht ins Haus zu holen. Sehr verständlich.
Also blieb nur noch mein Joker: Mein Ferienparadies Vechta. Mit 200 Kilometern Entfernung nicht unbedingt eine Radeldistanz, aber machbar, gleichzeitig ein guter Ort, den ich ja eh sehr mag und
ein Konvent, der mir WLAN für das tägliche Onlinetreffen mit Sr. Sabine bot, Wald zum Spazierengehen, menschenleere Gegend, um am Abend oder am Vormittag noch eine Runde mit dem Rad zu drehen
sowie alle Freiheiten, um meine Meditations- und Gebetszeiten ganz nach meinem Sinn zu gestalten.
Und so radelte ich also am 18. Mai morgens um 5 Uhr los und hatte mit ordentlich Rückenwind den besten Start in die Exerzitien, den ich mir in diesen merkwürdigen Zeiten vorstellen konnte.
Alleine Fahrrad zu fahren sortierte meine Gedanken schon sehr gut, zu erleben, dass ich es tatsächlich schaffe, 200 Kilometer am Stück Fahrrad zu fahren, beflügelte mich und der herzliche Empfang
in Vechta war eine besonders schöne Eröffnung der Exerzitien.
Im Laufe der Woche stellte sich heraus, dass ich wirklich einen sehr guten Ort für meine Exerzitien gefunden hatte und ich dank meiner Erfahrung aus Ilanz auch direkt in meinen gewohnten Exerzitienrhythmus kam: für meine drei Meditationszeiten am Tag fand ich wunderbare Orte im Haus, in den täglichen Treffen mit Sr. Sabine bekam ich die richtigen Impulse zur richtigen Stelle, das gemeinsame Gebet mit den Brüdern bildete einen guten Rahmen, die Konventskatze Gin konnte meine Zuneigung aufnehmen und die Möglichkeit, dann noch aufs Rad zu steigen, rundete alles ab. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Exerzitien noch etwas länger gedauert hätten und ich noch weiter hätte eintauchen können in das Wort Gottes und seine Botschaft an mich. Aber auch so bewegte mich der Heilige Geist und schenkte mir gute Impulse und Klarheit.
Dass das nicht immer für alle Lebensbereiche gilt, merkte ich jedoch auf der Rückfahrt: Um einen sanften Hügel zu vermeiden, hatte ich beschlossen "unten rum" zurück nach Oberhausen zu fahren. Leider hatte ich bei der Planung nicht so richtig bedacht, dass das bedeuten würde, dass mich stattdessen die Dammer Berge und der Teutoburger Wald erwarten würden. Und so war ich eigentlich in Münster schon gar und hätte nichts dagegen gehabt, wenn das das Ende meiner Radtour gewesen wäre. Aber ein Eis in Lüdinghausen und leckere Kürbissuppe zu Hause brachten mich auch durch die zweite Hälfte der Strecke, so dass ich am Ende sagen kann, dass ich extrem glücklich bin, über dieses großartige Erlebnis "Exerzitien in Corona-Zeiten".
Ganz herzlich bedanke ich mich bei den Mitbrüdern in Vechta, die mich aufgenommen haben und natürlich bei Sr. Sabine Lustenberger, die mich schon seit vielen Jahren begleitet und sich in diesem Jahr auf das Onlineexperiment eingelassen hat.
Sr. Kerstin-Marie
Das hat Freude gemacht! Nachdem Mirko und ich vor einigen Wochen über Zoom eine Lesung aus unseren ZweiSichten angeboten hatten, war uns klar, dass wir beide Lust haben, noch weitere
Online-Angebote zu gestalten. Und so kam plötzlich die Idee auf, einfach nochmal virtuell das Setting nachzubauen, das vor ein paar Jahren den Nährboden für unser Buch geliefert hat: gute
Gespräche bei einer Tasse Cappuccino im Klostercafé. Gesagt getan, als Startschuss haben wir heute Abend zum ersten Mal über unsere Facebook-Accounts zu einem Zoom-Meeting eingeladen, in dem wir
beide über das Thema „Wahrheit“ geplaudert haben. Und wir haben es als unglaublich bereichernd erlebt, dass unsere ZweiSichten diesmal durch spannende Diskussionsbeiträge noch einmal aufgebrochen
worden und mit ganz anderen Sichtweisen in Berührung gekommen sind. Nach dieser Erfahrung steht für uns fest, dass wir dieses Format in Zukunft regelmäßig anbieten werden. Alle, die live dabei
sein möchten und nicht über Facebook mit uns vernetzt sind, können gerne eine Mail an kloster.arenberg@gmail.com schreiben, dann werden Sie über zukünftige Meetings informiert und bekommen per
Mail einen Zugangslink. Dabei sein kann man einfach ganz still und leise als ZuhörerIn, sehr gerne aber auch aktiv... Und wenn jemand da draußen noch Ideen, Themenwünsche und / oder
Verbesserungsmöglichkeiten hat, sind wir natürlich jederzeit offen für Anregungen :-)
Nun aber sage ich erst einmal gute Nacht und wünsche allen einen gesegneten Sonntag!
Sr. M. Ursula
Mittlerweile unterstützt Schwester Rosa Maria, Regionlapriorin unserer Kongregation in Bolivien, mit ihren Schwestern und den Nachbarschaftsteams täglich 1500 Familien in neun Armenvierteln der Stadt Santa Cruz. Sie hat bereits in der Vergangenheit durch ihren unermüdlichen Einsatz für Kinder und Jugendliche die Auszeichnung „boliviana de oro“ erhalten: die goldene Bolivianerin.
Ollas communes – gemeinsame Töpfe: unsere Schwestern verteilen mit ihren Gruppen Lebensmittel an die Familien. Nicht nur in Santa Cruz, sondern auch in Comarapa und in Saipina.
