Die Redensart „den Finger in die Wunde legen“ ist zumeist damit konnotiert, dass ein unangenehmer Sachverhalt aufgedeckt wird, dass jemand den Mut hat Missstände kritisch und ohne Beschönigung aufzuzeigen. Damit sind wir vom biblischen Ursprung weit entfernt. Thomas soll und möchte den Finger in die Wunde legen, um zu erkennen, um zu glauben und er tut es: „Mein Herr und mein Gott.“ (Joh 20,28)
Wenn wir es einmal umdrehen, sehen wir, dass auch Jesus sprichwörtlich den Finger in die Wunde des Thomas legt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben (Joh 20,29)“ und kritisiert das mangelnde Vertrauen seines Jüngers.
Gleichzeitig bin ich beeindruckt von dem starken und außergewöhnlichen Glauben des Thomas. Er stellt eine klare Forderung an Gott: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe [...] glaube ich nicht“ (Joh 20,25). Auch ich kenne solche Verhandlungen mit Gott und merke, wie ich versuche mich selbst nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Man muss ja irgendwie realistisch bleiben. "Die Simpsons" greifen diesen Gott, der scheinbar überhaupt nicht in diese Welt eingreift, satirisch auf. Homer Simpson betet: "Ich mach dir ein Angebot: Du lässt einfach alles so wie es ist und ich stelle keine Forderungen mehr. Wenn du damit einverstanden bist, gib mir bitte überhaupt kein Zeichen. [Stille] Gut, abgemacht. Um mich erkenntlich zu zeigen möchte ich dir Plätzchen und Milch anbieten. Wenn du möchtest, dass ich sie für dich esse gib mir kein Zeichen. [Stille] Dein Wille geschehe." (Staffel 6, Folge 13: Und Maggie macht drei)
Und so legt Thomas wirklich den Finger in die Wunde, ob wir denn glauben, dass Gott so antwortet, wie wir es brauchen.
Und wenn er nicht antwortet?
Wie viele Menschen beten in der Not: „Wenn xy geheilt wird, glaube ich“ und Person xy wird nicht geheilt? Was tun wir mit unbeantworteten Gebeten, wenn Gott sich eben nicht zeigt? Vielleicht können wir Trost schöpfen aus dem Wort: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Im Johannesevangelium gibt es im Gegensatz zu den Synoptikern keine Seligpreisung. Hier, ganz zum Schluss der frohen Botschaft finden wir eine. Es gleicht einer Überforderung zu glauben, ohne Gott zu sehen, zu spüren und zu erfahren und dennoch ist dieser Glaube ein wirklich freier Glaube. Wunder erscheinen attraktiv, aber Wunder können uns auch überfahren, können uns die Freiheit nehmen.
So stehen sich in diesem Abschnitt des Evangeliums nicht nur Zweifel und Glaube gegenüber, sondern auch der Mut Gott konkret um etwas zu bitten und gleichzeitig seine Unverfügbarkeit.
Ich bin froh, dass Johannes diese Szene in sein Evangelium aufgenommen hat. So ist es doch wahr, was Gregor der Große darüber sagte: "Der Unglaube des Thomas nütze uns mehr zum Glauben als der Glaube der übrigen Jünger."
Von Maria Magdalenas „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18) hat sich die Botschaft zunächst an die zehn Jünger „Wir haben den Herrn gesehen“ (Joh 20,25) bis zu den 500 Zeugen verbreitet, die Paulus in seinen Briefen vermerkt (1Kor 15,6). Danach verläuft sich die Spur der Botschaft und dennoch ist sie bis heute ungehalten, wie der Psalm 19 sagt: „Ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus“ (Ps 19,5). Wir Christinnen und Christen glauben seither jenem zarten „Ich habe den Herrn gesehen“ ohne ihn selbst leibhaftig gesehen zu haben. Maria Magdalena hat ihn gesehen, Thomas hat ihn gesehen, stellvertretend für uns alle und ihre Botschaft war glaubwürdig.
Sr. M. Clarita
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