Es ist Frühling.

Es ist seltsam in diesem Jahr, die Sache mit dem Frühling. Während ich sonst um diese Jahreszeit mit einem Dauergrinsen durch die Natur laufe, jedes grüne Blättchen persönlich begrüße, die wärmenden Sonnenstrahlen in mich aufsauge und staunend die aufbrechenden Knospen betrachte, fühle ich mich in diesem Jahr innerlich irgendwie abgeschnitten von all dem Zauber. Bewusst wurde mir das u.a. auch durch die große Resonanzwelle, die über das „Ohne Sie ist alles doof“-Video zu mir und uns geschwappt ist. Neben vielen sehr berührenden und dankbaren Rückmeldungen kommentierten manche, dass man den Frühling aber doch bitte nicht als doof bezeichnen dürfe. Klar haben diese Stimmen Recht, zumal ich das Video auch mit einem zwinkernden Auge gestaltet hatte und die Sehnsucht nach diesem wunderbaren Ort hier wachhalten wollte. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich momentan inmitten dieser ganzen Herrlichkeit tatsächlich wie Falschgeld. Ich fahre jeden Mittag bei wolkenlosem Himmel eine Stunde Fahrrad durch die wunderbare Landschaft vor unserer Haustür, aber von Unbeschwertheit kann keine Rede sein. Ich drehe morgens und abends meine Runden durch den Garten und nehme die Schönheit wahr, aber von Freude oder gar österlichem Erwachen im Herzen kann noch keine Rede sein. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass sich da innerlich viel Schweres zwischen mich und all das Schöne gelegt hat. Es sind die Bilder der unzähligen Flüchtlinge, die immer noch vor den Toren Europas auf Hilfe warten. Es sind die Nachrichten aus dem Elsass, in denen davon berichtet wird, dass über 80jährigen Corona Patienten jede Beatmung versagt und stattdessen Sterbehilfe angeboten wird. Es sind die Existenzängste der vielen Einsamen, Verunsicherten, Ratlosen, die sich gerade Tag für Tag verzweifelt bei uns melden. Es ist der Gedanke, wie viele Menschen wohl dieser Seuche zum Opfer fallen werden, wenn sie in Ländern wütet, deren Gesundheitssystem sowieso in keiner Weise funktioniert. Und es ist nicht zuletzt die Sorge um meine eigene Gemeinschaft – warum sollten eigentlich ausgerechnet wir von dieser Katastrophe verschont bleiben, wenn sie doch so viele andere trifft? Gedanken, die sich gerade auf mein Herz legen wie eine dunkle Glocke und tatsächlich dazu führen, dass sich alles irgendwie doof und falsch anfühlt. 

Aber: Der Frühling um mich herum hört trotzdem nicht auf. Das wurde mir heute Morgen noch einmal krass vor Augen geführt, als ich im Garten an einem alten Kirschbaum vorbei ging, der bereits vor drei Jahren einem Sturm zum Opfer fiel und seitdem als „Totholz“ auf unserer Schafweide liegt. Ich war urplötzlich zutiefst berührt, als ich sah, dass selbst dieser Baum, der ja schon so lange Zeit von seinen Wurzeln abgeschnitten ist, noch einmal - wie auch in den letzten beiden Jahren - alles gibt und solche Knospen treibt. Heute Morgen kam mir der Gedanke: Genau so ist das wahrscheinlich auch mit Gott und uns Menschen. Der Geist Gottes, der Geist, der lebendig macht, er ist in dieser Welt gegenwärtig. Ob wir persönlich uns von ihm ergreifen lassen oder nicht, ob wir ihn wahrnehmen oder nicht, er ist da, er macht „sein Ding“, nämlich: Zum Blühen bringen. Die meiste Zeit unseres Lebens hindern uns wahrscheinlich jede Menge Sorgen und andere Dinge daran, uns von diesem Geist ganz und gar durchwirken zu lassen, nicht zuletzt, weil wir ja in der Regel auch das Gefühl haben, unser Leben auch ohne Hilfe von oben recht gut im Griff zu haben. Dann laufe ich wahrscheinlich so „neben Gott her“, wie ich mich in diesen Tagen in der Natur erlebe. Ich sehe, rieche, fühle, aber in der Tiefe geschieht keine Wandlung. Ein Gefühl des Abgeschnitten-Seins, wie tot. Es sind dagegen die Gnadenzeiten in unserem Leben, in denen wir neu aufgebrochen werden für das Wirken Gottes in unserem Leben und mit Leib und Seele zu Ihm in Resonanz gehen. 

Gestern haben wir im Evangelium zum Passionssonntag die Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 1-45) betrachtet. In einer Situation, die an Hoffnungslosigkeit nicht zu überbieten ist, erweist Jesus seine Macht. „Nehmt den Stein weg!“, befiehlt er, auch wenn Marta ihn darauf hinweist, dass der Verstorbene nach vier Tagen schon im Zustand der Verwesung sein könnte. Und dann schreit er mit lauter Stimme ins Grab hinein: „Lazarus komm heraus!“. Wie sehr wünsche ich mir, dass wir alle dieses heilsame Wirken Jesu gerade in diesen vorösterlichen Tagen am eigenen Leib erfahren dürfen. Dass er die Steine ins Rollen bringt, die uns abschneiden vom wahren Leben, das uns von Gott her verheißen ist. Dass der Frühling mit geballter Macht Einzug halten darf in unsere Herzen, allen Ängsten, Vorbehalten und Sorgen zum Trotz. Dafür bete ich. 

Sr. M. Ursula