Sie bringen sie selbst in die Barrios, auch dorthin, wo keine Straßen mehr die Familien erreichen.
Die Nachbarschaftshilfe ist groß. Jeder gibt, was er hat: Reis, Kartoffeln, Gemüse. Mit dem, was unter Mühe mit unserer finanziellen Hilfe aus Deutschland eingekauft und besorgt werden kann, wird im gemeinsamen Topf gekocht und dann an die Bedürftigen verteilt.
So wünscht sich Papst Franziskus die Kirche, wurde auf einer bolivianischen online-Zeitung diese Arbeit überschrieben: „Gott schweigt nicht, er spricht, und er ist in so vielen bewegten Herzen, in so vielen Händen der Solidarität, in so vielen gebeugten Knien im Gebet, in so vielen prophetischen Stimmen, die die Ursachen für die Übel anprangern, die uns heimsuchen.“ (Pastoralblatt der Erzdiözese Santa Cruz, 02. Mai 2020)
Mich berührt, dass Sorge um die eigene Gesundheit und Sicherheit in den Hintergrund tritt: es sind die Schwestern, die durch Spenden noch andere Möglichkeiten der Hilfe bekommen.
Schwester Rosa Maria berichtet am 18. Mai:
Wir haben hier seit dem 18.03.2020 strenge Ausgangsbestimmungen. Es sollte nur für 20 Tage sein, aber die Pandemie verbreitet sich jeden Tag mehr. Besonders betroffen sind Santa Cruz und Beni. Hier in Santa Cruz haben wir etwa 2000 Erkrankte und unsere Hospitäler sind nicht für solche Erkrankungen eingerichtet. Es fehlt an allem, an Beatmungsgeräten, an Schutzkleidung, an Medikamenten, die ja hier der Patient selber mitbringen muss. Das führt zu einer Katastrophe, denn es fehlt die Nahrung. Das Nötigste fehlt.
So haben wir mit den Verantwortlichen in den Barrios die „olla comun“ organisiert für die Menschen, die keine Nahrung haben, besonders für die Kinder. Die Autoritäten der Stadt versprachen einen „canasta familiar“, eine Lebensmittelzuteilung pro Familie, aber diese erreicht nur wenige Familien und nur ein einziges Mal. Es war also mehr Propaganda als eine wirklich konkrete Hilfe. Als wir diese Situation sahen , haben wir Schwestern, die wir in der Erziehung und Pastoral in den Barrios außerhalb der Stadt arbeiten, mit einer Kampagne begonnen, um Mittel und Lebensmittel zur Unterstützung der „ollas comunes“ zu erbitten und einzelnen besonders armen, meist kinderreichen Familien zu helfen. Seit April besuchen wir regelmäßig die 9 Barrios unserer Zone. Jedes Barrio kocht in 2-3 ollas comunes für jeweils 150-200 Personen. Das heißt also, dass hier rund 3600 Personen geholfen wird. Sie bekommen wenigstens einmal am Tag eine Mahlzeit.
Wir können offiziell nur einmal in der Woche das Haus verlassen, je nach der Nummer unseres Personalausweises, ansonsten brauchen wir eine Sondererlaubnis der Polizei. Aber es gibt Freunde, die für uns die Arbeit übernehmen, wenn wir im Haus bleiben müssen.
Die Solidarität ist überwältigend!
Jedes Mal, wenn wir in die Barrios fahren, nehmen wir Lebensmittel für rund 7000 – 8000 Bolivianos mit, das sind ungefähr 1000 Euros. Die Umtauschquote beträgt im Augenblick
1 Euro: 7,5 Bolivianos.
Kosten für Lebensmittel:
100 Kilo Zucker 215 Bolivianos
12 Flaschen Speiseöl 130 Bolivianos
1 Packung Nudeln 65 Bolivianos
1 Huhn 15 Bolivianos
Hühnerfleisch es ist das billigste Fleisch, nun noch billiger, weil kein Verkauf möglich ist auf den Märkten.
Um allen Gruppen helfen zu können, muss ich wenigstens 10-12 Zentner Reis, 12 Kisten mit Öl, 12 Packungen Nudeln a 10 kg, Hühner, soweit es reicht, Gemüse etc. mitnehmen.
1 Zentner Reis reicht nur für 2 Mahlzeiten für etwa 200 Personen. Das ist nicht viel, aber es ist sicher, dass sie an diesen Tagen wenigstens eine Mahlzeit haben mit Reis und einem Ei oder einem kleinen Stückchen Huhn oder eine dicke Suppe. Die Realität ist sehr traurig, aber wir sind glücklich, dass die diejenigen, die etwas haben, sehr solidarisch sind.
Hier in Bolivien hat die Pandemie erst begonnen und der Höhepunkt ist noch lange nicht erreicht. Wir wissen nicht, wie das weitergehen soll. Wenn die Menschen nicht arbeiten können, ist kein Geld da. Was sollen sie essen, wenn die Situation noch länger anhält?
Die Schulen sind seit 68 Tagen geschlossen.
Man spricht von einem virtuellen Unterricht, aber wer hat Internet?“
Mein Plan war, im Juli 2020 unsere Schwestern zu besuchen.
Leider sind die Grenzen gesperrt und es wird keine Möglichkeit geben. So bleibt vorerst nur unsere Unterstützung durch die finanziellen Hilfen, durch unsere Gebet und nicht zuletzt durch unsere Liebe zum bolivianischen Volk.
Sr. M. Scholastika
Von ganzem Herzen danken wir Ihnen/Euch für Ihre/Eure so überwältigende Großzügigkeit und Unterstützung. Welch eine Überraschung!
Ich verneige mich.
Unsere bolivianischen Schwestern und die Menschen aus Santa Cruz, vor allem aus den Barrios der Stadt, senden dankbare Zeichen der Verbundenheit.
