zur Aufnahme ins Postulat

Ansprache von Sr. M. Scholastika zur Postulatsaufnahme von Janina Franz am Fest des Hl. Augustinus

 

Liebe Janina,

es wohnt eine tiefe Erfahrung des hl. Augustinus in seinen Worten, wenn er sagt:

„Wer liebt, lebt da,

wo er liebt;

nicht da, wo er lebt."

In seinem äußerst bewegten Leben, in dem ihn die leidenschaftliche Sehnsucht nach dem vollen Leben, nach Sinn, nach einer alles erfüllenden Liebe trieb und drängte, erfuhr er mehr und mehr, dass allein die Liebe, die in GOTT, im Urgrund allen Seins wurzelt, auf ungeahnte Weise schenkt, was menschlich immer an die Grenzen stößt. 

Dennoch war es für ihn nie eine abgehobene Liebe, die das Sinnliche verdrängte. Wir kennen sein Gebet aus den Bekenntnissen:

"Aber was liebe ich, wenn ich dich liebe? 

Nicht Körpergestalt, nicht zeitliche Schöne, nicht des Lichtes Glanz, der diesen Augen so freundlich ist, nicht das süße Tönen alles dessen, was da singt und klingt, den lieblichen Duft der Blumen nicht, und alles dessen, was ihn aushaucht, nicht Manna und Honig, nicht der Glieder Reiz, der die Umarmung empfängt. 

Das Alles liebe ich nicht, wenn ich, meinen Gott liebe, und liebe doch irgend ein Licht und eine Stimme, 

einen Duft und eine Speise, liebe eine Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe, ihn, das Licht und die Stimme, den Duft, die Speise und die Umarmung meines inneren Menschen; wo meiner Seele zustrahlt, was kein Raum erfasst, wo ihr tönet, was in keiner Zeit verhallt, wo ihr duftet, was kein Lufthauch verweht, wo sie kostet, was durch kein Speisen vermindert wird, wo sie nimmer satt wird, zu liegen in der seligen Umarmung. Das liebe ich, wenn mein Gott liebe."

 

Liebe Janina,

„Wer liebt, lebt da, wo er liebt.“

Diese Erkenntnis hat es in sich: wenn wir lieben, leben wir, ansonsten bleiben wir dem Tödlichen ausgesetzt. Aus Liebe sind wir geschaffen, aus dem göttlichen Stoff der Liebe. Das ist unser Sein: wir sind Geliebte GOTTES, und wir sind Liebende. Das ist unser Urzustand. Augustinus erkannte: „Der Mensch ist Sehnsucht nach Gott“ und: „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes!“

 

Du, liebe Janina,

hast Dich entschieden, mit uns GOTT zu suchen und seine Frohbotschaft zu verkünden.

Du erkennst es bereits jetzt schon: Die Gemeinschaft bleibt das Übungsfeld der Liebe, ihre tägliche Schule, und gleichzeitig ist sie die Wirkstätte der Gnade. Wir haben uns nicht gesucht und gefunden. Wir haben uns nicht gewählt. 

GOTT hat uns erwählt, er hat jede von uns gerufen und da sind wir nun. Wir brauchen einander, um reifen und wachsen zu können. Und die gegenseitige Konfrontation mit unseren Schwächen und unserer Armut wirft uns auf uns selbst zurück. Sie macht uns zugänglicher und hoffentlich gütiger und sanftmütiger. 

Wo wir uns nicht auf Distanz halten und einander Nähe zeigen, offenbart sich auch, was noch unheil ist, lieblos und unversöhnt.

Unser ehemaliger Ordensmeister Timothy Radcliffe schreibt:

„Oft werden wir vom Orden angezogen, weil wir Mitbrüder bewundern. Wir hoffen, dass wir werden wie sie. Aber bald schon finden wir heraus, dass sie genauso sind wie wir, zerbrechlich, sündhaft und egoistisch. Diese Entdeckung kann ein Moment tiefster Enttäuschung sein. Ich kann mich an einen Novizen erinnern, der sich über diese traurige Entdeckung beklagt hat. Sein Magister antwortete ihm: ‹Ich freue mich, zu hören, dass du uns nicht länger bewunderst. Jetzt besteht auch die Chance, dass du uns lieben kannst.› Das erlösende Geheimnis der Liebe Gottes besteht nicht darin, Mitglied einer Gemeinschaft spiritueller Helden, sondern von Brüdern und Schwestern zu sein, die sich gegenseitig auf der Reise ins Reich Gottes mit Hoffnung und Gnade stärken.»

 

Liebe Janina,

der hl. Augustinus erkannte: die Liebe ist das Tiefste, was von einem Menschen gesagt werden kann. Nur aus der Liebe bekommt alles Wert, was der Mensch denkt, fühlt und tut. Wir wünschen Dir zutiefst, dass unsere Gemeinschaft Dir Ort ist, wo Deine Liebe wachsen kann: die Liebe zu Dir selbst, die Liebe zu den Schwestern und zu allen Menschen, die Liebe zum Leben, die Liebe zu GOTT, unserem Herrn.

Und Du bist uns aufgegeben, wir tragen Mitverantwortung, dass Du in unserer Mitte Liebe erfährst. Liebe. Leben. Freiheit. 

Ja, mögest Du das Geschenk der Freiheit empfangen dürfen. 

Als Zeichen der Zugehörigkeit möchten wir Dir das Mantelwappen mitgeben, das uns daran erinnert, immer wieder neu zu beginnen, und dass wir zu einer viel größeren Gemeinschaft gehören dürfen, zur dominikanischen Familie, die Dir hoffentlich Heimat wird.

Und: unsere erste Regel ist nicht die des hl. Augustinus, sondern das Evangelium. Darum lege ich Dir  im Namen von uns allen die Hl. Schrift ans Herz und in die Hände. 

 

„Dein Sehnen 

ist dein Gebet, 

und wenn es ein 

ununterbrochenes Sehnen ist, 

dann ist es ein 

immerwährendes Gebet ... 

Es gibt ein „Beten ohne Unterlass“, 

ein inneres Beten: 

die Sehnsucht. 

Was immer du tust – 

wenn du nach jener 

Sabbatruhe verlangst, 

dann betest du ohne Unterlass. 

Willst du ohne Unterlass beten, 

dann höre nicht auf, dich zu sehnen.“

Augustinus