Ansprache von Sr. M. Scholastika zum Festtag 2021 und zur Noviziatsaufnahme von Jacqueline Klein
Liebe Schwester M. Lamberta,
liebe Schwester M. Irmgard,
liebe Schwester M. Irmtrud,
liebe Jacqueline,
(Schwester M. Theresia konnte aus Berlin nicht anreisen)
65 Jahre, 60 Jahre Profess.
Sind diese Jahre nicht ein Wunder?
Schwester Maria Willigis hätte sogar 75 Jahre Profess gefeiert, wirklich ein ganzes langes Leben. Schwester M. Imeldis 70 Jahre. Unvorstellbar!
Es ist interessant, nachzulesen, welche wichtigen Ereignisse in Ihren Professjahren stattgefunden haben. Man käme aber an kein Ende. Für uns vielleicht interessant:
1956 Im Oktober dieses Jahres wurde der Vertrag unterschrieben, dass das Saarland nach dem französischen Protektorat wieder Deutschland zurückgegeben wird. Vielleicht wichtig für unsere Saarländerinnen, Sr. M. Ursula und Sr. M. Irmtrud. Und weil es doch nicht wenige von uns miterlebt haben: Kriegsheimkehrer kehren zurück und Umsiedler kommen aus den ehemals deutschen Gebieten Polens. In England geht das erste kommerzielle Atomkraftwerk ans Netz.
1961 John F. Kennedy wird zum 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Er wird später hier noch Bedeutung bekommen.
Das Ereignis in Deutschland, das das Land zerriss, war der Bau der Berliner Mauer. Und: Juri Gagarin als russischer Astronaut war der erste Mensch im Weltall.
Das 2. Vatikanische Konzil lag noch im Schlaf, wenn sich auch bestimmt in Hintergrund Bewegungen für eine Erneuerung der Kirche bereits abgezeichnet haben. Romano Guardini hat z. B. bereits 1918 mit seiner Schrift „Vom Geist der Liturgie“ eine Richtschnur gegeben für die Liturgische Bewegung und so die Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils wesentlich mitgeprägt.
Soweit.
Jede von Ihnen hätte auch viel zu erzählen aus der eigenen Geschichte. Aus der Gemeinschaft, die sich so sehr verändert hat in diesen Jahrzehnten. Und Ihre Stationen, liebe Jubilarinnen, Ihr innerer Weg mit GOTT, mit sich selbst …
Da gibt es die menschliche Geschichte und für uns zentral die göttliche Geschichte mit uns, nie ohne uns. ER bleibt der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, auch nach 65 Jahren, nach 60 Jahren. Und Du, Jacqueline, wirst auch sagen dürfen, wie es Madeleine Delbrêl ausgedrückt hat: im Evangelium, in Jesus Christus eine Lebensform dafür gefunden zu haben und aus diesem „unerhörten Glück“ zu leben und es mit anderen zu teilen.
Ist es nicht so auf dem Weg in ein Kloster?
Es gibt den Punkt des Überwältigtseins, einen Augenblick des Ergriffenseins, einen Moment, der einen nicht mehr loslässt. Madeleine Delbrêl beschreibt es so:
„In diesem Augenblick wird uns Gott das Allerwichtigste ... Da ist diese Begegnung mit dem lebendigen Gott, die Erfahrung einer Liebe, die nicht mehr zur Wahl steht.“
Jede von uns wird es wohl anders beschreiben, aber es geht letztlich immer um diese Liebe, die uns ruft, die uns zu wandeln vermag und uns hilft, wegzuziehen, zu verlassen, neue Wege zu gehen, uns selbst freizugeben für das uns verheißene Leben in Fülle. Aufbruch gehört zu unserem Leben – um der Liebe willen. Was sonst gibt uns die Kraft, uns immer wieder neu einzulassen, nicht stehen zu bleiben!
Das Alte wie das Neue Testament offenbaren GOTT als den Liebenden. Er wirbt um uns, lockt uns und zeigt uns, dass die Liebe mehr ist als Sentimentalität und Gefühl. Für Christus war es der Weg ans Kreuz. Die Dornenkrone auf unseren Zellen, liebe Jubilarinnen, erinnert uns daran. Sie erinnert uns daran, dass Katharina von Siena nicht die Goldkrone gewählt hat, den buchstäblichen Wohl-Stand, die Absicherung.
Die Liebe ist nicht immer bequem. Wer weiß das nicht von uns, ob wir gefühlt schon eine Ewigkeit in der Gemeinschaft leben oder noch ganz am Anfang stehen. Aber allein die Liebe schenkt Erfüllung. Schenkt Fülle.
Die Liebe ermutigt uns, das Leben für Größeres zu wagen.
Maria zeigt es uns auf wunderbare Weise:
in einem unerhörten Vertrauen hat sie ihr JA gewagt.
Der Engel kam nur einmal, dann hieß es für sie zu gehen und nah an der Seite ihres Sohnes zu bleiben, in aller Einfachheit und Alltäglichkeit. Bis ins Letzte hinein.
Es ist so (Giannina Wedde)[1]:
Wir halten die Liebe für das Siegel der Ewigkeit,
für die Fülle, die nicht endet, und den Frieden ohne Erschütterung.