Schwester Rosa Maria erzählt, dass sie nun mit einem Mitarbeiter des Erzbischofs unterwegs ist. So hat sie eine lebendige Genehmigung an ihrer Seite, mit der ihr die Möglichkeit gegeben ist, mit einem Van in die verschiedenen Stadtteile zu fahren.
Jeder Topf, so berichtet sie, ist einem Stadtteil zugeordnet: es wird gemeinsam gekocht, anschließend wird das Essen an die Verteilstelle eines Viertels gebracht.
Compasión y solidaridad
Schwester M. Christa, die mehr als 30 Jahre in Bolivien lebte und kommende Woche 90 Jahre alt wird, ist die tragende Brücke nach Bolivien. Sie bekam heute dieses Wort zugespielt (Übersetzung Sr. M. Christa):
„Viele sind verängstigt
wegen der finanziellen Lage in der Zukunft.
Was mich jedoch erschreckt, ist,
jemanden aus meiner Familie zu verlieren
oder jemanden, den ich liebe,
einen Nachbarn oder einen von Euch...
Wenn es eben ansteht,
von Null an zu beginnen,
dann beginnen wir eben wieder mit Null,
so lange wir Leben haben,
ist auch Hoffnung da.
Und so lange wir etwas Reis haben,
essen wir ihn mit einem Ei
und wenn nicht,
muss man sich einfach etwas einfallen lassen. Aber aus all dem
kommen wir eines Tages heraus.
VERTRAUEN WIR!“
DAS ist Bolivien.
Sr. M. Scholastika
Ein Blick nach Bolivien
Es fällt uns zunehmend schwerer, mit all den Einschränkungen, die uns Covid 19 setzt, umzugehen, und wir merken mehr denn je, mit welcher Freiheit wir uns vor Wochen noch bewegen konnten. Bewegen durften. Begegnungen gehören zu unserem Alltag wie Essen und Schlafen, wir sind angewiesen auf menschliche Nähe, auf buchstäblich gefühlte Augenblicke. Darum wiegt der momentane Zustand der Distanzhaltung so schwer. Gefühle werden wach, die sich bei den täglichen Ablenkungen kaum bemerkbar machen, Beklemmungen tropfen durch die Haut bis ins Herz. Da sind Ängste um die Zukunft, Sorgen um geliebte Menschen, denn Besuche sind weitgehend verboten.
Die Decke über unseren Köpfen wird von Tag zu Tag dünner. Da ist Leere. Verunsicherung. Mangel. Auch Ohnmacht. Zuweilen auch Langeweile.
Das Leben ist ein anderes geworden und wird ein anderes nach der Krise sein.
Und doch: wir haben noch keine Ausgangssperren, und wenn auch die Lieblingsprodukte da und dort fehlen und Regale leer bleiben, hungern müssen wir nicht.
Was mich und unsere Gemeinschaft zutiefst schmerzlich trifft und mich weinen lässt, ist eine aktuelle Nachricht aus Bolivien: Schwester Rosa Maria berichtet, dass sich letzte Woche ein 12-jähriges Mädchen das Leben genommen hat, weil es als älteste Tochter seine jüngeren Geschwister bereits Tage hungern sah – es wollte die Familie durch seinen Tod entlasten. Schlimm. So schlimm!
Diese Wirklichkeit macht völlig ohnmächtig und hilflos.
Wie können wir helfen? Wie unterstützen?
Es ist so: unzählige Menschen in Bolivien haben kein festes Einkommen, sie leben vom Tageslohn. Durch Corona sind die üppigen Märkte zu. Kein Verkauf. Kein Einkauf.
Unsere Schwestern versuchen, sogar mit Unterstützung der Polizei, an Lebensmittel zu kommen; es wird gemeinschaftlich in den Barrios gekocht, und das Essen wird in die entlegenen Hütten gebracht. Groß ist - und es macht mich demütig - wie diese wunderbaren, von existentieller Armut geprägten Menschen teilen, was sie haben, und sie finden einfache Wege trotz des Militärs, das kontrollierend Patrouille fährt, das Essen zu verschenken.
Wer die Arbeit unserer Mitschwestern in Bolivien unterstützen möchte, kann dies neuerdings auf unkomplizierte Weise über unseren "Bolivien-Moneypool" tun - wir sorgen dafür, dass jeder Euro bei den hilfsbedürftigen Menschen landet. Dankbar sind wir auch für jedes unterstützende Gebet in einer Situation, die so viele Betroffene und Helfer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führt.
Sr. M. Scholastika
Ein Gebet aus Bolivien:
Lehre GOTT,
uns ins Unmögliche zu werfen,
denn hinter dem Unmöglichen
ist deine Gnade und Gegenwart.
Wir können nicht ins Leere fallen.
Die Zukunft ist ein Rätsel,
unser Weg verliert sich im Nebel,
aber wir wollen ihn gehen und uns hingeben,
weil Du wartest in der Nacht
mit tausend Menschenaugen, die von Tränen überlaufen.[1]
[1]Meyer, Michael, Vellguth, Klaus (Hrsg.), Gebete der Völker. Gebete aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien, Sank Ottilien 2013
Gestern Abend um Punkt 20 Uhr hat sie nun also tatsächlich stattgefunden, unsere erste Lesung im Live-Stream auf Facebook. Etwas ungewohnt war die Situation für uns beide schon, und zumindest mein Puls war deutlich höher als normal, denn unsere wackelige Internet-Verbindung auf dem Arenberg ließ mal wieder keine Routine aufkommen. Alles in allem hat aber alles bis auf ein paar Aussetzer gut geklappt, so dass wir nun das Video für alle, die nicht auf Facebook vertreten sind, nochmal auf YouTube zur Verfügung stellen. Und weil das Ganze uns so viel Freude gemacht hat und es so viel Resonanz gab, bleiben wir am Ball und schmieden schon fleißig neue Ideen :-)
Apropos viel Resonanz: ich möchte noch einmal ganz herzlich für die wunderbaren Mails danken, die mich und uns gerade auf so vielen Kanälen erreichen. Und bitte gleichzeitig um Entschuldigung, dass zumindest ich manchmal nur sehr zeitverzögert antworte, weil ich gerade einfach nicht mehr nachkomme. Wir freuen uns riesig über diese Verbundenheit, und freuen uns noch mehr darauf, wenn uns in hoffentlich absehbarer Zeit ein Wiedersehen auf dem Arenberg geschenkt wird. Bis dahin beißen wir die Zähne zusammen und lassen uns noch ein paar nette Aktionen einfallen. Und im Gebet sind wir ja sowieso verbunden!
