Berufungsfindung in den Bergen

23.März 2022. 12:00 Uhr. Westliche Karwendelspitze.

Ich kann nicht glauben, dass wir tatsächlich umkehren müssen - und dann noch wegen mir. Aber mit jedem weiteren Schritt wurden meine Knie weicher bis ich vor Unsicherheit nicht mehr weiter gehen konnte. Wir waren nicht gesichert und hatten nur Pickel und Grödel als Ausrüstung dabei. Wir hangelten uns an einer schneebedeckten Steilwand entlang auf der Suche nach dem Weg, der von Schnee und Eis völlig bedeckt war. Spuren im Schnee von möglichen anderen Bergsteigern haben wir auch schon lange nicht mehr gesehen. Ich bat darum umzukehren.

Gescheitert? Ja, so kam es mir vor, schließlich haben wir den Gipfel nicht erreicht. Im Gespräch mit meinen sehr verständnisvollen Mitgefährten erkannte ich, wie hochmütig es ist zu denken, man könne jeden Gipfel erreichen, auch wenn er nur 2.385m hoch ist. Eigentlich ist das die Ursünde schlechthin, zu glauben man sei Gott - Hybris.

Es ist gut die Erfahrung zu machen, nicht jeden Berg bezwingen zu können, denn die Natur hat ein Recht darauf unberührt zu bleiben. Wir sind nicht Beherrscher der Schöpfung und ein unvereinnahmender - keuscher - Umgang mit ihr erfordert ihre Grenzen zu achten. Ist dies nicht das Desaster des menschenverursachten Klimawandels? Und ich mittendrin. Der Berg war in diesem Fall stärker als ich. Diese Wahrheit muss ich akzeptieren.

Wir fanden eine schöne Stelle mit traumhafter Aussicht, kochten uns mit einem Gaskocher einen Espresso mit Hafermilch, bauten einen Altar aus Schnee und feierten auf halber Höhe des Berges Eucharistie. Die gewonnen Stunden vergingen wie im Fluge. Keine schlechte Wahl, umzukehren.

 

22. Juni 2022. 3:00 Uhr. Zugspitze.

Ich habe die Nacht vor Aufregung kaum geschlafen. Immer wieder diese Frage im Kopf "Schaffe ich das?" 2.200hm an einem Tag. "Was, wenn ich Höhenangst bekomme?" Noch immer schwirrten die Tourenbeschreibungen des Aufstiegs via Höllental, die ich mir zuvor im Internet über angeschaut habe durch den Kopf: "Schwere Bergtour", "Trittsicherheit und Schwindelfreiheit notwendig", "anstrengende Bergtour, die sehr gute Kondition erfordert", "nicht für Anfänger geeignet". Zudem war am Nachmittag Gewitter gemeldet - schlechte Voraussetzung, um einen Klettersteig erfolgreich zu meistern.

Aber jetzt war ich nun mal hier, mitten in der Nacht. Wir zogen unsere Stirnlampen an und gingen los. Bei Sonnenaufgang waren wir an der Höllentalangerhütte angelangt. Kurze Pause auf 1.380m zum Umziehen: Klettersteigset, Helm und Handschuhe an. So weit so gut. Mittels einer Stahlleiter ging es 20m fast senkrecht hoch hinauf. Bloß nicht nach unten gucken. Schritt für Schritt. Weiter führte der Weg über das sogenannte "Brett", eine Steilwand mit Trittstiften versehen und atemberaubendem Tiefblick. Ein Fuß nach dem anderen. Ich versuchte nicht allzu oft in die Tiefe zu schauen, auch wenn die Aussicht einfach herrlich war. Kurz bevor wir den Gletscher erreichten, sahen wir ein paar Gämse, die auf dem Geröllfeld, das der Gletscher hinterlässt, umhersprangen. Gletscherüberquerung. Meine Begleiter gingen vor und traten Schritte in das Eis. Ich folgte ihnen. Ganz wohl war mir nicht. Irgendwie schon gefährlich. Von einem zum nächsten Fußabdruck. Dann erreichten wir den letzten Klettersteig, um die fehlenden 600 Höhenmeter zum Gipfel zu bezwingen. Angespannt war ich immer noch und irgendwie zog sich das Stück in die Länge. Doch dann gegen Mittag sahen wir es, das goldene Gipfelkreuz. Weit war es jetzt nicht mehr. Nach 9 Stunden auf den Beinen erreichten wir unser Ziel! Ich konnte es kaum fassen, dass wir es tatsächlich geschafft hatten.

 

Diese zwei völlig unterschiedlichen Erfahrungen, die ich in den Bergen gemacht habe, versinnbildlichen, was ich an den Bergen so liebe: Ihre Unverfügbarkeit. Ich weiß nie im Vorhinein wie eine Tour ausgeht. Beide Berge haben mir zwei komplett verschiedene Botschaften mitgegeben. Die Zugspitze lehrte mich furchtlos zu sein, Mut zu haben, Risiken einzugehen und an das Unmögliche zu glauben. Die westliche Karwendelspitze hingehen ließ mich meinen Hochmut erkennen und gab mir mit, dass manchmal "Umkehr, der schnellste Schritt voran ist" (C.S.Lewis). 

