ER ist da.

Sehr verehrte, liebe Gäste von Kloster Arenberg,

liebe Freundinnen und Freunde unseres Hauses und unserer Gemeinschaft,

im Namen unserer Gemeinschaft grüße ich Sie sehr herzlich, und wir hoffen, Sie und Ihre Familien und Freunde sind gesund. Mögen Sie Momente des Glücks und des Friedens finden dürfen in dieser für uns alle schwierigen Zeit. Nur schon vorweg: wir beten viel für Sie, ich gestehe, mehr als sonst. Wir beten für Sie, für unser Land und unsere so verletzte Welt.

Ein Wunder wünschen Viele von uns: das Wunder, dass wir befreit werden von dieser Pandemie, die uns im Ungewissen lässt, dass diese hässliche, unberechenbare Gefahr von uns weggenommen wird und wir zurückkehren dürfen in die Unbeschwertheit, nach der wir uns gerade in diesen Wochen und Monaten ausstrecken. 

Dahin geht doch oft unser Verlangen. Wir sehnen uns danach, dass das Bedrohliche von uns weggenommen wird. Ängste. Unsicherheiten, existentielle Nöte. Berechtigt, finde ich. Und wir fragen uns zuweilen: Wo ist denn dieser GOTT, der uns rettet? Der uns hilft und beisteht? Als Christinnen und Christen schauen wir in diesen österlichen Tagen auf Jesus. Auch am Kreuz schreit es aus ihm heraus: „Mein GOTT, mein GOTT, warum hast Du mich verlassen?“

Hast Du uns denn, GOTT, verlassen? Lässt Du uns allein in unserem Schlamassel? Auch Du? Stopp! Sind wir wirklich Verlassene? Mutterseelenallein? Welch ein starkes Wort: mutterseelenallein! Verlassen von aller mütterlichen Präsenz, von bergenden Momenten. 

Es ist doch so -  Corona dirigiert uns: keine Umarmungen, keine tröstende Nähe, keine Berührungen, die halten, aufrichten und stärken. 

Kehren wir zurück zu Jesus. Er schreit diese Worte aus dem Psalm 22 mit der Wucht eines endlos Leidenden hinaus. Scheinbar ins Leere.  Gehen wir jedoch den Versen des Psalms entlang, erfahren wir: Da gibt es dieses Andere in seinem Leben, Tieferes, ihn nicht Verlassendes.

„Denn er, GOTT, hat nicht verachtet, nicht verabscheut des Elenden Elend. 

Er hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm; 

er hat gehört, als er zu ihm schrie.“

Das ist Ostern:

aus Stunden furchtbarer Dunkelheiten und Leere, ich denke an den Karsamstag, kommt dieser GOTT des Lebens seinen Jüngerinnen und Jüngern entgegen. Erst fremd – sie sind noch blind für das Neue. Seine Gefährtinnen und Gefährten haben diesen neuen Zustand zu lernen: Er kommt ganz anders: Maria von Magdala muss sich mehrmals umdrehen, bis in ihr Innerstes hinein, um ihren geliebten Herrn erkennen zu können. Einigen werden die Augen geöffnet durch das Zeichen des Brotbrechens, Anderen  durch die Sichtbarkeit seiner Wunden.

Und -  ein starkes Bild für unsere Situation heute: er kommt selbst durch verschlossene Türen. Er, der den Tod überwunden hat, tritt hinzu, mitten in unser alltägliches Leben. Nicht nur in festlich geschmückte Kirchen, so sehr wir sie auch brauchen, so sehr wir auch Gemeinschaft nötig haben.  

Vielleicht dürfen wir dies in diesem Jahr lernen: der Auferstandene ist kommt und bleibt bei uns, wenn wir am Tisch sitzen, noch nicht frisiert, noch nicht rasiert. Er tritt hinzu, wenn wir spülen und tippen und den Garten umgraben. Wenn wir Mahl halten…

Er kommt in unser Herz. Dort steht er auf.  

