Wüstenväter

Freiheit. Wann haben wir das letzte Mal so viel und so eifrig über sie diskutiert? Als die deutsche Mauer fiel? Als Donald Trump seine Macht willkürlich gegen sein Volk missbrauchte? Oder jetzt in der Corona-Pandemie, deren Einschränkungen Menschen weltweit auf die Straßen getrieben haben – für die und im Namen der persönlichen Freiheit?

 Freiheit. Sie treibt uns alle um. Dabei haben wir meist nur unsere äußere Freiheit im Blick. Als Novizin kann ich ein Lied davon singen. Warum darf ich während des Kanonischen Jahres meine Freunde nicht besuchen? Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Und vor allem: Wo finde ich Antworten auf diese meine Fragen?

 

Vom 6. bis 9. Juli durfte ich, durften wir uns mit den Lehren der Wüstenväter und -mütter, das heißt den Erfahrungen frühchristlicher Mönchen und Nonnen, auseinandersetzen. Wir, das waren die Noviziate von Kloster Arenberg, dem schweizerischen Dominikanerinnenkloster Cazis sowie dem Noviziat der Domnikaner-Provinz Teutonia in Worms. Das waren ein Novizenmeister, drei Noviziatsleiterinnen, vier Novizinnen, ein Novize sowie zwei Postulantinnen. Als Referent ist Pater Thomas Gabriel Brogl OP angereist, Provinzial der Dominikaner in Süddeutschland und Österreich. Das Thema Wüstenväter ist sein Steckenpferd.

 

Was für mich erst einmal etwas trocken und langweilig klang – Wüste, Askese und ein Haufen alter Männer in den ersten Jahrhunderten nach Christus – hätte spannender und vor allem bewegender kaum sein können. Worum geht es? Um eben jenen Weg in die Freiheit. Nicht die äußere Freiheit jedoch ist gemeint, sondern ein innerer Frieden. Um den Weg ins eigene Sein, in die Wahrheit. Ich selbst werden. Diejenige werden, als die ich von Gott gedacht bin. Das Leben so annehmen, wie es ist. Andere so annehmen, wie sie sind. Und nicht zuletzt: Mich selbst annehmen. So, wie ich bin. Vielleicht die schwierigste von allen Aufgaben. Wie kann sie gelingen? Die Wüstenväter weisen uns den Weg.

 

Denn sie haben sich in Sachen Freiheit niemand Geringeren als Jesus Christus zum Vorbild genommen. War er doch wie kein anderer in der Lage, sich ganz auf den Willen des Vaters einzulassen. Noch am Kreuz zu hören und zu gehorchen. Bis in den Tod. Die äußere, allzu grausame Wirklichkeit zu ertragen, anzunehmen und sich einer Wahrheit hinzugeben, die nicht von dieser Welt ist. Unvergleichliche Liebe, unendliches Vertrauen sind hierfür notwendig. Und Hoffnung. Aber auch Zuversicht. Dass dies schon alles richtig ist, so wie es ist. Dass es gut ist, trotz aller Widrigkeiten, Demütigungen, Anfechtungen. Doch Jesus Christus war Gottes Sohn. Ob ein solcher Weg in die Freiheit auch „normal Sterblichen“ gelingen kann?

 

Einige Mutige haben es immer wieder versucht. Antonius der Große, Johannes Cassian, Evagrius Pontikus – das sind einige der großen Namen unter den Wüstenvätern. Wüstenmütter gab es übrigens auch. Obgleich das Leben in der Wüste für Frauen weitaus gefährlicher war als für Männer. Doch das nur am Rande. Sie alle haben sich jedenfalls auf der Suche nach innerer Freiheit, nach innerem Frieden, auf den Weg in die Wüste gemacht. An einen Ort also, dessen äußerliche Beschränkung kaum größer sein könnte. Der unwirtlicher und lebensfeindlicher kaum sein könnte. Doch dort, dachten sie, könne man sich von den Verwicklungen und Verflechtungen der Welt lösen. Das eigene Kreuz tragen, um bei Jesus Christus zu bleiben. 