Einen gesegneten Sonntag wünscht
Sr. M. Ursula
Eigentlich wären Mirko Kussin und ich in diesen Wochen noch einige Male durch Deutschland getourt, um netten Menschen etwas aus unserem Buch ZweiSichten vorzulesen. Doch leider machte uns die olle Corona einen Strich durch die Rechnung.
Doch so schnell lassen wir uns natürlich nicht unterkriegen, und so werden wir am Samstagabend, den 25.4., zur Primetime um 20 Uhr eine Live-Lesung über Facebook veranstalten (vorausgesetzt natürlich, die sagenhaft schnelle Internetverbindung auf dem Arenberg macht uns keinen Strich durch die Rechnung...).
Also, wir freuen uns über viele Zuschauer und wünschen Euch schon jetzt viel Freude mit unseren Texten!
Sr. M. Ursula & Mirko Kussin
Eigentlich sollte sein Erscheinen von einem medialen Feuerwerk begleitet werden, doch nun hat es sich Anfang April ganz still und leise auf den Markt geschlichen - Corona macht's möglich!
"Schön ohne aber - wie wir von Körperhass zu Körperliebe finden" lautet der Titel eines ungewöhnlichen Buches, für das ich vor einiger Zeit ein Kapitel schreiben durfte.
Ausgangspunkt dieses Gemeinschaftswerkes war die erschreckende Tatsache, dass 93% aller Menschen, vor allem Frauen, ihren Leib eher als Mängelexemplar statt als Gottes Meisterwerk betrachten.
So haben die beiden Herausgeberinnen mehr als 20 Autorinnen und Autoren gebeten, davon zu erzählen, was ihnen nach oftmals jahrelangen Leidenswegen geholfen hat, eine gesunde, positive Beziehung zu ihrem Leib aufzubauen. Herausgekommen ist ein Buch, welches so vielschichtig ist, wie Menschen nur sein können, welches erschrecken lässt und zugleich zum Schmunzeln bringt, welches auf bezaubernde Art und Weise unsere wahre Schönheit ans Tageslicht bringt, die sich eben nicht in Orangenhaut und Lachfältchen verliert. Ein Buch, welches einfach schön geworden ist, ohne aber!
Sr. M. Ursula
Sehr verehrte, liebe Gäste von Kloster Arenberg,
liebe Freundinnen und Freunde unseres Hauses und unserer Gemeinschaft,
im Namen unserer Gemeinschaft grüße ich Sie sehr herzlich, und wir hoffen, Sie und Ihre Familien und Freunde sind gesund. Mögen Sie Momente des Glücks und des Friedens finden dürfen in dieser für uns alle schwierigen Zeit. Nur schon vorweg: wir beten viel für Sie, ich gestehe, mehr als sonst. Wir beten für Sie, für unser Land und unsere so verletzte Welt.
Ein Wunder wünschen Viele von uns: das Wunder, dass wir befreit werden von dieser Pandemie, die uns im Ungewissen lässt, dass diese hässliche, unberechenbare Gefahr von uns weggenommen wird und wir zurückkehren dürfen in die Unbeschwertheit, nach der wir uns gerade in diesen Wochen und Monaten ausstrecken.
Dahin geht doch oft unser Verlangen. Wir sehnen uns danach, dass das Bedrohliche von uns weggenommen wird. Ängste. Unsicherheiten, existentielle Nöte. Berechtigt, finde ich. Und wir fragen uns zuweilen: Wo ist denn dieser GOTT, der uns rettet? Der uns hilft und beisteht? Als Christinnen und Christen schauen wir in diesen österlichen Tagen auf Jesus. Auch am Kreuz schreit es aus ihm heraus: „Mein GOTT, mein GOTT, warum hast Du mich verlassen?“
Hast Du uns denn, GOTT, verlassen? Lässt Du uns allein in unserem Schlamassel? Auch Du? Stopp! Sind wir wirklich Verlassene? Mutterseelenallein? Welch ein starkes Wort: mutterseelenallein! Verlassen von aller mütterlichen Präsenz, von bergenden Momenten.
Es ist doch so - Corona dirigiert uns: keine Umarmungen, keine tröstende Nähe, keine Berührungen, die halten, aufrichten und stärken.
Kehren wir zurück zu Jesus. Er schreit diese Worte aus dem Psalm 22 mit der Wucht eines endlos Leidenden hinaus. Scheinbar ins Leere. Gehen wir jedoch den Versen des Psalms entlang, erfahren wir: Da gibt es dieses Andere in seinem Leben, Tieferes, ihn nicht Verlassendes.
„Denn er, GOTT, hat nicht verachtet, nicht verabscheut des Elenden Elend.
Er hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm;
er hat gehört, als er zu ihm schrie.“
Das ist Ostern:
aus Stunden furchtbarer Dunkelheiten und Leere, ich denke an den Karsamstag, kommt dieser GOTT des Lebens seinen Jüngerinnen und Jüngern entgegen. Erst fremd – sie sind noch blind für das Neue. Seine Gefährtinnen und Gefährten haben diesen neuen Zustand zu lernen: Er kommt ganz anders: Maria von Magdala muss sich mehrmals umdrehen, bis in ihr Innerstes hinein, um ihren geliebten Herrn erkennen zu können. Einigen werden die Augen geöffnet durch das Zeichen des Brotbrechens, Anderen durch die Sichtbarkeit seiner Wunden.
