Wie jedes Jahr, seitdem ich im Kloster bin, hatte ich auch in diesem Jahr geplant, in der Osterzeit für eine gute Woche für meine Exerzitien nach Ilanz zu fahren. Alles sollte wie immer sein, der gleiche Ort, das gleiche Haus, die gleiche Begleiterin, viele gleiche Teilnehmerinnen in der Exerzitiengruppe.
Doch als es mit Corona so richtig los ging, schwante mir schon, dass das so wahrscheinlich eher nichts würde, denn Ilanz liegt ja leider nicht gerade um die Ecke und die Grenzen wurden ja recht bald geschlossen. Außerdem war ja auch fraglich, ob das Haus der Begegnung der Ilanzer Dominikanerinnen im Mai überhaupt Gäste hätte aufnehmen können, ob dann unser Kurs stattfinden würde,... Aber weil ich finde, dass die Exerzitien die wichtigste Zeit im Jahr sind, wollte ich sie auch nicht einfach ausfallen lassen. Also verschieben? Aber auf wann? Und würde es dann klappen?
Vielleicht gab mir aber der Heilige Geist aber auch schon lange vor den Exerzitien den Gedanken ins Herz, dass in digitalen Zeiten auch die Exerzitien digital möglich sein müssten. In den letzten
Wochen haben wir uns ja alle immerzu online getroffen, warum sollte das also nicht mit Sr. Sabine, meiner Exerzitienbegleiterin möglich sein? Nur hier in Oberhausen, das war so mein Eindruck,
würde ich nicht so richtig in den Exerzitienmodus finden, weswegen ich nach einem anderen Ort Ausschau hielt. Deswegen fragte ich bei Schwestern im Münsterland an: Dorthin könnte ich ohne
Probleme mit dem Fahrrad fahren und könnte es so vermeiden, mit dem Zug zu fahren. Da die meisten Gemeinschaften viele Schwestern der Risikogruppe haben, ging ich davon aus, dass sie so
abgeschottet leben, wie wir es in den letzten Wochen hier im Altenheim waren, also wäre das der perfekte Ort für mich. Aber genau dieses Argument bedeutete für die Gemeinschaften, die ich fragte,
dass sie mich nicht aufnehmen könnten, eben weil sie selber auch sehr darauf achteten, sich das Virus nicht ins Haus zu holen. Sehr verständlich.
Also blieb nur noch mein Joker: Mein Ferienparadies Vechta. Mit 200 Kilometern Entfernung nicht unbedingt eine Radeldistanz, aber machbar, gleichzeitig ein guter Ort, den ich ja eh sehr mag und
ein Konvent, der mir WLAN für das tägliche Onlinetreffen mit Sr. Sabine bot, Wald zum Spazierengehen, menschenleere Gegend, um am Abend oder am Vormittag noch eine Runde mit dem Rad zu drehen
sowie alle Freiheiten, um meine Meditations- und Gebetszeiten ganz nach meinem Sinn zu gestalten.
Und so radelte ich also am 18. Mai morgens um 5 Uhr los und hatte mit ordentlich Rückenwind den besten Start in die Exerzitien, den ich mir in diesen merkwürdigen Zeiten vorstellen konnte.
Alleine Fahrrad zu fahren sortierte meine Gedanken schon sehr gut, zu erleben, dass ich es tatsächlich schaffe, 200 Kilometer am Stück Fahrrad zu fahren, beflügelte mich und der herzliche Empfang
in Vechta war eine besonders schöne Eröffnung der Exerzitien.
Im Laufe der Woche stellte sich heraus, dass ich wirklich einen sehr guten Ort für meine Exerzitien gefunden hatte und ich dank meiner Erfahrung aus Ilanz auch direkt in meinen gewohnten Exerzitienrhythmus kam: für meine drei Meditationszeiten am Tag fand ich wunderbare Orte im Haus, in den täglichen Treffen mit Sr. Sabine bekam ich die richtigen Impulse zur richtigen Stelle, das gemeinsame Gebet mit den Brüdern bildete einen guten Rahmen, die Konventskatze Gin konnte meine Zuneigung aufnehmen und die Möglichkeit, dann noch aufs Rad zu steigen, rundete alles ab. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Exerzitien noch etwas länger gedauert hätten und ich noch weiter hätte eintauchen können in das Wort Gottes und seine Botschaft an mich. Aber auch so bewegte mich der Heilige Geist und schenkte mir gute Impulse und Klarheit.
Dass das nicht immer für alle Lebensbereiche gilt, merkte ich jedoch auf der Rückfahrt: Um einen sanften Hügel zu vermeiden, hatte ich beschlossen "unten rum" zurück nach Oberhausen zu fahren. Leider hatte ich bei der Planung nicht so richtig bedacht, dass das bedeuten würde, dass mich stattdessen die Dammer Berge und der Teutoburger Wald erwarten würden. Und so war ich eigentlich in Münster schon gar und hätte nichts dagegen gehabt, wenn das das Ende meiner Radtour gewesen wäre. Aber ein Eis in Lüdinghausen und leckere Kürbissuppe zu Hause brachten mich auch durch die zweite Hälfte der Strecke, so dass ich am Ende sagen kann, dass ich extrem glücklich bin, über dieses großartige Erlebnis "Exerzitien in Corona-Zeiten".
Ganz herzlich bedanke ich mich bei den Mitbrüdern in Vechta, die mich aufgenommen haben und natürlich bei Sr. Sabine Lustenberger, die mich schon seit vielen Jahren begleitet und sich in diesem Jahr auf das Onlineexperiment eingelassen hat.
Sr. Kerstin-Marie