Wie im Leben, wie in der Frage nach der richtigen Entscheidung gibt es kein schwarz-weiss. Mal ist es sinnvoll seine Grenzen zu überwinden, mal ist es gut, realistisch zu bleiben. So sehe ich auch meine Berufung bzw. jegliche Lebensentscheidung gerne im Bild des Bergsteigens. Ich gehe Schritt für Schritt. Mal zaghaft, mal voller Energie. Manchmal wird es notwendig sein meine Grenzen zu überwinden, weiterzugehen, auch wenn es mühsam wird. Dennoch fühle ich mich sicher - gesichert - gehalten - von GOTT. Wenn ich auf dem Weg aber nicht mehr gut gehen kann, ich meinen Halt verliere, einen tödlichen bzw. dem Leben nicht dienenden Weg einschlage, kann es ratsam sein, einen anderen zu wählen. Wie beim Bergsteigen muss ich in gutem Kontakt mit mir selbst sein, um die richtige Entscheidung zu treffen. Ich kann von der Erfahrung anderer lernen, vielleicht auch in ähnliche Fußstapfen treten, aber gehen muss ich alleine - egal ob bergauf oder bergab. Der Gipfel ist dabei nicht unbedingt das Ziel - schließlich steigt jeder Bergsteiger auch wieder vom Berg hinab - sondern den Weg zu finden, auf dem ich gut gehen kann.

Deshalb bin ich so gern in den Bergen, um das Leben zu lernen.

 

Sr. M. Clarita

 

"Meine Liebe zu den Bergen wächst von Tag zu Tag mehr. Wenn es meine Studien erlaubten, würde ich ganze Tage in den Bergen verbringen und in dieser reinen Luft über die Größe des Schöpfers nachdenken."

(sel. Pier Giorgio Frassati OP)

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Br. Wilhelm Germann (Dienstag, 25 Juli 2023 16:22)

    Liebe Schwester Clarita,
    Dir danke ich ganz herzlich für Deine guten Worte. Bilder für unseren Weg des Lebens, der Entscheidungen, des Wagnisses und Mut zur Umkehr, wenn es notwendig ist. Ich selber durfte in der Schweiz viele Bergwanderungen erleben, oft über Gletscher mit Anseilen.
    Dir wünsche ich eine gesegnete Zeit und grüße Dich ganz herzlich, Br. Wilhelm.

  • #2

    Jürgen Hadem (Dienstag, 25 Juli 2023 16:52)

    Liebe Schwester Clarita,

    vielen Dank das ich teilhaben darf an Ihren Erfahrungen in den Bergen.
    Ich selbst kann dies aus gesundheitlichen Gründen so nicht mehr erleben, aber es freut mich so sehr, dass Sie dies erleben durften!!!!

    "Groß und weit wie Ewigkeiten Welten sich vor uns ausbreiten.
    Majestätisch Berge, Höhn.
    Gott ist groß und hoch erhoben,
    alle Höhen Ihn nur loben,
    der da ist von Ewigkeit"

    Inschrift auf dem Gipfelkreuz des Kleinmatterhorn!

    Gottes Segen auf ihren Wegen und einen Gruß aus dem Siegerland an Sie, ihre Mitschwestern und alle die verantwortlich sind für diesen wunderbaren Ort:-)

  • #3

    Sr. M. Hiltrud (Dienstag, 25 Juli 2023 21:56)

    Liebe Sr. Clarita
    Es überrascht mich total, dass Du in Deinem jugendlichen Alter solche tollen Bergerfahrungen machen kannst!
    Danke, dass Du diese weiter gibst an uns. - Ich wurde in meiner Schweizer Zeit nicht müde, mit den Augen zu klettern bis zum Gipfel, rundherum und darüber hinaus zu dem, der diese wunderbare Schöpfung gemacht hat. DEO GRATIAS

  • #4

    Anja (Donnerstag, 27 Juli 2023 09:34)

    So kluge Worte und Erkenntnisse…danke fürs teilen !!!

  • #5

    Aneta Hruška (Montag, 02 Oktober 2023 15:58)

    Mein Freund hat sich mit der Hilfe von Dr. ISIKOLO bei mir gemeldet und ich bin wirklich überwältigt
    Hallo zusammen, ich bin Aneta Hruška. Als alle Hoffnung verloren ging, dass meine Beziehung zwischen mir und meinem Freund wieder funktioniert, suchte ich im Internet nach Hilfe, las und kontaktierte DR. ISIKOLO, der kam, um alles in Ordnung zu bringen, und ich werde ihn für den Rest meines Lebens schätzen. Zu oft erlebte ich aufgrund der endlosen Probleme mit meinem Mann ein emotionales Trauma, das zu unserer Trennung führte. Deshalb suchte ich Hilfe und erfuhr von Dr. ISIKOLO, der mir zu Hilfe kam. Er erläuterte mir die Vorgehensweise und forderte mich auf, diese einzuhalten, was ich gerne tat. Er verzögerte den Lösungsprozess für meine Probleme nicht und ich erhielt das Ergebnis in nur zwei Tagen, wie er mir versicherte. Machen Sie sich nicht die Mühe, woanders Hilfe zu suchen, denn er ist zu gut darin, Menschen zu helfen. Er ist vertrauenswürdig und ehrlich, also schreiben Sie ihm jetzt eine SMS per WhatsApp: +234-8133261196 oder per E-Mail: isikolosolutionhome@gmail.com