Und - ein starkes Bild für unsere Situation heute: er kommt selbst durch verschlossene Türen. Er, der den Tod überwunden hat, tritt hinzu, mitten in unser alltägliches Leben. Nicht nur in festlich geschmückte Kirchen, so sehr wir sie auch brauchen, so sehr wir auch Gemeinschaft nötig haben.
Vielleicht dürfen wir dies in diesem Jahr lernen: der Auferstandene ist kommt und bleibt bei uns, wenn wir am Tisch sitzen, noch nicht frisiert, noch nicht rasiert. Er tritt hinzu, wenn wir spülen und tippen und den Garten umgraben. Wenn wir Mahl halten…
Er kommt in unser Herz. Dort steht er auf.
In diesen Wochen ist mir ein Gebet sehr nahe, ein Morgengebet der holländischen Jüdin Etty Hillesum, die 1943 mit 29 Jahren in Ausschwitz umgekommen ist: Sie betet:
"Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Heute Nacht geschah es zum ersten Mal, dass ich mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln lag und viele Bilder menschlichen Leidens an mir vorbeizogen. Ich verspreche dir etwas, Gott, nur eine Kleinigkeit: Ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen Tag hängen, aber dazu braucht man eine gewisse Übung. Jeder Tag ist für sich selbst genug. Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das Einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. […]
Ich werde in der nächsten Zukunft noch sehr viele Gespräche mit dir führen und dich auf diese Weise hindern, mich zu verlassen. Du wirst wohl auch karge Zeiten in mir erleben, mein Gott, in denen mein Glaube dich nicht so kräftig nährt, aber glaube mir, ich werde weiter für dich wirken und dir treu bleiben und dich nicht aus meinem Inneren verjagen."*
Etty weiß sich in GOTTES Armen, trotz allem. Sie glaubt an seine Präsenz, selbst in der Einsamkeit kann sie vertrauen: Es wird gut. ER macht es gut.
Wir haben unsere Zukunft nicht als Besitz. Sie bleibt immer ungewiss, immer auch Überraschung, aber glauben zu dürfen, dass wir in GOTTES Händen sind, dass er uns nicht alleine lässt - diesen Glauben, dieses Vertrauen wünsche ich uns allen zutiefst.
Dir Kirchen sind zurzeit leer, unser Herz vielleicht auch. Die Verletzlichkeit und das Fragile unseres Lebens und unserer Schöpfung wird uns hautnah bewusst.
An dieser wunden Stelle darf vielleicht das Neue, das Uralte neu beginnen: Nicht nur ein besonderer, ausgewählter, geheiligter Ort (was auch immer das heißt) , sondern mein Innerstes ist Raum GOTTES. Hier, genau hier spricht er sein Wort:
„Fürchte Dich nicht, ich bin es! Ich bin da! Nah bei Dir!
Ich komme in Deine Stube und Küche, dorthin, wo Du schläfst,
im Garten treffe ich Dich und nicht zu vergessen,
auch in Deine Keller und Speicher komme ich.
Dorthin, wo Du bist. Dort, wo Du lebst.“
Ein letzter Gedanke:
am frühen Morgen, nach dem Aufstehen (auferstehen?) gehen wir die ersten Schritte barfuß, ohne Schutz von Schuhen: wir sind verletzlich, wir tragen noch keine Rüstung, keine (Ver-) Kleidung, sind so dem Morgenlicht ausgesetzt. Einen Moment lang Urzustand. Verletzliche Frauen und Männer. Kinder. Am Tagesanfang, in den ersten Augenblicken müssen wir noch nichts, müssen nicht irgendjemand sein. Keine Titel. Keine Rolle. Nur wir. Ich. Beim Namen gerufen. Geliebt.
Und dann mit diesem Bewusstsein in den Tag hinein. Ins Leben.
Und barfuß bleiben, auch in Schuhen, um nichts zu zertreten, was uns Hoffnung gibt und Zukunft verheißt.
ER ist da. Oft sehr leise.
Ich wünsche Ihnen dieses Glauben,
auch wenn er dann und wann auf die harte Probe gestellt wird.
Mit Ihnen und auch für Sie möchte ich diese Wirklichkeit glauben dürfen.
Ihnen ein frohes gesegnetes Osterfest,
verstecken Sie sich irgendwo ein Ei, suchen Sie es, wenn möglich, barfuß.
Ihnen nur Gutes und Liebevolles - das österliche Licht sei in Ihren Räumen. Und innen. Ganz tief.
Von Herzen,
Ihre Sr. M. Scholastika
* Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, Reinbek bei Hamburg, 16. Auflage 2012, 149f
Also eins steht fest: Über mangelnde mediale Präsenz können wir uns in diesen Tagen nicht beklagen: Gleich zwei Fernsehberichte waren in dieser Woche über uns zu sehen, die allerdings beide noch in "Vor-Corona"-Zeiten aufgezeichnet wurden. So hatten wir im vergangenen Jahr in der letzten Augustwoche Besuch von Sara Endepols und ihrer zauberhaften Kamerafrau Theresa Berwian, die sich für die Reihe "7 Tage" eine ganze Woche lang in unseren Klosteralltag gestürzt haben. Während Sara anfangs noch verständlicherweise sehr "fremdelte" mit unserer Art zu leben und zu beten, wuchs während dieser Zeit zwischen ihr und uns eine Vertrautheit, die schon fast magisch war. Dass so etwas möglich ist, dass sich zwei derart fremde Welten so wertschätzend und bereichernd begegnen können, ist für mich immer wieder ein Aufsteller und ermutigt mich, weiterhin solche Wege des Dialogs zu suchen und zu beschreiten.
