Von Sinn und Unsinn der Heiligenverehrung

Reliquienschrein der hl. Bernadette in Lourdes
Reliquienschrein der hl. Bernadette in Lourdes

Die Heiligenverehrung scheint eines der katholischen "Markenzeichen" schlechthin zu sein und doch muss ich sagen, dass auch ich Probleme mit bestimmten Formen von Heiligenverehrung habe. Manchmal scheint es mir, dass Gläubige manchen Heiligen mehr zutrauen als Gott. Dazu tragen natürlich auch bestimmte Patronate bei: Odilia bei Augenkrankheiten, Florian bei Feuer, Christophorus auf Reisen, Judas Thaddäus bei hoffnungslosen Fällen und natürlich der allseits beliebte Antonius bei Verlust von Gegenständen. Die Absurdität mancher Patronate (z.B. für das Gedeihen von Bohnen – hl. Sixtus II., gegen bösartige Ehefrauen – hl. Guntmar, gegen die Qualen des Fegefeuers – hl. Ursula, gegen Froschplage – hl. Herveus, gegen Mückenstiche – Rosa von Lima, Heilige, die FÜR Regen zuständig sind und welche die GEGEN Regen zuständig sind), trägt dazu bei, dass das Thema Heiligenverehrung einen bisweilen magischen Touch bekommt. Verständlich, dass dies einige Christen recht kritisch beäugeln.

 

 

An Allerheiligen bricht für mich am aller deutlichsten hervor, worum es bei der Heiligenverehrung bzw. der Heiligkeit geht. Der Tag richtet den Blick darauf hin, wofür wir berufen sind. So drückt Johannes es aus: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden.“ (1Joh 3)

Schon jetzt sind wir Kinder Gottes, schon jetzt sind wie Heilige (so spricht Paulus seine Gemeindemitglieder an) durch die Taufe und den Glauben an Christus. Und in der ewigen Gemeinschaft mit Gott werden ihm ähnlich sein, d.h. heilig sein, wie er heilig ist.

 

Ich lese gerne die Briefe des Apostels Paulus, denn Paulus war der erste Jünger des Herrn, der Christus nicht mehr leibhaftig begegnet ist. Er ist für mich sozusagen das Urbild des Jüngers. Ich finde es zwar auch spannend im Evangelium von den Frauen und Männern zu lesen, die unmittelbar mit Jesus unterwegs waren, aber für mein persönliches Christsein, dass ich eben lebe ohne Jesus direkt begegnet zu sein, ist Paulus für mich Gefährte; steht er doch vor derselben Situation wie ich: Christi Botschaft leben wollen ohne historischer Zeuge seines öffentlichen Wirkens, seines Todes und seiner Auferstehung zu sein. Ihm sind viele, viele Menschen gefolgt. Frauen und Männer allen Alters, aller Charaktere, aller Jahrhunderte, in Kriegen und Friedenszeiten, in Wohlstand und Armut, im Kloster und im normalen Arbeitsalltag, sind auf ihre Weise Jesus nachgefolgt. Das ist für mich Heiligkeit: Christus nachfolgen im Hier und Jetzt.

 

Gerade bei den Heiligen unserer Zeit ist es durch eine bessere Quellenlage einfacher nachzuvollziehen wie sehr diese Menschen genauso Menschen waren wie wir. Der sel. Pier Giorgio Frassati bspw. war ein leidenschaftlicher Bergsteiger und träumte davon – so wie ich – eines Tages das Matterhorn zu besteigen. Der sel. Carlo Acutis spielte gerne Playstation, der sel. Karl Leisner verliebte sich, während seines Freisemesters in Freiburg, worauf er zwei Jahre mit sich rang, wohin sein Weg nun führen würde. Die hl. Mutter Teresa war eine Powerfrau und dennoch hätte ich sie nicht gerne als Oberin gehabt, zeugen ihre Briefe doch von einem strengen und sehr fordernden Charakter.

Dass die Heiligen uns ähnlich sind und auch ihre charakterlich und persönlich schwierigen Seiten hatten, machen sie für mich nahbarer und dann kann ich der Idee der Patronate sehr viel abgewinnen. Denn die Patronate haben ja meistens etwas mit dem Leben des Heiligen zu tun. Es tut gut zu wissen nicht alleine zu sein in manchen Schwierigkeiten des Alltags. Es gibt Mut, dass viele andere Menschen vor ähnlichen Herausforderungen standen und sie im Vertrauen auf Gott gemeistert haben.

Als ich während des Studiums zum dritten mal zur Lateinprüfung antreten musste, hatte ich die Möglichkeit am Grab des hl. Hieronymus in Bethlehem zu sein, der die Bibel vom Griechischen ins Lateinische übersetzt hat. Ich kann nicht sagen, ob es Glück, Fleiß oder die Fürsprache des hl. Hieronymus war, weshalb ich die Prüfung bestanden habe, aber in dem Moment habe ich mich trotzdem dem Heiligen sehr verbunden gefühlt.

 

Auch die Liturgie erschließt für mich einen wichtigen Aspekt der Heiligenverehrung. Die Oration zu dem jeweiligen Gedenktag ist nie an den/die Heilige/n direkt gerichtet, sondern an Gott. Gott wird in dem Gebet gelobt für das, was er an dieser oder jener Person Großes gewirkt hat. Und dann wird um seine oder ihre Fürsprache bei Gott gebetet. Das heißt nicht, dass man sich nicht direkt an einen Heiligen wenden kann, aber für mich kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck, worum es geht: Dass Gott an uns handelt, dass Gott uns heiligt macht, dass Gott uns denselben Mut etc. schenkt, den er dieser Christin/diesem Christen vor uns geschenkt hat.