 

Mit ihrem Leben sind sie uns bis heute Vorbild. Als Eremiten oder als sogenannte Koinobiten in der Gruppe leben sie ein Leben in Askese. Ziehen sich zurück von der Welt und ihren Umtrieben, um sich den eigenen Lastern zu stellen. Dämonen nannte man solche geistlichen Anfeindungen damals. Diese zeigen sich in der Einsamkeit schneller, als man denkt. 

Der Rückzug von der Welt, so lerne ich, wie ihn das Noviziat noch heute mit sich bringt, spült alte Verwundungen, alten Schmerz, nach oben. Noch ehe man sich´s versieht, laden die Dämonen zum Kampf: Warum darf ich während des Kanonischen Jahres meine Freunde nicht besuchen? Die Einsamkeit der Zelle ist Krisenauslöser und Heilmittel zugleich. Ohne Ausweichmöglichkeiten, Freunde, Fernsehen oder was mir sonst noch alles zur Ablenkung einfällt, kommt das hoch, was mich in meinem Leben umtreibt. Antreibt. Was mir Kummer und Schmerz bereitet. „Geh in deine Zelle und setze dich nieder. Deine Zelle wird dich alles lehren“, heißt es deshalb in einem berühmten Satz der Wüstenväter. Übersetzt in unsere Zeit: Wenn ich mich aus der Einsamkeit nicht wieder in die Ablenkung flüchte, wenn ich meinen Schmerz nicht betäube, wenn ich ihn betend und im Angesicht Gottes aushalte, dann habe ich eine Chance, geheilt zu werden. Das Herzensgebet, das der Jesuit Franz Jalics wiederentdeckt, praktiziert und weitergegeben hat, ist eine wichtige Hilfe auf dem Weg zum Heil. Aushalten. Ausrichten. Vor Gott bringen. Heilen lassen. Und dennoch das Arbeiten nicht lassen. Auf eine kurze, griffige Formel gebracht heißt dies: Ora et labora. Bete und arbeite. Immer wieder beten, und ruhig weiter der eigenen (Lebens-) Aufgabe nachgehen. Beten und Arbeiten. Zulassen, dass Heilung geschieht.

 

Doch ich hatte ja noch eine Frage: Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Die Gier nach dem Haben-Wollen, dem Besitzen und dem Immer-mehr-haben-Wollen ist ein Laster, das so alt ist wie die Menschheit selbst. Es ist deshalb eines von acht Lastern, denen die Wüstenväter den Kampf ansagten. Weil sie es darin zu einiger Weisheit und Erfahrung gebracht hatten, nahmen Menschen immer wieder lange Wegstrecken auf sich, um Rat für das eigene Leben zu erfragen. Nicht selten antworteten die Wüstenväter mit einem Wort. Mit einer Geschichte. Wie zum Beispiel diese hier: Einmal entdeckt ein Wüstenvater einen Räuber, der seine Zelle, das sogenannte Kellion, ausräumt. Der Räuber weiß nicht, mit wem er es zu tun hat. Was passiert? Der Mönch kommt dazu und hilft dem Räuber, alles auszuräumen. Dann lässt er ihn mit Sack und Pack von dannen ziehen …

Mal ehrlich: Wer von uns wäre in der Lage, so zu handeln wie dieser Mönch? So unabhängig zu sein von allem, was wir besitzen? Was wir glauben zu besitzen?

Warum darf ich als Ordensschwester kein Geld besitzen? Damit ich innerlich vollkommen frei bin … mich nicht mehr an meinen Besitz klammern muss. Und an alles, was damit verbunden ist. Sicherheit, Bequemlichkeit, Status, Ansehen … Damit ich die werde, die ich wirklich bin. Nicht mehr nur die, die ich glaube zu sein. Diese Wüstenväter: ganz schön weise. Und so viel mehr als ein langweiliger Haufen alter Männer in der Wüste …

Sr. M. Kathrin