Und dann war ich Mitte Februar, als man noch einfach ungehindert und sorglos quer durch die Republik reisen konnte (das ist gefühlt schon ewig lange her ;-)) für ein paar Stunden bei BibelTV in Hamburg, wo die Sendung "Das Gespräch" aufgezeichnet wurde. Da hat es mir wiederum Freude gemacht, endlich mal gefragt und nicht angefragt zu sein, mich nicht erklären zu müssen, sondern einfach erzählen zu dürfen, was mein Herz bewegt, woran ich glaube, was ich erhoffe, wofür ich brenne und was ich liebe an meiner Lebensform. Auch eine tolle Erfahrung... Hier der Link zur Sendung.
Allen, denen die vielen Fernsehbeiträge über uns so langsam zum Hals raushängen, soll gesagt werden: Nun kehrt erst einmal wieder Ruhe ein. Stattdessen werden wir uns in den kommenden Tagen mit Hochdruck der Fotoaktion widmen, denn zu unserer Freude sind bereits mehr als 80 Mails eingegangen, so dass unser Gästehaus über Ostern nun tatsächlich "voll" wird. Aber keine Angst: wir finden hier für alle ein schönes Plätzchen ;-)
Wir auf dem Arenberg wünschen Ihnen allen gesegnete Kar- und Ostertage, und seien Sie gewiss: wie schließen Sie fest in unsere Gebete ein.
Sr. M. Ursula
"Auch vermisst werden, ist eine Art anwesend zu sein." - dieses Zitat stammt aus, dem Passionsprogramm von 2Flügel. Christina Brudereck und ihr Mann Benjamin Seipel zählen zu den vielen Gästen, die wir so gerne in der kommenden Woche auf dem Arenberg begrüßt hätten - die beiden hätten mit "Leidenschaft Leben", dem Karfreitagabend wieder eine ganz besondere Note gegeben.
"Auch vermisst werden, ist eine Art, anwesend zu sein..." - in diesen Tagen hätte sich unser Gästehaus Kloster Arenberg wieder langsam gefüllt mit unseren Ostergästen. Altbekannte Gesichter neben neuen Gästen, Wiedersehensfreude neben gegenseitigem "Beschnuppern", Besuch der altvertrauten "Lieblingsorte" neben Erkundungsrunden durch Haus und Garten - so wie wir es schon unzählige Male erlebt haben, so wie wir es einfach lieben. Manchmal, wenn ich gerade meine Runden durch den einsamen Klostergarten drehe, wenn ich mich zum Arbeiten in mein "Outdoor-Office" auf die Terrasse des Klostercafés setze und die Augen schließe, habe ich tatsächlich den Eindruck, dass sie ja doch alle irgendwie da sind. Diejenigen, die gerne nach dem Mittagessen noch einen Espresso genießen, die treuen Stammgäste in der Raucherecke (hallo Mirko ;-)), die, die mir auf meinen Gartenrunden immer freundlich zulächeln, die, die an allen Chorgebeten teilnehmen, die, die keinen Morgenimpuls auslassen, die, die jeden Gesprächskreis bereichern. Alle sind sie irgendwie anwesend, und wahrscheinlich liegt das tatsächlich am Vermissen.
Als wir vor ein paar Tagen mit dem Seelsorge-Team nach Ideen gesucht haben, wie unser Vermissen mit dem Vermissen unserer Gäste "zusammengebracht" werden könnte, kam unserem Kaplan eine lustige Idee: Wir laden Sie, Gäste von Kloster Arenberg und solche, die es werden möchten, in den Tagen der Schließungszeit dazu ein, uns ein Portraitfoto von sich zur Verfügung zu stellen, auf welchem Sie gut erkennbar sind. Die Qualität sollte so gut sein, dass es in DIN A 4 ausgedruckt werden kann. Dann werden wir vom Seelsorge-Team Sie hier irgendwo "hinsetzen", fotografieren, und die Fotos kommentarlos auf der Kloster Arenberg-Homepage und unseren Social Media Kanälen veröffentlichen. Unsere Phantasie ist, dass es auf diese Weise eine Menge "Wiedersehensfreude" geben könnte :-) Also, falls Sie Lust haben, in den kommenden Wochen auf diese Art hier Präsenz zu zeigen, senden Sie das Foto mit einem kurzen Vermerk, dass wir es verwenden dürfen, einfach per Mail an kloster.arenberg@gmail.com und lassen Sie sich überraschen, an welch schönem Plätzchen Sie sich am Ende wiederfinden werden!
Eine gesegnete Zeit wünscht Ihnen
Sr. M. Ursula
+ Schwester M. Ambrosia Stachelscheid OP
30. Dezember 1918 - 02. April 2020
1918. Unvorstellbar rasant breitete sich damals die spanische Grippe aus und forderte unvorstellbare Zahlen von Toten. 2020. Das Corona-Virus lässt das Leben auch in Deutschland stillstehen. Diese beiden Jahreszahlen, die so viel Leid hervorbrachten und -bringen, zeichnen die Eckpunkte der Lebensjahre unserer Schwester M. Ambrosia, Luise, die am 30.12.1918 in Eschweiler Stolberg als erstes Kind der Eheleute Stacheldscheid-Schürholz geboren wurde. Mehr als 101 Jahre sind ihr geschenkt worden. Wirklich geschenkt, denn sie liebte das Leben und gestaltete es in beeindruckender Treue. Vielleicht war es auch ihr Tag für Tag gelebter Rhythmus, der ihr diese auffallend seelische und physische Gesundheit gegeben hat, ihre Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Heiterkeit. Ihr tiefes Vertrauen auf die mütterliche Präsenz Marias verlieh ihr eine Unbeschwertheit, die wir alle erfahren durften. Sie verehrte auf besondere Weise Maria als Advocata, die im Dominikanerorden einen eigenen Platz bekommen hat.