In diesen Wochen ist mir ein Gebet sehr nahe, ein Morgengebet der holländischen Jüdin Etty Hillesum, die 1943 mit 29 Jahren in Ausschwitz umgekommen ist: Sie betet:

"Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Heute Nacht geschah es zum ersten Mal, dass ich mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln lag und viele Bilder menschlichen Leidens an mir vorbeizogen. Ich verspreche dir etwas, Gott, nur eine Kleinigkeit: Ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen Tag hängen, aber dazu braucht man eine gewisse Übung. Jeder Tag ist für sich selbst genug. Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das Einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. […]

Ich werde in der nächsten Zukunft noch sehr viele Gespräche mit dir führen und dich auf diese Weise hindern, mich zu verlassen. Du wirst wohl auch karge Zeiten in mir erleben, mein Gott, in denen mein Glaube dich nicht so kräftig nährt, aber glaube mir, ich werde weiter für dich wirken und dir treu bleiben und dich nicht aus meinem Inneren verjagen."*

Etty weiß sich in GOTTES Armen, trotz allem. Sie glaubt an seine Präsenz, selbst in der Einsamkeit kann sie vertrauen: Es wird gut. ER macht es gut. 

Wir haben unsere Zukunft nicht als Besitz. Sie bleibt immer ungewiss, immer auch Überraschung, aber glauben zu dürfen, dass wir in GOTTES Händen sind, dass er uns nicht alleine lässt - diesen Glauben, dieses Vertrauen wünsche ich uns allen zutiefst.

Dir Kirchen sind zurzeit leer, unser Herz vielleicht auch. Die Verletzlichkeit und das Fragile unseres Lebens und unserer Schöpfung wird uns hautnah bewusst.

An dieser wunden Stelle darf vielleicht das Neue, das Uralte neu beginnen: Nicht nur ein besonderer, ausgewählter, geheiligter Ort (was auch immer das heißt) , sondern mein Innerstes ist Raum GOTTES. Hier, genau hier spricht er sein Wort: 

„Fürchte Dich nicht, ich bin es! Ich bin da! Nah bei Dir!

Ich komme in Deine Stube und Küche, dorthin, wo Du schläfst, 

im Garten treffe ich Dich und nicht zu vergessen, 

auch in Deine Keller und Speicher komme ich. 

Dorthin, wo Du bist. Dort, wo Du lebst.“

Ein letzter Gedanke:

am frühen Morgen, nach dem Aufstehen (auferstehen?) gehen wir die ersten Schritte barfuß, ohne Schutz von Schuhen: wir sind verletzlich, wir tragen noch keine Rüstung, keine (Ver-) Kleidung, sind so dem Morgenlicht ausgesetzt. Einen Moment lang Urzustand. Verletzliche Frauen und Männer. Kinder. Am Tagesanfang, in den ersten Augenblicken müssen wir noch nichts, müssen nicht irgendjemand sein. Keine Titel. Keine Rolle. Nur wir. Ich. Beim Namen gerufen. Geliebt. 

Und dann mit diesem Bewusstsein in den Tag hinein. Ins Leben. 

Und barfuß bleiben, auch in Schuhen, um nichts zu zertreten, was uns Hoffnung gibt und Zukunft verheißt.

ER ist da. Oft sehr leise. 

Ich wünsche Ihnen dieses Glauben,

auch wenn er dann und wann auf die harte Probe gestellt wird.

Mit Ihnen und auch für Sie möchte ich diese Wirklichkeit glauben dürfen. 

Ihnen ein frohes gesegnetes Osterfest,

verstecken Sie sich irgendwo ein Ei, suchen Sie es, wenn möglich, barfuß.

Ihnen nur Gutes und Liebevolles - das österliche Licht sei in Ihren Räumen. Und innen. Ganz tief.

Von Herzen,

Ihre Sr. M. Scholastika 

 

* Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, Reinbek bei Hamburg, 16. Auflage 2012, 149f