Doch die Liebe hat sich im Menschen mit einer verwundbaren Haut bekleidet
Sie hat sich verschenkt an die niedrigen Dinge,
an die geteilte Mahlzeit auf gesprungenem Porzellan,
an die kleinen Blicke, die den anderen suchen,
an den Seufzer, der auf Erwiderung wartet.
Sie hat sich verschenkt an das Zittern der Stimme, die den Geliebten ruft,
an den honiggelben Morgen, der uns Verzeihen lehrt,
und an die leise Geste, die nichts verspricht,
als dass wir hier, an den Schwellen, die wir fürchten, einander Zuflucht sind.
Ein Lidschlag ist diese Liebe und alle Herrlichkeit liegt darin.
Wie eine Vorübergehende segnet sie uns,
spricht einen leeren Raum in unsere geschäftigen Gedanken, dass ein Mensch darin Platz nehme mit der Anmut seines Namens.
Mit der Anmut seines Namens:
Liebe Jacqueline,
„Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen“, hören wir heute während des Aktes der Noviziatsaufnahme.
Ein Angesprochensein, und Du gibst Antwort mit Deinem Leben.
Deine Eltern haben Dich gerufen und ließen Dich taufen auf den Namen der Frau von John F. Kennedy, Jacky, eine Frau mit Rückgrat, eine mutige Frau. Das war Deiner Mutter wichtig. Der Name kann immer auch Programm sein und eine Lebenslinie zeichnen, uns erinnern an das, was uns aufgetragen ist, was uns ausmacht. Du hast Deinen Namen gefeiert, wir haben Dich gefeiert am Fest des hl. Jakobus. Der hl. Jakobus, der Inbegriff eines Pilgers.
Unser Leben ist ein Pilgern, eine ständiges Gehen auf GOTT zu. Wir kommen mit unserer Sehnsucht, mit unseren Vorstellungen und vielleicht auch Erwartungen. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass GOTT selbst uns erwartet,
dass Er es ist, der uns sucht, dass Er es ist, der sich uns vorstellen will.
Du sollst den Herrn Deinen GOTT lieben, hörten wir aus der Lesung.
Du sollst den Herrn Deinen GOTT lieben,[2]
aus Deinem ganzen Herzen,
aus Deiner ganzen Sache
aus Deinem Denken,
und aus all Deiner Kraft.
Diese Worte stehen über allem. Lieben nach den eigenen Möglichkeiten, Jacqueline, liebe Jubilarinnen. Ganz. Und doch tragen diese Möglichkeiten das Mehr in sich. Das Meer. Pilgern dem Mehr zu, dem Größeren zu.
Auch in jenen Augenblick, die unsere Leben für Sekunden anhalten, die eine neue Herausforderung bedeuten, wie Sie es, liebe Schwester M. Irmtrud, durch Ihren schweren Schlaganfall erlebt haben.
Pilgern dem Mehr der Liebe zu, dem Größeren zu, wenn die Kräfte nachlassen, wenn Pflege notwendig wird, wenn die eigenen Ansprüche durchkreuzt werden. Ich denke an Sie, liebe Schwester M. Lamberta.
Pilgern dem Größeren zu… auch Sie, liebe Schwester M. Irmgard sind in diesem Mehr. Ihnen ist in Ihrem hohen Alter noch so Vieles möglich, auch wenn Ihnen die Schwerhörigkeit zu schaffen macht.
Auch im Vollen dem Größeren zulaufen, mit pochendem Herzen auf ihn zugehen.
Wo die Liebe atmet, wo der Liebe im Alltag der Durchbruch gelingt, da erfahren wir göttliche Gemeinschaft. Jesus sagt: „Wenn ihr mich liebt, werden ich und mein Vater zu Euch kommen und bei Euch wohnen.“ Und er schenkt einen Frieden, den die Welt nicht kennt.
Die göttliche Liebe, liebe Jacqueline,
soll Dich durchfluten, Dich tragen, ihre Spur in Dein Leben legen,
und Dich tief tief glücklich machen.
Wir beten:
Immer wieder weckst[3]
Du die Liebe in unseren Seelen.
Öffne uns die Augen für das Gute und das Nährende.
Lass uns in den Falten des Alltäglichen das Liebenswerte finden.
Hilf uns zu vertrauen, dass wir uns öffnen können für das, was Du uns bereithältst
Segne unser Tun und lassen
Deine Freundlichkeit lass uns erfahren im Empfangen und Verschenken.
In Dir lass uns aufgehoben sein
Von Stunde zu Stunde.
Zeichne Deine Spur in diese Stunde,
in der wir das JA unserer Jubilarinnen feiern
und Jacqueline als Schwester begrüßen dürfen.
Zeichne Deine Spur der Güte und der Liebe,
zeichne Dich in unser Leben.
Amen.
[1] Wedde, Giannina, In deiner Weite lass mich Atem holen. Segensworte für die Lebensreise, Münsterschwarzach
22018, S. 40
[2] Übersetzung von Werner Hegglin aus: Schwyzer, Christoph, Hrgs., Hegglin, Werner, Menschsein ist schon ein Beruf
[3] Angelehnt an: Antje Sabine Naegeli, Umarme mich. Gebete voller Hoffnung, 22020, 146