Schwester M. Ambrosia sehnte sich nach dem Himmel: wie konnte sie staunen und ihrer Freude über das, was uns Menschen einst in der Ewigkeit erwarten wird, Ausdruck geben! Es gab diesen einen Moment in ihrem Leben, da hörte sie in ihrem Innersten die Zusage GOTTES: „Du wirst mein Angesicht schauen!“ Daraus lebte sie, und daraus schöpfte sie Kraft, gerade auch dann, als sie mehr und mehr ihr Augenlicht verlor. Sie wusste: Das Sehen wird ein Schauen werden.
Schwester M. Ambrosia war die älteste von 8 Kindern. Drei ihrer Schwestern haben später den gleichen Weg gewählt wie sie: zu viert traten sie nach und nach in unsere Gemeinschaft ein. Einer ihrer zwei Brüder erkannte seine benediktinische Berufung und wurde Mönch in Maria Laach.
Luise freute sich an ihrer beruflichen Perspektive: sie lernte Stenografie und Buchführung. Die Arbeit im Büro war ihr eine sinnerfüllende Aufgabe. Schon in jungen Jahren hatte sie ein Gespür für Mitverantwortung und Pflichtbewusstsein. So ließ sie im Blick auf ihre Familie immer wieder ihre eigenen Pläne durchkreuzen. Dazu kam der Beruf des Vaters als Bahnmeister und auch der 2. Weltkrieg: sie forderten mehrere Umzüge, die Beweglichkeit und Flexibilität für die ganze Familie bedeuteten.
Doch ein Anderer, GOTT selbst brachte sie in Bewegung und zog sie, rief sie: 1947 trat sie in unsere Gemeinschaft ein. Düsseldorf (1950- 1954) und Remscheid (Priorat von 1964-1971) waren ihre Stationen, doch über Jahrzehnte war sie im Mutterhaus das freundliche, liebenswürdige Gesicht im damaligen Kneipp-Sanatorium, später dann an der Mutterhauspforte.
Eine Geste ist untrennbar mit Schwester M. Ambrosia verbunden: ihre segnende Hand in so vielen Begegnungen. Der Zeichnen des Kreuzes auf die Stirn war ihr Markenzeichen. Und das Rosenkranzgebet – bis ins hohe Alter.
Nun ist ihre jede Blindheit genommen, und sie schaut die Schönheit und Herrlichkeit des Himmels.
Deine Sehnsucht,
liebe Schwester M. Ambrosia,
hat sich erfüllt:
Nun schaust Du IHN, Deinen GOTT.
Sr. M. Scholastika
Wer in Kloster Arenberg Urlaub macht, trifft in der Regel zuallererst auf die Mitarbeiterinnen am Empfang. Dort herrscht naturgemäß immer ein munteres Kommen und Gehen, denn neben Gästen, die an- und abreisen, ist der Empfang für viele auch Dreh- und Angelpunkt in zahlreichen anderen Anliegen: Wie komme ich in den Klosterkeller? Muss ich mich für den Vortrag heute Abend anmelden? Könnte ich noch eine Wolldecke in mein Zimmer bekommen? Zwei bis drei Mitarbeiterinnen teilen sich deshalb in „Normalzeiten“ die Arbeitsplätze am Empfang – beantworten Fragen, erklären Abläufe oder geben Tipps für den Klosteraufenthalt.
Jetzt, da das Gästehaus geschlossen ist, ist es ruhig am Empfang. Ein und aus gehen außer dem Paketdienst nur die Mitarbeiter, die auch in der Schließungszeit arbeiten, sowie die Schwestern, die hier im Mutterhaus wohnen. Auf dem Tresen steht ein Mittel zur Händedesinfektion. Hinweisschilder erinnern daran, einen Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern zu halten. Um diesen auch hinterm Tresen einhalten zu können – und weil momentan viel weniger zu tun ist als sonst –, leisten die Mitarbeiterinnen ihren Empfangsdienst zurzeit nicht mehr zu mehreren, sondern alleine ab. Zu ihnen gehört Helena Noggler. Ihr Gesicht ist vielen Gästen nicht nur vom Empfangstresen, sondern auch aus dem Jubiläums-Fotoband von 2017 bekannt. Dort sieht man sie zusammen mit ihrem damals neugeborenen Sohn und mit Sr. M. Irmingard, auch sie für die meisten ein vertrautes Gesicht, da sie die Gäste täglich an der großen Tafel zu den Gebetszeiten im Mutterhaus abholt.
Weil die Kita ihres mittlerweile zweieinhalb Jahre alten Sohnes zurzeit geschlossen ist, hat Helena Noggler ihre Arbeitszeiten am Empfang gebündelt. Die Arbeitsstunden, die sie sonst über mehrere Tage verteilt, leistet sie jetzt ganztägig ab. So kann ihr Mann in der Zeit, die sie hier ist, auf den Nachwuchs aufpassen. Denn wegen der Ansteckungsgefahr vor Corona fallen die Großeltern momentan als Babysitter aus. Wie in vielen Familien lässt sich der Kontakt nur über moderne Kommunikationsmedien halten.
Kontakt halten – ein wichtiges Stichwort. Denn auch in dieser Schließungszeit gehen zahlreiche Anrufe am Empfang von Kloster Arenberg ein. Gäste buchen nicht nur für „die Zeit danach“, sie rufen auch gerne mal an, um zu fragen, wie es uns hier auf dem Arenberg geht. Manch einem merkt man die Einsamkeit in den eigenen vier Wänden an, meint Helena Noggler. Das tut ihr besonders leid. Denn sie bekommt mit, wie abgeschnitten manch ein Single zurzeit von der Außenwelt ist, wenn Kurse, Veranstaltungen und all die Aktivitäten ausfallen, in denen Menschen aufeinandertreffen und sich gegenseitig mit dem Corona-Virus infizieren könnten. Umso mehr freut es sie, wenn diejenigen, die ihre Urlaubspläne vorerst ad acta legen mussten, jetzt schon für eine spätere Jahreszeit buchen. Und hier am Empfang nicht mehr nur das Telefon klingelt, sondern es dann hoffentlich auch wieder etwas wuseliger zugeht.