 

Ich mag Allerheiligen: Die Würde der Berufung des Getauften, die Vielfalt an christlichen Lebensweisen, die Wertschätzung des Verborgenen, die Menschlichkeit der Nachfolge, aber immer das brennende Herz für das Evangelium.

 

 

Sr. M. Clarita

Am Grab des hl. Hieronymus
Am Grab des hl. Hieronymus

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    N.C. (Mittwoch, 08 November 2023 22:28)

    Am 5. November jährte sich der Todestag eines Glaubensvorbildes in heutiger Zeit, nämlich des früheren, sozial(politisch) engagierten Florentiner Bürgermeisters Giorgio La Pira (9. Januar 1904 – 5. November 1977). Nach seiner Schulzeit absolvierte er in Messina eine Ausbildung zum Buchhalter. In dieser Hafenstadt im Nordosten Siziliens wurde er im Alter von 21 Jahren mit dem Namen Fra Raimondo Terziar (Laiendominikaner) im seinerzeit so genannten „Dritten Orden der Predigerbrüder“. Danach studierte er Rechtswissenschaften, promovierte und wurde Professor für Römisches Recht an der Universität von Florenz. Er gab die Zeitschrift „Principi“ heraus und kritisierte darin den Faschismus. Nach dem Sturz Mussolinis arbeitete er in der Democrazia Christiana am Wiederaufbau von Florenz mit.

    La Pira wurde 1951 zum Oberbürgermeister gewählt und setzte sich für die Arbeiter seiner Stadt ein. Leerstehende Villen und Häuser ließ er beschlagnahmen und brachte darin Obdachlose unter. Der Terziar führte einen bescheidenen Lebensstil, wohnte in einer Klosterzelle bei den Predigerbrüdern in San Marco und spendete Bettlern spontan seine Kleidung. Gläubige nannten ihn „Sankt Martin unserer Zeit“ und „politischen Mystiker“. Er setzte sich für Menschenrechte und den Frieden auch auf internationaler Ebene ein. Im Zuge des 1986 eröffneten Seligsprechungsprozesses bestätigte Papst Franziskus 2018 den sog. „heroischen Tugendgrad“ seines Lebens und ernannte ihn zum „Ehrwürdigen Diener Gottes“. Wenn Sie seine Kanonisierung unterstützen möchten, sind Sie eingeladen, folgendes von der Erzdiözese Florenz approbierte Gebet zu sprechen:

    Vater der Barmherzigkeit, du hast uns im verehrungswürdigen Giorgio La Pira ein leuchtendes Beispiel eines christlichen Jüngers gegeben, der in allen Situationen und unter allen Umständen seines Lebens half, das Reich Gottes aufzubauen. Durch Gebete, Taten der Nächstenliebe und in der Verteidigung der Armen gebe uns die Gnade, damit wir ihn mit denen sehen dürfen, die als Selige zur Ehre der Altäre erhoben sind. In Christus unserem Herrn.

  • #2

    3:1 (Sonntag, 12 November 2023 20:15)

    Hallo liebe Sr clarita. Wie heisst es doch: kein Sünder ohne Zukunft, kein Heiliger ohne Vergangenheit. Um Heiligkeit bemüht bis er kommt. Heilige sind Stille Begleiter mit viel Strahlkraft.

  • #3

    Gracia (Sonntag, 12 November 2023 20:47)

    Es gibt für Sie also viel mehr Heilige als Heiliggesprochene?
    (Ein Interview geführt von Antonia Fuchs)

    Sr.Ursula: "Unbedingt! Ich glaube fest an unser aller Berufung zur Heiligkeit. Die Heiliggesprochenen haben das Glück, bekannt zu sein. Aber wie viele Menschen gibt es, die keine Öffentlichkeit haben, aber ganz groß die Liebe leben."

    (Aus: "Alles hat seine Zeit", Kalender 2024, 2. November)

  • #4

    W.U. (Sonntag, 19 November 2023 11:04)

    " Wohin soll ich gehen ?"
    " Wohin kann ich gehen ?"
    DAS, was ich schon vor 8 Jahren *los* werden wollte - hängt mir noch heute am Hals.
    Zu keinem Zeitpunkt habe ich danach gestrebt, danach gesucht oder danach getrachtet.
    Es fiel mir alles in den Schoß - und manch anderes zuvor auch.
    Und das Eine mit dem Anderen verknüpft - in meinen hiesigen Lebensverhältnissen - war mir
    bereits vor 8 Jahren bewußt - braucht eine Veränderung.

    Auf meine innere Stimme hörend, bin ich auch so manchen Weg gegangen - aber keiner führte mich
    an das geglaubte Ziel. An ein Ziel, daß alles - oder doch wenigstens die Hälfte davon - ändert.
    Und so stehe ich immer noch hier - von "Krähen" umgeben, die ich zuvor als "Singvögel" erkannte.
    Haben sich diese Menschen so verändert - oder ich ?
    Ist es die Zeit, in der wir heute leben ?

    Ich mag das alles hier nicht mehr - und diese "Krähen" schon gar nicht !!