die Umstehenden verstehen nicht...

Manchmal

im Leben ändert sich etwas

ganz schnell, ganz schnell,

von einem

Augenblick zum anderen.

Dein Herz erschrecke nicht.

Unbemerkt

hat es sich längst abgelegt,

das Neue,

mitten im

Alten hat es begonnen,

unbemerkt, unbewusst.

Der Schmerz des Alten war nötig,

um das Neue hervorkommen zu lassen.

Das sind die besonderen Lichtzeichen im Leben,

die selten sind und kostbar.

 

 

Die Umstehenden verstehen es nicht,

brauchen Zeit, um zu sehen,

was geschehen ist.

Du aber

lasse dich ganz ein auf das,

was geschieht.

Gehe mutig

und froh voran.

 

In dieser besonderen Zeit

kannst du nichts falsch machen,

denn denen solches geschieht,

die stehen unter dem besonderen Schutz

der anderen Welt aus Liebe und Licht.

Aus: Altes hebräisches Ritualbuch, Kap. 2, Text 13

 

In der vergangenen Woche habe ich mit unseren beiden Novizinnen wieder einmal an einer Noviziatswerkwoche in Horrem teilgenommen. Fünf ganze Tage waren uns geschenkt, in denen wir uns in einer sehr offenen Gruppe intensiv mit Heilungs- und Nichtheilungsgeschichten im Neuen Testament auseinandergesetzt haben. Die Alt- und Neutestamentlerin Anneliese Hecht vom Katholischen Bibelwerk führte uns auf methodisch vielfältige und ansprechende Weise in die Texte ein, so dass diese Tage für uns alle zu einer sehr tiefen, heilsamen Erfahrung wurden.

Obwohl ich all diese Heilungsgeschichten schon viele Male für mich selbst betrachtet und meditiert hatte, gab es in dieser Woche ein Motiv, das sich für mich wie ein roter Faden durchzog und mir vorher nie derart krass aufgefallen war: Die Rolle des Umfeldes, in dem die Heilungen geschehen. Nicht selten ist dieses Umfeld nämlich alles andere als lebensfreundlich: Oft wird von einer großen Schar berichtet, mit der Jesus

durch die Lande zog, und meist gibt es da gar kein Herankommen an Jesus vor lauter Gedränge. Ab und zu sind auch die Pharisäer im Spiel, die regelrecht darauf lauern, dass Jesus den Fehler macht, am Sabbat zu heilen, damit sie einen Grund zur Anklage gegen ihn finden. Man kann sich sehr leicht ausmalen, dass das weder für Jesus, noch für den zu Heilenden besonders angenehme Begleitumstände sind… Wir können uns dieses Gewühle von Menschen wahrscheinlich gar nicht chaotisch genug vorstellen, und umso mehr berührt es mich, wie Jesus in all diesen Situationen DA ist, wie er mit einer ungeheuren Spürigkeit genau wahrnimmt, was jetzt in diesem Augenblick zu tun ist. Da ist kein blinder

Aktionismus, kein einfaches Abfertigen von Menschenmassen, um durch möglichst viele Wunder möglichst viele zu beeindrucken – nein, er wird den Menschen, die in einem bestimmten Augenblick zu seinen Nächsten werden, in tiefster Weise gerecht.

Besonders beeindruckend kommt mir das bei der Heilung der blutflüssigen Frau (Mk 5,21-43) entgegen, in einer Situation, in der Jesus regelrecht in „Heilungsstress“ gerät. Eigentlich ist er ja – umgegeben von einer riesigen Schar Menschen – auf dem Weg zur totkranken

Tochter des Jairus, als sich da plötzlich von hinten eine Frau an ihn heranschleicht, die in der Berührung seines Gewandes ihre letzte Rettung sieht. Inmitten dieses Getümmels spürt Jesus, dass eine Kraft von ihm ausgeht, und seine Frage, wer ihn denn berührt hätte, stößt bei den Jüngern auf Unverständnis: Wer bitte schön, hat dich denn NICHT berührt in diesem großen Gedränge? Jesus hätte in dieser Situation alle Gründe gehabt, einfach weiterzugehen, und die spontan geheilte Frau mit dem, was da an ihr geschehen ist, einfach allein zu lassen, aber er wendet sich ihr ganz zu. Der folgende kurze Dialog erweckt den Eindruck, als seien Jesus und die Frau ganz allein auf der Welt, auch hier

geht es extrem dicht zu, allerdings diesmal innerlich. Kaum ist die Frau durch Jesu Zusage wieder ganz rehabilitiert und gemeinschaftsfähig, da kommen auch schon die Hiobsboten aus dem Haus des Synagogenvorstehers, um Jairus zu sagen, dass seine Tochter gestorben sei. In diesem Augenblick erkennt Jesus, dass es not-wendig ist, sich von der Menge freizuschaufeln – nur drei seiner Jünger und später auch die Eltern dürfen mit in den Raum, in dem das Mädchen liegt. Denn auch im Haus des Jairus herrscht wieder ein riesiges Getöse – die laut weinenden, lärmenden Menschen, deren Weinen in Hohn und Spott umschlägt angesichts der Äußerung Jesu, dieses Kind sei nicht gestorben. Auch hier ist Jesus der einzige, der noch Lebensspuren in dem scheinbar toten Kind wahrnimmt und es mit seinem wirkmächtigen Wort wieder ins Leben aufrichtet.

Für mich persönlich wurde diese feine Wahrnehmung Jesu in seiner ganzen Achtsamkeit für die Menschen in der vergangenen Woche zu einem wertvollen Impuls für das kürzlich eröffnete Jahr der Barmherzigkeit. Zum einen, weil ich mir wünsche, dass das zuweilen hektische Vielerlei des Alltags mir nicht den Blick und die Sensibilität raubt für das „Dahinter“ meiner Mitmenschen, zum anderen, weil ich mich selbst – wie oben

im Text so schön beschrieben – in diesem Heiligen Jahr von Neuem ganz einlassen möchte auf das, was zwischen Christus und mir geschieht, um „mutig und froh voranzuschreiten“ in Seiner Nachfolge.

Sr. M. Ursula

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Kommentare: 2
  • #1

    Sr. Clemens (Freitag, 29 Januar 2016 14:36)

    Wo sitzen eigentlich eure Sr. Alberta???
    Gottes Segen Sr. Clemens

  • #2

    Sr Clemens (Freitag, 29 Januar 2016 14:37)

    Es sollte heißen wo ist denn eure Sr. Alberta nicht sitzt ;-)
    Sr. Clemens