Kathrin Schäfer, Postulantin
Es ist seltsam in diesem Jahr, die Sache mit dem Frühling. Während ich sonst um diese Jahreszeit mit einem Dauergrinsen durch die Natur laufe, jedes grüne Blättchen persönlich begrüße, die wärmenden Sonnenstrahlen in mich aufsauge und staunend die aufbrechenden Knospen betrachte, fühle ich mich in diesem Jahr innerlich irgendwie abgeschnitten von all dem Zauber. Bewusst wurde mir das u.a. auch durch die große Resonanzwelle, die über das „Ohne Sie ist alles doof“-Video zu mir und uns geschwappt ist. Neben vielen sehr berührenden und dankbaren Rückmeldungen kommentierten manche, dass man den Frühling aber doch bitte nicht als doof bezeichnen dürfe. Klar haben diese Stimmen Recht, zumal ich das Video auch mit einem zwinkernden Auge gestaltet hatte und die Sehnsucht nach diesem wunderbaren Ort hier wachhalten wollte. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich momentan inmitten dieser ganzen Herrlichkeit tatsächlich wie Falschgeld. Ich fahre jeden Mittag bei wolkenlosem Himmel eine Stunde Fahrrad durch die wunderbare Landschaft vor unserer Haustür, aber von Unbeschwertheit kann keine Rede sein. Ich drehe morgens und abends meine Runden durch den Garten und nehme die Schönheit wahr, aber von Freude oder gar österlichem Erwachen im Herzen kann noch keine Rede sein. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass sich da innerlich viel Schweres zwischen mich und all das Schöne gelegt hat. Es sind die Bilder der unzähligen Flüchtlinge, die immer noch vor den Toren Europas auf Hilfe warten. Es sind die Nachrichten aus dem Elsass, in denen davon berichtet wird, dass über 80jährigen Corona Patienten jede Beatmung versagt und stattdessen Sterbehilfe angeboten wird. Es sind die Existenzängste der vielen Einsamen, Verunsicherten, Ratlosen, die sich gerade Tag für Tag verzweifelt bei uns melden. Es ist der Gedanke, wie viele Menschen wohl dieser Seuche zum Opfer fallen werden, wenn sie in Ländern wütet, deren Gesundheitssystem sowieso in keiner Weise funktioniert. Und es ist nicht zuletzt die Sorge um meine eigene Gemeinschaft – warum sollten eigentlich ausgerechnet wir von dieser Katastrophe verschont bleiben, wenn sie doch so viele andere trifft? Gedanken, die sich gerade auf mein Herz legen wie eine dunkle Glocke und tatsächlich dazu führen, dass sich alles irgendwie doof und falsch anfühlt.
Aber: Der Frühling um mich herum hört trotzdem nicht auf. Das wurde mir heute Morgen noch einmal krass vor Augen geführt, als ich im Garten an einem alten Kirschbaum vorbei ging, der bereits vor drei Jahren einem Sturm zum Opfer fiel und seitdem als „Totholz“ auf unserer Schafweide liegt. Ich war urplötzlich zutiefst berührt, als ich sah, dass selbst dieser Baum, der ja schon so lange Zeit von seinen Wurzeln abgeschnitten ist, noch einmal - wie auch in den letzten beiden Jahren - alles gibt und solche Knospen treibt. Heute Morgen kam mir der Gedanke: Genau so ist das wahrscheinlich auch mit Gott und uns Menschen. Der Geist Gottes, der Geist, der lebendig macht, er ist in dieser Welt gegenwärtig. Ob wir persönlich uns von ihm ergreifen lassen oder nicht, ob wir ihn wahrnehmen oder nicht, er ist da, er macht „sein Ding“, nämlich: Zum Blühen bringen. Die meiste Zeit unseres Lebens hindern uns wahrscheinlich jede Menge Sorgen und andere Dinge daran, uns von diesem Geist ganz und gar durchwirken zu lassen, nicht zuletzt, weil wir ja in der Regel auch das Gefühl haben, unser Leben auch ohne Hilfe von oben recht gut im Griff zu haben. Dann laufe ich wahrscheinlich so „neben Gott her“, wie ich mich in diesen Tagen in der Natur erlebe. Ich sehe, rieche, fühle, aber in der Tiefe geschieht keine Wandlung. Ein Gefühl des Abgeschnitten-Seins, wie tot. Es sind dagegen die Gnadenzeiten in unserem Leben, in denen wir neu aufgebrochen werden für das Wirken Gottes in unserem Leben und mit Leib und Seele zu Ihm in Resonanz gehen.
Gestern haben wir im Evangelium zum Passionssonntag die Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 1-45) betrachtet. In einer Situation, die an Hoffnungslosigkeit nicht zu überbieten ist, erweist Jesus seine Macht. „Nehmt den Stein weg!“, befiehlt er, auch wenn Marta ihn darauf hinweist, dass der Verstorbene nach vier Tagen schon im Zustand der Verwesung sein könnte. Und dann schreit er mit lauter Stimme ins Grab hinein: „Lazarus komm heraus!“. Wie sehr wünsche ich mir, dass wir alle dieses heilsame Wirken Jesu gerade in diesen vorösterlichen Tagen am eigenen Leib erfahren dürfen. Dass er die Steine ins Rollen bringt, die uns abschneiden vom wahren Leben, das uns von Gott her verheißen ist. Dass der Frühling mit geballter Macht Einzug halten darf in unsere Herzen, allen Ängsten, Vorbehalten und Sorgen zum Trotz. Dafür bete ich.
Sr. M. Ursula